Gefühle In Einer Wg / BxB

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Die Sonne war längst hinter den Häusern der Stadt versunken, und die Lichter der Wohnung in der Sternengasse strahlten warm und einladend. Alejandro lehnte am Küchentresen, ein Glas Wasser in der Hand, während er Anastasia dabei zusah, wie sie eine Portion Spaghetti Bolognese zubereitete. Lev saß auf der Couch im Wohnzimmer, die Beine unter sich verschränkt, ein Buch in der Hand. Es war ein typischer Abend in ihrer Wohngemeinschaft – voller Leichtigkeit und einer leisen Spannung, die Alejandro schon seit Monaten spürte.

Er beobachtete Lev aus dem Augenwinkel. Die blonden Haare fielen ihm in die Stirn, und er strich sie gedankenverloren zurück, während er las. Alejandro seufzte leise und nahm einen Schluck Wasser. Lev war wunderschön. Nicht auf eine auffällige, grelle Weise, sondern still und zart, wie ein Gemälde, das man immer wieder ansehen wollte, um neue Details zu entdecken. 

„Du starrst schon wieder“, sagte Anastasia, ohne aufzusehen, während sie die Sauce umrührte. 

Alejandro fuhr erschrocken herum. „Was? Nein, ich...“ 

„Ach, komm schon, Alejandro.“ Sie lachte leise und warf ihm einen wissenden Blick zu. „Es ist mir nicht entgangen, wie oft dein Blick an meinem Bruder hängen bleibt. Du kannst mir nichts vormachen.“ 

Sein Herz setzte einen Schlag aus. „Ich… ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ 

Anastasia verdrehte die Augen und klopfte den Kochlöffel gegen den Topfrand. „Du bist so schlecht darin, deine Gefühle zu verstecken. Aber keine Sorge, ich sag nichts. Obwohl ich finde, dass du ihm endlich sagen solltest, was du für ihn empfindest.“ 

Alejandro schluckte und starrte in sein Glas. „Das kann ich nicht, Annie. Es würde alles ruinieren. Was, wenn er nicht dasselbe fühlt? Was, wenn ich damit unsere Freundschaft zerstöre?“

Anastasia trat zu ihm, die Hände an der Hüfte. „Lev ist mein Bruder, und du bist mein bester Freund. Glaubst du ernsthaft, ich würde zulassen, dass so etwas zwischen uns steht? Außerdem...“ Sie lächelte verschwörerisch. „Manchmal denke ich, Lev fühlt genauso.“ 

Alejandros Kopf schoss hoch. „Was?“ 

„Ich habe Augen im Kopf, Alejandro. Er sieht dich genauso an, wie du ihn. Und dann wird er immer so nervös und fängt an, an seinen Ärmeln zu zupfen. Glaub mir, ich kenne ihn.“ 

Alejandro schüttelte den Kopf, unsicher, ob er ihr glauben sollte. „Das kann nicht sein.“ 

„Warum nicht?“ Anastasia nahm die Teller aus dem Schrank und fing an, die Nudeln darauf zu verteilen. „Du bist großartig, Alejandro. Jeder mit Augen im Kopf könnte sich in dich verlieben. Und Lev ist nicht blind.“ 

Bevor Alejandro etwas erwidern konnte, kam Lev in die Küche, das Buch noch in der Hand. „Riecht gut hier“, sagte er und lächelte schüchtern. 

Alejandro spürte, wie sein Herz schneller schlug. „Ja, Ana hat mal wieder gezaubert.“ 

„Setzt euch, Jungs“, sagte Anastasia und schob die Teller auf den Tisch. 

Das Abendessen verlief wie immer, voller Gespräche und Lachen. Doch Alejandro spürte, wie Lev ihm immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Er fragte sich, ob Anastasia recht hatte. Hatte Lev tatsächlich Gefühle für ihn? 

Später, als Anastasia sich in ihr Zimmer zurückzog, um für die Uni zu lernen, blieben Alejandro und Lev alleine im Wohnzimmer. Alejandro fühlte sich plötzlich nervös. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. 

Lev schien seine Unsicherheit zu bemerken. „Alles okay? Du bist so still.“ 

Alejandro räusperte sich. „Ja, alles gut. Ich...“ Er hielt inne, die Worte rangen in seinem Kopf. „Lev, kann ich dich etwas fragen?“ 

Lev legte das Buch zur Seite und sah ihn an, seine blauen Augen leuchteten im schwachen Licht der Lampe. „Natürlich.“ 

Alejandro nahm all seinen Mut zusammen. „Hast du jemals... jemanden gemocht, aber Angst gehabt, es zu sagen?“ 

Lev runzelte die Stirn. „Ja, schon.“ 

„Und was hast du getan?“ 

Lev sah auf seine Hände, die in seinem Schoß lagen. „Ich habe es nicht gesagt.“ 

„Warum nicht?“ 

„Weil ich Angst hatte, es zu ruinieren.“ 

Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Alejandro konnte spüren, wie sein Herz raste. 

„Lev, ich...“ 

Lev stand plötzlich auf. „Ich sollte ins Bett gehen.“ 

Alejandro griff nach seinem Handgelenk, bevor er gehen konnte. „Warte.“ 

Lev sah ihn mit großen Augen an, und Alejandro merkte, dass seine Hände leicht zitterten. 

„Ich kann das nicht mehr für mich behalten“, sagte Alejandro leise. „Ich mag dich, Lev. Mehr als ich sollte. Und ich weiß, dass das vielleicht alles kaputt macht, aber ich musste es sagen.“ 

Lev starrte ihn an, und Alejandro konnte die Emotionen in seinem Gesicht nicht deuten. Dann, ganz langsam, zog Lev seine Hand zurück. 

„Ich... ich muss nachdenken“, murmelte er und verschwand in seinem Zimmer. 

Die nächsten Tage waren die Hölle für Alejandro. Lev war zurückhaltender als sonst, sprach kaum mit ihm und wich seinen Blicken aus. Anastasia bemerkte die Spannung, fragte aber nicht nach. 

Eines Abends, als Alejandro von einem Lauf zurückkam, fand er Lev im Wohnzimmer, die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen. Er sah so verloren aus, dass Alejandro das Herz brach. 

„Lev?“ 

Lev sah auf, und seine Augen waren gerötet, als hätte er geweint. 

„Es tut mir leid“, flüsterte Lev. 

„Wofür?“ Alejandro setzte sich neben ihn. 

„Für wie ich mich verhalten habe. Ich... ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll.“ 

„Du musst dich nicht entschuldigen“, sagte Alejandro sanft. „Ich wollte dich nicht unter Druck setzen.“ 

Lev schüttelte den Kopf. „Es ist nicht das. Es ist nur... ich habe Angst. Angst davor, dass ich es vermassel. Angst, dass ich nicht genug bin.“ 

Alejandro legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du bist genug, Lev. Mehr als genug.“ 

Lev sah ihn an, und in diesem Moment schien die Welt um sie herum zu verschwinden. Alejandro lehnte sich vor, langsam, um ihm Zeit zu geben, zurückzuweichen, falls er es nicht wollte. Doch Lev blieb, und als ihre Lippen sich berührten, fühlte es sich an, als wäre alles andere nicht mehr wichtig. 

Der Kuss war zart und vorsichtig, voller unausgesprochener Gefühle. Als sie sich voneinander lösten, lächelte Lev leicht, die Wangen rot. 

„Das war... schön“, murmelte er. 

Alejandro lachte leise. „Ja, das war es.“ 

In den folgenden Wochen veränderte sich alles – und doch blieb vieles gleich. Sie lachten immer noch über Anastasias schlechten Musikgeschmack und stritten darüber, wer den Abwasch machen musste. Doch es gab diese neuen, kleinen Momente – ein heimliches Lächeln, eine Berührung, die länger anhielt, ein Kuss, wenn niemand hinsah. 

Anastasia erwischte sie eines Abends, wie sie sich in der Küche küssten, und statt überrascht zu sein, rief sie nur: „Endlich! Ich dachte schon, ihr würdet nie den Mut aufbringen.“ 

Lev wurde knallrot, und Alejandro konnte nicht aufhören zu lachen. 

„Ich habe es dir doch gesagt“, sagte Anastasia mit einem Zwinkern und ging in ihr Zimmer. 

Lev lehnte sich an Alejandro, der seinen Arm um ihn legte. 

„Glaubst du, das wird funktionieren?“ fragte Lev leise. 

Alejandro drückte ihn an sich. „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es sich richtig anfühlt. Und ich will es versuchen.“ 

Lev lächelte und legte den Kopf auf Alejandros Schulter. „Ich auch.“ 

One Shot / KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt