#3 Hope

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Wieder im Dorf angekommen, atme ich durch und gehe durch die kleinen Gassen in Richtung Supermarkt. Als ich diesen erreiche, nehme ich mir einen Einkaufswagen und fahre damit durch die Gänge. Ich stelle mich auf das Getränketransportierbrett des Wagens drauf und fahre so zu meinen gewünschten Lebensmitteln. Das Gemüse liegt ausgebreitet vor mir und ich bewundere endlich mal wieder die Vielfalt an Farben und der Qualität . Die Tomaten zum Beispiel sind hier viel fruchtiger und röter als in Deutschland. Ich erinnere mich daran, wie ich früher immer mit meiner Mutter hier auf der Insel einkaufen war und sie nur mit Fragen gelöchert habe, das waren noch Zeiten. Zu der Zeit habe  ich auch ziemlich viel mit meiner Freundin, Lucy unternommen,... Nein andere Gedanken, schnell!
Energisch packe ich eine Gurke und werfe sie in den Wagen, bevor ich weiter durch den Laden fahre.

Als ich das Geschäft verlasse, habe ich alle Einkäufe in meinem Rucksack verstaut. Langsam schlendere ich den Weg in Richtung unser Haus an und hänge dabei meinen Gedanken nach.
Plötzlich spüre ich, wie jemand neben mir geht. Ich blicke nach rechts, direkt in große, braune Kulleraugen, die mich aufmerksam mustern. Es ist das Mädchen von heute vormittag.
"Bist du traurig?", fragt sie. Verdutzt sehe ich sie an.
"Wa-was?"
"Bist du traurig?", wiederholt sie ihre Frage.
Ich senke meinen Blick.
"Ein bisschen", murmle ich.
"Wenn du darüber redest, ist es nicht mehr ganz so schlimm!", meint sie und hüpft die Straße entlang. Ich muss lächeln. Ihre schwarzen Haare wehen im Wind und ihr Rocksaum hüpft auf und ab.
Das Mädchen setzt sich auf einen Stein am Straßenrand und klopft neben sich.
"Na los!", fordert sie mich auf.
Verwundert bleibe ich stehen und sehe sie an.
"Wenn man traurig ist, muss man darüber reden, und das geht am besten, wenn man sitzt!", erklärt sie.
Seufzend setze ich mich neben sie. Ihre braunen Kulleraugen sehen mich erwartungsvoll an.
"Weißt du", beginne ich, "wenn man jemanden ganz ganz gern hat und ihm alles erzählt, wenn dieser jemand deine beste Freundin ist oder dein... Freund, dann ist es sehr schön, wenn dieser jemand bei einem ist. Und es ist sehr, sehr traurig, wenn er nicht da ist."
Na toll, wie soll ich mit einem kleinen Mädchen über den Tod reden, ohne ihr Angst zu machen?
Aber sie sieht mich fordernd an, also erzähle ich weiter.
"Und weißt du, vor fünf Jahren sind die zwei Menschen gegangen, die ich, neben meiner Familie, am meisten geliebt habe. Meine beste Freundin und mein Freund. Sie sind.... gestorben. Bei einem... Tsunami. Hier auf dieser Insel."
So, jetzt ist es raus. Ich schaue zu dem kleinen Mädchen, doch zu meinem Erstaunen sieht sie mich nur an. Anscheinend weiß sie, was ein Tsunami ist und was es mit dem Begriff 'sterben' auf sich hat.
"Ich habe meinen 16. Geburtstag hier gefeiert, mit allen meinen Freunden. Ich war so glücklich. Und dann... kam der Tsunami. Und das Erdbeben. Und sie haben viele Menschen... naja... getötet eben. Und da waren auch Lucy und Luca dabei. Am Tag nach dem Tsunami haben wir die toten Menschen ausgegraben und Lucy ist nach hause geflogen worden, damit sie dort begraben werden kann. In unserem Garten steht auch noch so etwas ähnliches wie ein Grab, nur ohne Körper. Seitdem war ich nicht mehr auf der Insel."
Das Mädchen sieht mich schräg von der Seite an.
"Und Luca?", fragt sie.
Meine Füße spielen mit einem Steinchen und ich kaue auf meiner Unterlippe.
"Lucas Körper... wurde nie gefunden", antworte ich leise.
Mir rollt eine einzelne Träne über die Wange.
Das Mädchen rutscht näher an mich heran.
"Wie heißt du eigentlich?", fragt sie.
"Annie. Und du?"
"Hope", sagt sie.
"Das ist ein sehr schöner Name", schniefe ich. Die Tränen rollen wieder.
"Also, eigentlich ist Hope mein Spitzname. Ich heiße Catherine. Aber meine Mutter nennt mich so, seit ich zwei bin. Weil ich da ihre einzige Hoffnung war, weißt du? Da ist nämlich mein Papa gestorben. Bei einem Tsunami. Zwei Tage vor meinem Geburtstag. Mama war sehr traurig. Übermorgen ist Grabgeh-Tag. Da ist er nämlich gestorben."
Hope springt von ihrem Stein.
Meine Tränen fließen noch stärker. Übermorgen ist auch der Todestag von Lucy und Luca.
Dann ist Hopes Vater im selben Tsunami gestorben wie meine Freunde.
"Anniie, wie alt bist du?"
Typisch Kinder, springen von einem Thema ins nächste.
"Ich werde morgen einundzwanzig", antworte ich.
"Ich werde in vier Tagen sieben!"
Hope klingt stolz. Ich grinse schief.
"Ich muss jetzt gehen!", verkündet Hope. "Sonst krieg ich kein Mittagessen. Geht's dir jetzt besser?"
Ich nicke langsam.
Mit einem zufriedenen Lächeln hüpft Hope die Straße hinunter. Ich bleibe noch etwas sitzen, bis ich wieder klare Gedanken fassen kann. Übermorgen ist Grabgeh-Tag... Übermorgen ist Grabgeh-Tag . Ich fasse den Entschluss, dorthin zu gehen . Mit wackeligen  Beinen und dem Entschluss an das 'Grab' von Lucy zu gehen, stehe ich auf und laufe zurück nach Hause, mit den Gedanken bei Hope, dem Grabgeh-Tag und Lucy & Luca . Zuhause, also in unserem Urlaubsdomizil, angekommen, empfängt mich kein aufgelöster Phil, der sich um mich sorgt und mich frägt wo ich war, der mir nicht meine Einkäufe abnimmt und mit mir die Lebensmittel&Co. aufräumt und mich danach küsst und mir sagt, dass er mich liebt. Nein, Phil liegt am Meer, ist ja schön und gut, wir haben Urlaub, aber, dass er sich nicht einmal frägt wo ich war, oder mir vielleicht hilft, darauf kann ich warten. Etwas angepisst, gehe ich in mein Zimmer und lege mich schlafen. Nach kurzer Zeit bin ich dann weit weg, im Land der Träume.

"Aufstehen, Annie!"
Grummelnd drehe ich mich um.
"Annie, du stehst jetzt sofort auf!"
Gerade will ich den Kopf schütteln, da fällt es mir ein.
Heute. Geburtstag. Einundzwanzig.
Glücksgefühle durchfluten mich. Doch sie hören sofort wieder auf, als mir auffällt, dass Phil seit unserer Anreise nichts davon erwähnt hat. 
Oh, ich bringe ihn sowas von um, wenn er meinen Geburtstag vergessen hat!!!
"Ich geh schon mal runter!", verkündet er.
Wehe.
Ich warte kurz, dann folge ich ihm. Unten angekommen begrüßt Phil mich mit offenen Armen.
"Alles Gute zum Geburtstag!"
Er hat es nicht vergessen!!
Ich könnte vor Freude in die Luft springen.
Halt, warte. Kein 'Schatz', kein Kuss, kein Garnichts.
Und die tolle Stimmung ist verflogen.
"Hier, ich hab was für dich!"
Phil tritt zur Seite und offenbart einen gedeckten Tisch mit einem Kuchen (!!) und einem kleinen Päckchen, das ich natürlich sofort aufreiße.
Ein Armband mit silbernen und roten Perlen.
Ein Armband mit silbernen und roten Perlen?!?!?
"Äh.. Danke."
"Willst du gleich frühstücken oder erst später?"
"Äh, später."
Mit diesen Worten sprinte ich nach oben. Ich bin enttäuscht von meinem Freund, aber so richtig. Was denkt der sich eigentlich, mir ein rot-silbernes Armband zu schenken?! Ein rot-silbernes!!!!!!!!
Frustriert schlüpfe ich in meinen Bikini und renne nach oben. So wie es aussieht, hat Phil den Pool noch nicht gefunden.
Ich springe hinein und pflüge durchs Wasser. Als ich atemlos am anderen Beckenrand angekommen bin, verschnaufe ich erst einmal und genieße wieder einmal diese wunderbare Aussicht von hier oben.
Bis ich plötzlich eine Stimme hinter mir höre.
"Niki?"

Summer DreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt