Kapitel 2

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Nach einer halbstündigen Fahrt parkierte Tante Brigitte endlich ihren nagelneuen Mercedes-Benz unter einer Eiche auf dem Parkplatz vor der GJF-Arena. Während wir ausstiegen wünschte ich mir, dass während wir bei dieser Modenschau sein würden, jemand oder etwas das Auto demolieren würde. Es könnte eine Bande wilder Teenager sein, die mit ihren spitzigen Mofaschlüsseln ausversehen das Auto zerkratzten oder aber ein riesiger Vogelschwarm könnte das Auto mit ihren Geschäften dekorieren und dabei einen LKW-Fahrer, der Daunenfedern für Kissen transportiert, so erschrecken, dass er in eine Schlammpfütze fährt und dabei noch das riesige Tor des LKWs aufgeht und das Auto voll mit Schlamm und Federn bedeckt wird. Oder noch besser alles zusammen.

Langsam näherten wir uns der grossen Arena und schon von weitem sah man die Kamerablitzlichter. Die Show müsste wohl bald beginnen. Das merkte anscheinend auch Brigitte und lief so immer schneller. So gut das in ihren High-Heels ging. Plötzlich hörte ich eine grelle Stimme hinter uns: " Brigitte, Brigitte, Brigiittteeeeeee!" Wir drehten uns um und entdeckten eine ältere Dame, die mit einem Stock lief, einige Meter hinter uns. Wir hielten an und drehten uns um. Die Dame kam in langsamen, kleinen Schritten auf uns zugelaufen. Als sie endlich bei uns ankam, umarmte sie zuerst Brigitte, dann mich. Nach einer unglaublich langen und kitschigen Umarmung liess sie mich endlich los und ich schnappte schnell nach Luft. "Mein Gott Liebes, bist du gewachsen!", sagte sie mir und wendete sich dann meiner Tante zu: " Ach, wie lange haben wir uns denn nicht mehr gesehen? Muss sicher eine Ewigkeit her sein." " Ja, das muss wirklich schon lange her sein.", meinte Brigitte mit einem aufgesetzten, falschen Lächeln. " Wollen wir schon mal reingehen? Es sollte schon bald beginnen...", flüsterte die ältere Dame komisch, während sie auf ihre goldig schimmernde Armbanduhr schaute.

In der Arena

In der Arena angekommen, mussten wir erst unseren Eintritt bezahlen. 50 Dollars pro Person... Schon blöd wieviel Geld manche Menschen zahlen, um ein paar Models in komischen Kostümen zu sehen. Nur um sagen zu können:"Hey, ich war auch bei dieser Modenschau!". Daran dachte, wie alle damit angaben bei dieser Modenschau dabei gewesen zu sein, musste ich schmunzeln.

Als wir endlich unsere Plätze gefunden hatten und ich mich gerade setzen wollte, sah ich plötzlich zwei Menschen, eine Frau und ein Mann, die auf mich zu kamen und mir zu winkten. Sie, Janet, trug ein geblümtes Sommerkleid, er, Gabe, einen Smokinganzug. Wir gingen mal zusammen in die selbe Klasse. Bis ich wieder einmal die Schule wechseln musste, da ich an keiner Schule richtig aufgenommen wurde und Freundschaften schliessen konnte. Die beiden waren schon lange zusammen, mindestens drei Jahre. Ich weiss noch als sie mir mal ein Bleistift und er mir einen Radiergummi ausgeliehen hatten, weil ich mein komplettes Schreibzeug zu Hause vergessen hatte und Brigitte es mir nicht schnell vorbeibringen wollte. Die beiden waren einfach füreinander geschaffen.

Sie fragten mich, ob ich mit ihnen einen Kaffee trinken wolle, es wäre doch besser als diese blöde Modenschau anzuschauen. Das fand ich auch. Ich sagte Brigitte schnell Bescheid. Aber ihr war es egal. Während ich mit ihnen aus der Arena lief, überlegte ich warum Brigitte wollte, dass ich überhaupt mitkäme. Ich meine, es ist Samstag, ich hätte den ganzen Morgen im Bett bleiben und mich einfach entspannen können. Stattdessen geh ich jetzt mit Halbfremden einen Kaffee trinken.
Ich glaube, genau das ist das Problem bei ihr: Sie weiss ganz genau, dass ich solche Modenschauen hasse, besonders wenn sie am Morgen stattfinden. Und genau deshalb musste ich mitkommen, weil ich es nicht mag. Wenn ich so überlege, hat sie mich schon soweit ich denken kann zu Events und Auftritten mitgenommen, bei denen sie ja weiss, dass ich sie hasse. Sie kann mich einfach nicht glücklich sehen. Was ist denn das für ein Mensch? Wenn das überhaupt ein Mensch ist...

Wir stiegen in Gabes Auto ein und während wir zum Cafe fuhren, erzählte ihm Janet von ihrem gestrigen Abend. "... und dann war da diese schreckliche Dame beim Eintritt. Ich sage es dir: einfach schrecklich! Sie hatte ganz faltige Haut und Fingernägel, fast so lang wie meine Nase waren! Und dazu hatte sie sie schwarz lackiert. Aber der grösste Teil des Lackes war schon abgesplittert..." Nach einer Weile hörte ich dem Gespräch gar nicht mehr zu und wendete mich dem laufenden Radio. "... nach langer Arbeit auf der Autobahn in Richtung Valley Stream konnte der umgekippte LKW wieder hochgehoben und der Fahrer in Sicherheit gebracht werden..." "Valley Stream, Valley Stream, Valley Stream... Irgendwie kam mir das bekannt vor..." Dann fiel es mir wieder ein. Letztes Jahr hatte ich in einem Buch davon gelesen. Ein Dorf, circa 30 000 Einwohner. Dort würde ich gerne mal hin. Einfach mal weg aus dieser Grossstadt und vorallem mal weg von Brigitte. Johnny müsste natürlich mitkommen. Brigitte wäre dann zwar wieder alleine, aber ich glaube daran ist schon gewohnt. Sie hat schon neun Ex-Männer. Ich meine, welche Frau hat schon neun Ex-Männer. Mit einem war sie sogar nur drei Tage lang verheiratet. Und alle davon waren natürlich Milliardäre. Und das komischste daran ist, dass ich an keiner der neun Hochzeiten jemals eingeladen wurde. Sie hatte immer eine gute Ausrede dafür, dass ich nicht kommen sollte. Einmal hat sie sogar gesagt:" Es bräuchte jemanden der auf das Haus aufpasse." Aber ehrlich gesagt stört es mich gar nicht, dass ich nie eingeladen wurde. Sonst hätte ich mir ein neues Kleid kaufen müssen, ihnen sogar ein Geschenk machen sollen oder aber für die beiden Turteltäubchen ein romantische Rede halten. Ich glaube, ich hätte mich dann auf der Bühne vor Ekel übergeben müssen, wenn sie sich dann küssten und Brigitte mir einen Luftkuss gesendet hätte. Einfach ekelhaft!

Meine Gedanken wurden von Janet unterbrochen:" Sag mal Beccy, in welche Klasse gehst du denn eigentlich?"

"Ich habe letztes Jahr die 12. Klasse abgeschlossen. Und ihr?"

"Wir gehen dieses Jahr aufs College", sagte Gabe und grinste mich über den Spiegel an.

Na toll! Alle haben schon Pläne für die Zukunft nur ich nicht. Wenigstens weiss ich etwas über meine Zukunft: Ich werde von hier weggehen. Und Johnny werde ich mitnehmen.

Dieses Mal nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt