Kapitel 1

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"Rebecca Kristen Amelia Herford, steh sofort auf und komm runter in die Küche!"
"Ich hasse es wenn sie so schreit und wenn sie mich so nennt ich habe ihr schon x mal erklärt, dass ich Beccy genannt werden möchte! Ich meine sie ist ja wirklich nicht die hellste, aber wenigstens das sollte sie sich merken können!", dachte ich mir, während ich verschlafen auf meinen Wecker schaute. Es war erst sieben Uhr und meine Tante schrie so laut, dass die Vögel, die neben meinem Fenster ein Nest gebaut hatten, vor Schreck laut loszwitscherten. Ich bin heilfroh, dass ich nicht ihre Stimme geerbt habe. Ich glaube würde es Wettbewerbe dafür geben wer am lautesten und ohrenbetäubesten schreit, hätte sie schon einige Pokale bei sich rumstehen.
Da ich wohl keine andere Wahl hatte, stand ich auf und ging nach unten ohne mich gewaschen, noch angezogen zu haben. Als ich nach unten kam, war das erste was ich sah meine Tante. Sie stand in der Küche und funkelte mich mit grünen, glasklaren Augen, wie die einer Puppe, an. In der Hand hielt sie, wie jeden Morgen, eine Tasse widerlichen grünen Tee. " Sag mal, wie siehst du denn aus? In zehn Minuten müssen wir auf der Modenschau von Lulu La Fleur sein! Hast du denn schon wieder vergessen was ich dir gestern Abend doch so ausführlich erklärt hatte?" Natürlich hatte ich es nicht vergessen! Wie konnte ich auch? Sie hatte mir gestern Abend als ins Bett gehen wollte, noch einen halbstündigen Vortrag darüber gehalten, wie fantastisch Lulu La Fleur doch sei und dass sie sich schon so lange kennen würden... Bla bla bla!
Sie redete weiter auf mich ein, dass ich mich ja höflich verhalten solle bei der Modenschau, doch ich hörte ihr gar nicht mehr zu, sondern musste einfach auf ihr heutiges Outfit starren. Ich glaube ich hatte noch nie so viele Perlen an einem Körper gesehen. Sie trug einen viel zu lange Perlenkette, die im Licht der Küchenlampe weisslich funkelte, ein Paar weisse Perlenohringe, ein Perlenarmband und als wäre das schon nicht genug, hatte sie am rechten Fussknöchel nochmals ein Perlenfusskettchen. Erst nachdem ich den Blick vom vielen Schmuck gewendet hatte, betrachtete ich ihr Kleid. Ein elegantes schwarzes Kleidchen, wie dass das die fantastische Coco Chanel als "Kleines Schwarzes" bezeichnet hatte. Ich muss zugeben, dass es ihr wirklich gut stand. Aber mit der perfekten Modelfigur die sie hatte, stand ihr auch wirklich alles. Dann blickte ich auf die Schuhe: schwarze nicht allzu hohe Absatzschuhe wo vorne ein goldenes Riemchen als Deko angeklebt war. Auf Make-up und Haare achtete ich nicht einmal, denn in den 18 Jahren in denen ich schon bei ihr lebte, hatte ich sie noch kein Mal ungeschminkt oder mit ungestylten Haaren gesehen. Sei es auch nur um im Supermarkt den Einkauf zu machen, alles musste bei ihr perfekt sein. Ich weiss noch, einmal da wollte ich ins Bad gehen um mich zu duschen und hatte dabei ganz vergessen, dass sie noch im Bad war. Als öffnete ich die Tür und plötzlich hörte ich ein schreckliches Geschrei:" Mach sofort diese Tür zu und verschwinde augenblicklich! Ansonsten hast du bis ans Ende deines Lebens Hausarrest!" Ich entschuldigte mich schnell und versuchte mich daran zu erinnern, ob ich ihr Gesicht durch den Spiegel oder so gesehen hätte. Leider hatte ich nichts gesehen. Vielleicht war das auch besser so. Ich wollte ja keine Alpträume haben...
"Rebecca! Hörst du mir eigentlich noch zu? Jetzt geh und mach dich fertig in einer Viertelstunde will ich dich hübsch und gestylt wiedersehen! Und jetzt geh!" Ohne etwas zu sagen wandte ich mich um und ging extra langsam die Treppen nach oben. Bis mir einfiel, dass ich Johnny im Garten noch Guten Morgen" sagen und mit ihm spielen wollte. Johnny war mein Hund, er war der einzige Wunsch den mir Tante Brigitte erfüllt hatte. Und das nur weil ich monatelang nichts anderes getan hatte, als sie darum zu beten mir einen Hund zu kaufen. Johnny war der süsseste Hund den ich je gesehen hatte. Er war ein beiger Labrador und liebte es zu Spielen. Der einzige Haken: Brigitte hat panische Angst vor Hünden, also musste der Hund im Garten leben. Glücklicherweise hatten wir einen riesigen Garten, worin er sich wohlfühlen konnte. Ich wunderte mich nicht, dass Johnny Brigitte nicht mochte. Ich meine wer kann so eine kaltherzige und selbstsüchtige Person nur gern haben.
Zurück in meinem Zimmer, ging ich erstmals ins Bad und nahm eine lange Dusche. Ich liebe es zu duschen es ist immer so entspannend. Als ich fertig war, zog meinen Bademantel an, ging vor den riesigen Spiegel den Brigitte extra einbauen liess und betrachtete mich. Ich fand ich sah gut aus. Zum Glück überhaupt nicht wie Brigitte. Ich hatte hellbraunes, über die Schultern reichendes, glattes Haar und grosse dunkelbraune Augen mit langen Wimpern. Ich hatte schmale Augenbrauen und einige Sommersprossen auf den Wangen. Auch mein Kinn war ganz normal. Nur das ich links am Kinn einen kleinen Muttermal hatte. Dieser störte mich allerdings auch nicht. Ich wandte mich an meinen Körper. Ich hatte eine tolle Figur. Das war das einzige was ich gleich hatte wie meine Tante. Ich sah irgendwie wie eine Sanduhr aus. Normalbreite Schultern, eine schmale Taille, eine etwas breitere Hüften, aber nicht allzu breit, genau richtig und schöne Beine. Ich hatte kleine Füsse. Grösse 36. Fand ich auch nicht so schlimm. Allerdings hatte ich so kleine Zehennägel, dass ich sie mir nur schlecht lackieren konnte.
Ich holte mein Schminketui hervor und trug mir etwas Wimperntusche auf die Wimpern auf. Nebenbei klatschte ich mir noch roten Rouge auf die Wangen. Wobei mir das Döschen ausversehen auf den Boden fiel und sich so im ganzen Raum eine neblige rote Staubwolke bildete. Ich hustete einige Mal, da ich den ganzen Puder einatmete. Der Husten wurde immer fester und so rannte ich zum Fenster, öffnete es ruckartig und schnappte nach Luft. Ich stand eine halbe Ewigkeit und erholte mich vom Schock den ich erlebt hatte. Als ich mich einigermassen beruhigt hatte, ging ich zurück ins Bad und trug mir noch etwas roten Lippenstift auf die Lippen auf. Dann eilte ich zu meinem Kleiderschrank und versuchte mir etwas auszusuchen. Schliesslich wählte ich ein rotes Sommerkleidchen, das sehr kurz geschnitten war. Es hatte nur einen langen Ärmel. Der andere Arm war frei. Ich suchte mir noch ein schönes Paar Ohrringe aus und ein einfaches Armbändchen. Dann rannte ich nochmals ins Bad und kämmte mir meinen über die Stirn reichenden Pony wie ein Vorhang auf die Seite. Immer wenn ich das tat, erinnerte ich mich an diese Zeichentrickfiguren, die morgens immer als erstes zu ihren Fenstern liefen, sich ausstreckten und dann langsam und kitschig die Vorhänge beiseite schoben und blinzelnd in die Morgensonne schauten.
Als ich fertig mit mir war, packte ich schnell mein veraltetes Handy, ein Päckchen Papiertaschentücher und eine kleine Flasche Wasser in meine schwarze Clutch und rannte nach unten. Zuerst rannte ich in den Garten und begrüsste ihn mit einer Umarmung, wobei er mich dabei abschleckte. Ich schaute noch ob sein Futter- und sein Wassernapf nicht leer waren und rannte zum Auto, wo meine Tante schon ungeduldig auf mich wartete. Ich stieg ein, schnallte mich an, ohne sie überhaupt anzusehen und sie fuhr los in Richtung Modenschau.

Dieses Mal nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt