Kapitel 7

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Meinen ersten Schultag in Hermosa Beach hatte ich mir anders vorgestellt.

Am Eingang der High School warteten Dylan, Julia und Brendon auf mich. Julia verabschiedete sich allerdings einen Moment später, ebenso Brendon. Denn Julia war ein Jahrgang über Dylan und mir und Brendon sogar zwei Jahre.

Da ich vorher Dylan gefragt hatte, welche Kurse er belegte, hatte ich teilweise dieselben ausgewählt. Dennoch waren unsere Stundenpläne nicht identisch, da ich fand, dass es merkwürdig wäre, wenn ich ihm überall hin folgen würde. Schließlich wollte ich sein Vertrauen gewinnen und ihm zur Seite stehen. Keinesfalls wollte ich wie eine Stalkerin rüberkommen.

Ich folgte Dylan in den ersten Klassenraum und merkte, dass er immerhin kein absoluter Außenseiter war. Ein Mädchen und drei Jungen kamen langsam auf uns zu als wir den Raum betraten.

Sie begrüßten sich untereinander, wobei das meiste von seinen Freunden ausging. Sicherlich hätte er mehr Freunde haben können, aber er war eben sehr ruhig.

Als sie mit ihrer Begrüßung, bei der ich erst einmal außen vor geblieben war, fertig waren, wandten sie sich mir zu und Dylans Freunde fragten, wer ich sei.

„Das ist Lina. Sie ist in den Ferien hier nach Hermosa Beach gezogen", stellte mich Dylan vor. Man sah den vier Freunden an, dass sie überrascht waren, dass Dylan in den Sommerferien eine neue Freundschaft geschlossen hatte. Und dann auch noch mit jemandem, der völlig neu in der Stadt war.

Natürlich hatte das größtenteils an mir gelegen. Ich war etwas aufdringlich gewesen, hatte mich immer wieder bei ihm gemeldet und nicht locker gelassen. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich nun langsam in die nächste Phase gehen und dafür sorgen konnte, dass er mehr aus sich heraus kam.

Seine Freunde schienen nett zu sein, auch wenn es nicht viele waren. Wir setzten uns alle relativ nah zusammen.

Einige der anderen Schüler starrten mich an oder warfen mir immer wieder abschätzende Blicke zu. Als wäre ich in irgendeiner Art und Weise merkwürdig.
Mehrmals an diesem Tag sah ich deshalb an mir herab und überprüfte, dass ich nicht irgendwo einen Fleck oder so etwas hatte. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was an mir so auffällig war.

Als es am nächsten Tag wieder genauso lief, wollte ich herausfinden, weshalb ich wie eine Außerirdische angeschaut wurde. Deshalb holte ich in einer der Pausen das Handbuch hervor.
Meine Hoffnung bestand im Grunde nur darin, dass Engel doch alles Mögliche können mussten. Somit vielleicht auch Gedanken lesen.

Meine Hoffnung wurde jedoch getrübt als ich las, dass Gedanken lesen tatsächlich möglich war, jedoch erst ab Rang vier.
Davon war ich noch sehr weit entfernt.

Aber ich konnte etwas anderes tun. Engel, die noch in der Ausbildung waren oder einen niedrigen Rang hatten, konnten ihr Gehör spezialisieren. Das hieß, dass sie ein Gespräch aus beispielsweise zwanzig Metern Entfernung hören konnten, wenn sie sich darauf konzentrierten.

Ich wollte es versuchen. Denn ich sah darin die Möglichkeit, herauszufinden, was meine Mitschüler so sehr an mir störte.
Als sie mich also mal wieder auf dem Schulgang abschätzig anschauten und anschließend zu tuscheln begannen, versuchte ich mich auf ihre Stimmen zu konzentrieren.

Anfangs bildete sich ein kräftiger Druck in meinem Kopf, was ziemlich unangenehm war. Dann ging es zu einem starken Hämmern über und schmerzte noch mehr.
Schlussendlich klangen die Schmerzen ab und ich konnte etwas verstehen.

„Schaut euch doch nur ihre Sachen an", sagte ein Mädchen schnippisch. Sie stand in einer Gruppe, die sich wohl für besonders cool hielt.
Ein anderes Mädchen stimmte ihr zu: „Als würde sie aus einem anderen Jahrzehnt kommen."
"Die hat sich sicher verirrt."

Ich fing an zu grinsen und musste sogar beinahe lachen. Für alle anderen musste ich nun wahrscheinlich aussehen wie eine Verrückte aus einem anderen Jahrzehnt.
Ich fand es einfach zu lustig, dass sie sagten, ich sehe aus wie aus einem anderen Jahrzehnt. Schließlich stimmte das ja auch.

Aus alledem machte ich mir nicht. Für mich sahen die meisten von ihnen auch dämlich aus. Ihre Mode passte gar nicht zu meinem Look. Im Jahr 2015 kleidete man sich komplett anders.

„He, was ist denn so lustig?"
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Dylan neben mich getreten war. Zu sehr hatte ich mich auf die Schüler konzentriert, die über mich lästerten.

„Ach nichts", log ich. Ich sah zu ihm hinüber und merkte, dass er mir schon gar nicht mehr zuhörte. Stattdessen starrte er zu den Lästermäulern hinüber. Insbesondere ein Mädchen hatte er im Auge. Ich konnte mir schon denken, auf was das hinaus lief.

Ich stieß ihn mit dem Ellbogen leicht an und fragte dann flüsternd: „Wer ist das?"
„Du meinst sie?" Dylan zeigte auf eine Blondine. Im Jahr 2015 in Deutschland wäre sie höchstens als Barbie-Püppchen durchgekommen. Doch Dylan schien sie toll zu finden. „Das ist Sarah."
Er sprach den Namen englisch aus und irgendwie passte der Name zu ihr. Ich kann nicht sagen, wieso es mir so vorkam. Es passte einfach.

„Stehst du auf sie?", fragte ich weiter und zwinkerte mit einem verschwörerischem Grinsen.
Schnell schüttelte er den Kopf: „Oh Gott, nein! Sie ist viel zu toll für mich und... nein, nein."

„Du stehst also auf sie", stellte ich fest und grinste noch mehr. Er sah mich böse an, doch ich ignorierte das einfach. „Hast du sie denn schon mal gefragt, ob sie irgendetwas mit dir unternehmen will?"
Wieder schüttelte er den Kopf energisch und erläuterte mir in einer langen Predigt, weshalb, er sie nie gefragt hatte. Irgendetwas von wegen sie sei eine ganz andere Liga, die Jungs ständen bei ihr Schlange, und noch vieles mehr. Mich interessierte das alles jedoch recht wenig.

Ich wusste zwar wie Mädchen wie Sarah waren, denn im Grunde... im Grunde war ich ja selber ein Mädchen dieser Sorte. Dennoch wünschte ich mir, Dylan würde sein Glück probieren. Auch wenn er wahrscheinlich einen Korb bekommen würde, war es gut, wenn er sich überhaupt erst einmal traute sie zu fragen.

„Weißt du was?", sage ich zu Dylan und klopfte ihm dabei auf die Schulter. „Du brauchst einfach mehr Selbstbewusstsein. Und weißt du was da unter anderem hilft?" Ich legte eine kurze, dramatische Pause ein. „Shoppen!"
„Shoppen?", wiederholte er skeptisch.
Ich nickte kräftig. „Ja, shoppen. Du brauchst nicht mal einen komplett anderen Look. Aber mir ist schon aufgefallen, dass du oft dieselben Sachen trägst, da könntest du ruhig mal etwas Neues wagen und jedem macht shoppen Spaß."
„Ja, jedem Mädchen macht shoppen Spaß", murmelte er während wir auf den Weg zur nächsten Stunde waren.

Auch wenn sich Dylans Begeisterung in Grenzen gehalten hatte, gingen wir vier Tage später shoppen. Er hatte gar keine Wahl. Mit dabei waren Julia, ich und eine Schulfreundin namens Clarissa. Ursprünglich waren auch seine Kumpels eingeplant, doch die hatten nicht wirklich Lust auf shoppen gehabt und wir hatten sie nicht überzeugen können.

Wir trafen uns in der Mall an einem kleinen Brunnen. Von dort aus ging es los und wir klapperten alle möglichen Läden ab. In jedem Geschäft suchten Julia, Clarissa und ich Klamotten für Dylan, die er dann anprobieren musste. Leider war es oftmals so, dass entweder er etwas mies fand oder wir Mädchen fanden, dass es nicht besonders gut aussah.

Vor allem ich, obwohl ich einen ziemlich guten Geschmack hatte, war keine große Hilfe. Mein Stil war einfach auf andere Sachen ausgelegt. Allzu sehr hat sich die Mode zwar teilweise seit 2005 nicht verändert, doch trotzdem konnte man merken, dass ich nicht aus demselben Jahr stamme wie Dylan und seine Freunde.

Allerdings war das gar nicht so schlimm. Im Grunde gestaltete es den ganzen Tag dadurch nur noch lustiger. Wir waren eben alle unterschiedlich und das wurde schon bei unseren verschiedenen Stilen deutlich.

Der Tag endete damit, dass Dylan nur wenige neue Sachen gekauft hatte, die noch dazu wie all seine anderen aussahen, und wir wieder in der Smoothiebar saßen.

Wir unterhielten uns über irgendetwas Sinnloses und lachten zusammen. Wir vier hatten einfach Spaß ohne uns darum zu kümmern, ob womöglich Sarah oder jemand anderes von unserer Schule vorbeikam. Ich hatte das Gefühl, dass Dylan das Shoppen doch etwas gebracht hatte. Und das war kein leeres Portemonnaie, sondern Spaß mit drei Freundinnen, vielleicht sogar ein wenig mehr Selbstbewusstsein und vor allem Unbeschwertheit. So viel und so ausgelassen hatte ich ihn vorher noch nie in der Öffentlichkeit lachen sehen.

Schutzengel [Dylan O'Brien FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt