#76 - Die Pflicht ruft

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»Abernathy«, sagte ich etwas überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass er auch gleich vor der Krankenstation auf mich wartete – eher in seinem Büro oder so. Er trug einen Anzug und schien sehr erschöpft auszusehen. Seine Stirn hatte er in Falten gelegt.

»Es wurde auch Zeit, dass du aufwachst«, meinte Abernathy streng, aber ich meinte ein bisschen Erleichterung in seiner Stimme zu hören.

»Ja, ich bin auch froh«, erwiderte ich. Und das war ich wirklich.

»Nun, wie du dir sicher schon denken kannst, muss ich mit dir in meinem Büro über ein paar Angelegheiten sprechen. Deine Freunde kannst du später noch begrüßen.«

Seufzend nickte ich. Die Pflicht ruft.

Schnell sah ich nochmal zu den Leuten um mich herum. Liz, Adrian, Alex, meine Mom und Abernathy. Erst jetzt fiel mir auf, dass Ryan nicht dabei war. Das schlechte Gewissen breitete sich mal wieder aus. Ich schluckte und versuchte es zu ignorieren.

Ich ging neben Abernathy zu seinem Büro. Dabei kamen wir an ein paar Wächtern vorbei, die mir ein Lächeln zuwarfen, was ich leicht unsicher immer erwiderte. Anscheinend waren sie froh, mich zu sehen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

»Wir sind da«, riss mich Abernathys Stimme aus meinen Gedanken.

Zu Zweit betraten wir den Raum und ich setzte mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, er setzte sich hinter ihn. Dabei griff er in eine Schublade und holte etwas hervor.

»Ich glaube das willst du wiederhaben – es funktioniert sogar noch. Wir haben es in einer Mülltonne in der Innenstadt gefunden«, erklärte er mir und reichte mir ein kleines Gerät.

Ich nahm es entgegen und stellte fest, dass es mein Handy war. Ein kleiner Riss war auf dem Display zu sehen, ansonsten war es unbeschädigt.

»Danke.« Ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln. »Auch dafür, dass Sie im Müll dafür gewühlt haben.«

Abernathy lauchte kurz laut auf. »Das war Adrian, nicht ich. Es war eine Art Strafe dafür, dass er dich verloren hat.«

Bei der Vorstellung, wie Adrian in einem Mülleimer rumwühlte, zogen sich meine Mundwinkel noch weiter nach oben. Tja, nächstes Mal sollte er wohl echt besser aufpassen.

»Nun wieder zu den ernsten Angelegenheiten.« Er räusperte sich und lehnte sich in seinem gemütlich aussehenden Stuhl zurück. »Deine Schulleiterin ist ziemlich hartnäckig muss ich sagen. Die liebe Mrs Jones war bei dir zu Hause und war nicht gerade begeistert, als sie erfahren hat, dass du da nicht mehr wohnst und dein Vater keine Ahnung hatte, wo du bist.«

Oh. Mrs Jones, meine Lieblingslehrerin, machte sich wohl etwas zu viele Sorgen um mich. Es war nett gemeint, aber man konnte es auch übertreiben.

»Jedenfalls denkt die Schule jetzt, dass du einen Autounfall hattest. Wir haben uns vom nächsten Krankenhaus eine Art Bescheinigung besorgt, also falls jemand fragt; du lagst für einen Monat und eine Woche wegen eines Autounfalls im Koma, soweit verstanden?«

»Ja.«

Abernathy wirkte zufrieden. »Gut. Und jetzt kommen wir zu dir. Du, Zoey, hast ziemlichen Mist gebaut, weißt du das eigentlich?!« Seine Stimme wurde tiefer und er funkelte mich an.

Ich schluckte. »Ja das weiß ich«, murmelte ich eingeschüchtert.

»Die Konsequenzen, auf eigene Faust zu handeln, können enorm sein, wie du sicher bemerkt hast! Du bist nach Italien verschleppt worden und hätte Giada nicht ein Gefühl gehabt, dass du nicht so weit Weg bist, wärst du immer noch bei den Venatori! Du hast einen verdammten Filmriss und du hast deinen eigenen Wächter beinahe umgebracht! Du hast dich absolut nicht unter Kontrolle, aber das weißt du auch, nicht wahr?«

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