Kapitel 4

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Das Flugzeug würde jeden Moment starten. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Alles war gut. Alles... Plötzlich spürte sie eine Hand an ihrer Kehle. Sie drückte zu, immer fester. Panisch riss sie die Augen auf, bereit denjenigen zu töten. Doch da war niemand. Sie hustete und würgte und spürte, wie er ihre Schulter drückte.
“Alles okay? Was ist los?“ Ohne zu antworten stürzte sie den Gang hinunter auf die Boardtoilette und ignorierte die Rufe der Stewardess. In der winzigen Kabine wurde die Luft immer knapper, ihr Röcheln immer leiser. Mir kann nichts passieren, dachte sie, spürte aber gleichzeitig wie ihr Körper kraftlos auf den Boden sank. Und mit einem Mal war die unsichtbare Gewalt verschwunden. Schwer atmend zog sie sich am Waschbecken hoch und starrte zitternd in ihr bleiches Gesicht. Wie war das möglich? Nur ein Wort glitt über ihre aufgesprungenen Lippen: “Mary“
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Ich starre den Jungen an. Seine braunen Locken scheinen heute noch keinen Kamm gesehen zu haben und die blassgrünen Augen sind leicht zusammen gekniffen, als würde ihn etwas blenden. Er ist hübsch, mehr als das. Er erinnert mich an eine griechische Statue, mit einem gepeinigten Gesichtsausdruck. Ich habe noch nie wirklich einen Jungen weinen sehen, doch seine Augen glitzern verdächtig. Hilflos starre ich ihn weiter an und bete dafür, dass nicht ich der Grund für den Schmerz auf seinem Gesicht bin. Aber wer oder was soll es sonst sein? Endlich kommt mir Alice zur Hilfe.
“Mary das ist Andrew...er ist mein ältester Bruder.“ Ich kann nur stumm nicken und Andrews Hände ballen sich zu Fäusten.
“Mary? Was ist das für ein dämliches Spiel?“ Seine Stimme ist tief, wohlklingend und verzweifelt.
“Das...ist kein Spiel. Lass es mich erklären.“ Alice geht auf ihn zu und legt ihm eine Hand auf die Schulter. Er schüttelt sie ab und faucht:
“Was denkst du tust du hier?!“ Die Frage ist offenbar an mich gerichtet, denn er starrt mich erneut an.
“Ich bin nicht Jo...“ Weiter komme ich nicht, denn Andrew stößt erneut einen Klagelaut aus von dem ich niemals gedacht hätte, dass er von einem Menschen stammen könnte. Er dreht sich von mir weg, seine Schultern beben. Alice ist genauso hilflos wie ich, trotzdem versucht sie leise auf ihn einzureden.
“Das ist nicht deine Schuld“, wispert mir mein Retter Schrägstrich der Hippie zu, den ich vollkommen vergessen habe. Wie viele Brüder hat Alice?! Und überhaupt: Nein, es ist nicht meine Schuld. Es ist verdammt noch mal nicht meine Schuld, dass mir das Universum oder das Schicksal oder was weiß ich, das Aussehen einer Hexe gegeben hat, mit einer Seele die absolut schwarz sein muss. Denn auch hier hat Joleen offenbar Spuren hinterlassen und bei Andrew besonders tiefe. Der dreht sich nun wieder um und starrt mich hasserfüllt an. Eigentlich müsste ich es inzwischen gewöhnt sein, doch ich zucke zusammen. Dann geht er langsam auf mich zu. Ich verspüre den Drang mich zu ducken oder mich hinter Alice' anderem Bruder zu verstecken.
“Andrew“, sagt Alice warnend. Offenbar hat auch sie Angst um mich. Ganz dicht vor mir bleibt er stehen und ich muss meinen Kopf in den Nacken legen um ihn ansehen zu können.
“Ich schlage keine Mädchen. Aber alles was ich jetzt gerne tun würde hast du verdient, Schlampe.“ Und dann geht er an mir vorbei. Ich bleibe regungslos zurück. Irgendwo in mir drin rührt sich Wut. Ich bin keine Schlampe! Sie ist eine! Frustriert stoße ich einen Seufzer aus. Alice sieht mich mitfühlend an.
“Andrew hat wegen ihr viel durchgemacht“, sagt sie leise. Ich nicke. Das habe mir gedacht und während wir uns alle auf eine Couch setzen und ich mit dem erzählen beginne schwirrt nur eine Frage in meinem Kopf rum: Was hat sie getan?
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Ich habe lange überlegt was ich sagen soll. Die Wahrheit würde vermutlich nicht gut ankommen:  Ich soll mich bei euch einschleimen und es finden, aber ich habe eigentlich keine Ahnung was es ist. Macht einfach so weiter wie bisher, ich finde es schon raus.
Nachdem ganzen Chaos hier zu urteilen würde es definitiv nicht gut ankommen, wenn ich ihnen sage, dass ich mit Joleen zusammenarbeite. Also muss ich wieder lügen:
“Ich bin auf der Flucht“, beginne ich.
“Vor Joleen?“, fragt Alice zögernd. Ich nicke.
“Ursprünglich komme ich aus Kalifornien, da kannte ich sie noch nicht und wusste nicht mal, dass ich eine...eine Doppelgängerin habe.“
“Doppelgängerin“, wiederholt Alice. “Wenn wir dir tatsächlich trauen können und du bist nicht Joleen, dann wäre diese Doppelgängersache ziemlich gruselig.“ Erneut nicke ich.
“Ist es. Jedenfalls bin ich mit meiner Tante umgezogen, mitten aufs Land. Niemand konnte mich leiden, alle haben mich gemieden und gehasst, ohne überhaupt mit mir geredet zu haben. Es gab nur wenige Leute die mir eine Chance gaben.“ Beim Gedanken an Dahna zieht sich mein Herz zusammen. Nach einer kurzen Pause fahre ich fort:
“Nach einer Weile habe ich rausgefunden, dass Joleen dort gelebt hat und nicht gerade...positiv in Erinnerung geblieben ist, deswegen...“
“Na was für ein Zufall das du ausgerechnet in Joleens altem Dorf gelandet bist, was?“ Ich fahre herum. Die Stimme stammt von Henry, meinem Angreifer. Er steht hinter der Couch und funkelt mich an, als wolle er jeden Moment erneut auf mich losgehen. Alice springt auf.
“Henry, was bildest du dir ein hier noch aufzutauchen?!“
“Das ist auch meine Wohnung, Schwesterherz“, gibt dieser sarkastisch zurück. “Und die richtige Frage lautet: was bildet sie sich ein hier aufzutauchen?“
“Das ist nicht Joleen! Sondern Mary.“
“Klar doch. Erinnerst du dich an Joleen? Lügen war ihr zweiter Vorname.“
“Was hätte sie davon hier aufzutauchen und so zu tun als wäre sie jemand anders?“, fragt der Hippie dazwischen.
“Halt die Klappe, Vincent und fall' mir nicht in den Rücken.“ Vincent verschränkt die Arme vor der Brust und schweigt mit verbissenem Gesichtsausdruck.
“Also, ich bin dafür, dass sie einen Test macht. Wenn sie den besteht, darf sie von mir aus bleiben.“ Stille. Alice schützt die Lippen.
“Und was soll das für ein Test sein? Es gibt leider keine Seite auf Google die: Wie finde ich heraus ob ich hier eine Doppelgängerin vor mir habe, heißt.“ Ich muss grinsen, hingegen Henry wütend mit den Zähnen knirscht.
“Nein, natürlich nicht. Es gibt eine viel einfachere Lösung.“ Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
“Joleen ist unsterblich, also muss ich einfach so weitermachen wie vorhin und wir sehen was passiert...“
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Hallo!
Ich hatte mich eigentlich aus der Geschichte “rausgelebt“, aber es kamen einige Anfragen und deshalb habe ich mich hingesetzt und geschrieben:) Da ich solange nicht aktiv war kann es sein, dass ein paar Logikfehler drin sind, wegen Namen oder Dingen die ich woanders schonmal erwähnt habe. Wenn euch was auffällt, schreibt es bitte in die Kommentare. Und auch sonst ist Feedback natürliche immer erwünscht!:) Ich habe auch Ideen bekommen die ich umsetzen werde, danke dafür!
Es kann außerdem sein, dass mein Schreibstil sich etwas verändert hat, aber ich hoffe, ihr mögt es immer noch:)
Ich glaube man kann immernoch schöne Weihnachten wünschen, deswegen: Schöne Weihnachten und bis zum nächsten Mal!

Anmerkung 2: Ich weiß nicht, ob bei euch allen dieses Kapitel sichtbar war...Ich habe jetzt “Kurze Info“ raus genommen, weil ich nicht wusste, wie man die Reihenfolge ändert. Die Info wäre immer hinter dem neuen Kapitel gewesen:( Wie auch immer: einen guten Rutsch und ein Gesundes neues Jahr 2017 an alle da draußen!

Die Doppelgängerin (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt