Kapitel 6

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Ich vermute sofort, dass Alice in dem Zimmer wohnt. Sanfte Pastelltöne begrüßen mich und über dem riesigen Himmelbett in der Mitte hängt eine süße Lichterkette. An den Wänden hängen Poster und Fotos, in der Ecke steht ein Schreibtisch und ein Sitzsack. Ich schlucke. Ihr Zimmer sieht so normal aus. Etwas, das ich nie hatte. Weder waren meine Wände schön gestrichen noch besaß ich ein Bett mit so fluffig aussehenden Kissen. Als meine Eltern noch lebten stand in meinem Zimmer eine Schlafcouch, die völlig ausreichend, jedoch nicht damit vergleichbar war. Nach ihrem Tod kümmerte es mich nicht mehr, wie und wo ich schlief. Doch dieser Anblick weckt eine Sehnsucht in mir, die ich nicht kenne. Der Wunsch nach Normalität und einem ebenso schönen Zimmer. Meine Gedanken werden unterbrochen als die Tür aufgeht und Vincent herein kommt. Ich bin erleichtert, dass es nur er ist.
“Hey.“ Zögernd sieht er mich an.
“Es ist wirklich nett von euch mich hier her einzuladen, nur bezweifle ich das es eine so gute Idee ist, weil...“
“Hast du Angst?“, unterbricht er mich.  Jetzt bin ich diejenige, die zögert.
“Du meinst vor deinen Brüdern? Ein bisschen. Aber ihnen muss schreckliches widerfahren sein.“ Vincent seufzt lang und tief.
“Ja, definitiv. Alice wird dir mit Sicherheit alles erzählen, wenn sie zurück kommt. Was ich sagen wollte: Du musst keine Angst haben. Wir beschützen dich.“ Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und ich bin mir plötzlich sicher einen sehr, sehr guten Menschen gefunden zu haben.
“Danke.“ Er wendet sich zum Gehen, als ihm etwas einfällt.
“Es tut mir übrigens leid.“
“Was denn?“
“Das Henry dich angegriffen hat, war meine Schuld. Wir sind uns ja einen Tag zuvor im Café begegnet und ich habe dich auch für Joleen gehalten und habe Alice davon erzählt. Sie wollte dich sofort finden, anscheinend hat sie nicht daran geglaubt. Henry muss uns belauscht haben und uns gefolgt sein. Als er dich gesehen hat sind bei ihm alle Sicherungen durch gebrannt.“
“Schon gut, das war nicht deine Schuld.“ Er schenkt mir ein Lächeln und verschwindet. Nun stehe ich allein da und mir fällt das Hotel mit den zurück gelassenen Sachen auf. Was geschieht damit? Plötzlich piept mein Handy in der Hosentasche. Ich habe es mit gehabt?

Gut gemacht. Aber nicht zu viel Lob für den Anfang. Noch hast du nichts erreicht. Du brauchst ihr Vertrauen, dann werden sie dumm genug sein und dir von allein erzählen was ich suche

Ohne Zweifel kommt diese SMS von einer ganz bestimmten Person. Ein Schauder läuft über meinen Rücken und ich lösche die Nachricht schnell. Warum habe ich mich darauf eingelassen? Ich helfe hier Joleen! Joleen! Wütend auf mich selbst setze ich mich in den Sitzsack und hänge weiter meinen Gedanken nach.

Alice kommt ungefähr 20 Minuten später ins Zimmer und sieht etwas außer Atem aus.
“Sorry das es so lang gedauert hat! Du kannst in meinem Bett schlafen und dir die Seite aussuchen!“ Etwas überrumpelt stehe ich auf.
“Oh danke, das ist wirklich...“
“Gerne. Hast du irgendwo Sachen?“
“Im Hotel.“
“Okay.“ Alice runzelt kurz die Stirn.
“Egal. War da etwas lebenswichtiges drin?“
“Mein Pass.“
“Schreib uns die Adresse vom Hotel auf, Vincent fährt hin und holt deine Sachen.“
“Das kann ich doch auch...“
“Er macht das gerne.“ Ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen, als wüsste sie mehr als ich und lässt sich dann aufs gemachte Bett fallen.
“Puh bin ich fertig. Hast du Hunger? Oder irgendwelche Fragen?“ Fragen habe ich tatsächlich duzende.
“Ich habe eine...ziemlich große.“ Alice sieht aus als wüsste sie bereits was ich fragen will.
“Was ist damals passiert? Mit Joleen und Andrew und Henry?“ Nervös spielt sie mit der Tagesdecke.
“Das erzähle ich dir...ein andern Mal. Dafür braucht es ein bisschen Zeit.“ Wir haben doch Zeit, will ich sagen, doch ihr Gesichtsausdruck lässt mich schweigen.
“Andrew hat sich etwas beruhigt, aber er kommt heute Abend nicht mehr zurück.“
“Es tut mir so leid, ich wollte wirklich nicht...“
“Nein, es ist schon in Ordnung, wirklich! Joleen ist...eine Gefahr für jeden der mit ihr in Berührung kommt und wir sollten uns alle beschützen.“ Ich zögere.
“Ich hab lange nach einer Erklärung gesucht, weißt du? Ich meine, warum wir absolut gleich aussehen. Wir sind nicht verwandt, ich konnte keine geheime Spur finden, da ist absolut nichts!“ Alice starrt eine Weile ins Nichts.
“In dieser Welt kann man so etwas nicht mit Verwandschaft erklären.“ Meine Finger krallen sich in die Decke.
“In dieser Welt? Was soll das heißen?“
“Ich glaube, es ist etwas, das wir nicht erklären können. Joleen und du seit völlig unterschiedlich, vielleicht symbolisiert ihr das Gute und das Böse in einem.“
“Aber das bedeutet doch...“ Alice begegnet meinem Blick.
“Das in jedem von euch beides steckt.“

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 23, 2017 ⏰

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