Alte Geschichten

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Der versunkene Kontinent war eine weit verbreitete Legende im Empire. So oft wiedererzählt und auch missbraucht für Propaganda. Die Kirche der Einheit hat den Untergang von Ataris als Strafe Gottes für die Abspaltung von der Kirche der Einheit deklariert, vor etwa 200 Jahren, als sich viele kleine Kirchen von der Kirche der Einheit getrennt hatten. Aber auch zur Zeit war die Legende des versunkenen Ataris wieder modern geworden und stand als Theaterfassung auf vielen, vor allen jungen Bühnen des Empires. Doch dieses mal war die Botschaft eine andere und richtete sich vor allen gegen die vielen, neu entstandenen Industriezentren im Empire, eben solchen, wie auch Qualmstadt eine war. In der Legende wurde erzählt, dass die Bewohner von Ataris in ihrer Gier nach Fortschritt die Umwelt und am Ende ihren ganzen Kontinent zerstört hätten. Ob Ataris wirklich je existiert hatte war bis heute nie wirklich geklärt werden können. Er gab zwar einige wenige antike Quellen, die von diesem Kontinent als einer Seefahrernation berichten aber genauso gut konnten diese Quellen ihre Eindrücke dem berühmten historischen Drama „Der Untergang Ataris" entnommen haben können. Der unbekannte Autor hatte das Leben und den Untergang von Ataris in einem epischen Drama so detailliert beschrieben, dass man meinen könnte, er wäre dabei gewesen. Für die einfachen Arbeiterschichten, die nicht ihre Zeit mit Dramen im Theater verbrachten war Ataris nicht viel mehr als eine Abenteuergeschichte. Dem entsprechend ungläubig reagierten sie auf die Ansage des Generals.

Auch wenn der General, sparsam mit Informationen wie immer, nichts weiter erklären wollte, versuchte Prinzessin Eilyne zu erläutern, warum es Ataris immer noch gibt und auch warum kein Ozeansegelschiff oder gar modernes Dampfschiff es je entdeckt hatte. Allerdings klang die Erklärung der Prinzessin noch phantastischer, als die Gerüchte und Geschichten die um Ataris im Umlauf waren.

„Wie kann ein ganzer Kontinent sich in die Luft erheben?", fragte Argon erstaunt, „es gibt kein Gestein, das leichter als Luft ist."

Eilyne zuckte mit den Schultern und meinte, „das Geheimnis um den Flug der Inseln ist mit der Zeit verloren gegangen, nur noch Legenden ranken sich darum. Immerhin ist der Aufstieg bald 2000 Jahre her."

Tom grübelte und hatte eine ganz andere Theorie: „Vielleicht ist Ataris ja nicht wirklich Aufgestiegen, wie es nicht wirklich Untergegangen ist. Vielleicht sind es ja metaphorische Bilder für den Untergang der alten und der Aufstieg einer neuen Zivilisation, die ja immerhin jetzt in der Lage ist, beeindruckende Luftschiffe zu bauen."

„Nein, Nein", wiedersprach die Prinzessin, „Ataris liegt wirklich in der Luft. Wir sind ein schwebender Kontinent."

„Und wie erklärst de dir, dass bisher noch nie nen Zeichen von Ataris gesehen wurde?", frage Bernd Tom, ohne auf den Einwand von Eilyne einzugehen.

„Vielleicht eine bisher unerforschte Insel im Golf von Marakio?", fragte Tom, „da unten gibt es mehr als genug Inseln, da wird sicher die ein oder andere Übersehen worden sein."

„Ne Insel, groß genug, Luftschiffe dieser Größe zu bauen blieb völlig unentdeckt?", fragte Bernd zurück, „ziemlich unwahrscheinlich."

„Und wie erklärst du dir das bitte dann?", fragte Tom zurück, „sag bloß, du glaubst die Geschichte von den fliegenden Inseln?"

„Ich sagt nur, dass is unwahrscheinlich is", meinte Bernd mit einem Kopfschütteln, „nich dass is unmöglich is."

Eilyne lies die beiden sichtlich enttäuscht diskutieren und fragte Argon: „Aber du glaubst mir doch, oder?"

„Ja, klar", bemühte sich der Junge hastig zu antworten. Vermutlich zu hastig, denn die junge Prinzessin schaute ihn misstrauisch an, „du glaubst mir auch nicht", behauptete sie dann.

„Doch, klar glaube ich dir" erwiderte Argon und versuchte dabei zuversichtlich zu klingen, „es ist nur, dass das ganze so völlig neu ist."

Das Mädchen seufzte und meinte dann: „So ging es vermutlich auch unseren ersten Abgesandten, die zum ersten mal das Empire betraten. Niemand wollte ihnen so recht glauben."

„Abgesandte?", fragte der junge Mechaniker, „wie lang seid ihr denn schon im Kontakt mit unseren König?"

„Ataris wurde von einem Piloten des Empires vor zehn Jahren entdeckt", erklärte Eilyne, „ich weiß es genau, es war an meinem fünften Geburtstag. Du kannst dir sicher vorstellen, was das für ein Trubel war, als plötzlich das fremde Luftschiff bei uns landete."

Argon stellte sich einen ähnlich großen Menschenauflauf vor, wie bei der Einweihung des ersten in Qualmstadt gefertigten Luftschiffes. Er nickte obwohl er nicht genau wusste, in wie weit es sich vergleichen lies.

„Ich erinnere mich", warf Tom ein, „davon war in der Gazette berichtet worden. Es war Peter Haenlen, der Luftfahrtpionier. Der Sohn des großen Paul Haenlen, des gemenischen Luftschiffkonstrukteur. Er war mit den Luftschiffen, die sein Vater nach dessen Übersiedlung ins Empire entwarf und konstruierte, durch verschiedenen experimentalen Flügen bekannt geworden. Deswegen war der Spott in der Bevölkerung und in der Presse so groß, als er vor zehn Jahren mit der Geschichte zurück kam, das versunkene Ataris entdeckt zu haben."

„Genau, das ist er", rief die Prinzessin aus, „Kapitän Haenlen. Er hat mir, als er erfuhr dass ich Geburtstag feierte, eines seiner Abzeichen geschenkt. Ich hab es immer noch." Mit einem Satz sprang die das Mädchen auf und lief ganz und gar nicht damenhaft vom Essenstisch davon. Verwundert schauten ihr alle Anwesenden hinterher. Dem fragenden Blick von General Hadner konnten die drei Männer nur mit einem Schulternzucken antworten. Aber sie mussten nicht lange warten, denn kurz darauf kam das Mädchen wieder mit wehendem Kleid zurück. Erst als sie bemerkte dass alle Augen auf sie gerichtet waren, bremste sie ihren Schritt und versuchte wie eine Prinzessin zu gehen. Doch als sie wieder bei ihrem Platz angekommen ist, zeigte sie den Dreien aus Qualmstadt stolz das Abzeichen. Es war das Ehrenzeichen der Königlichen Luftstreitkräfte des Empires, ein Adler über der königlichen Krone innerhalb eines Siegeskranzes.

„Mit der Auszeichnung bist 'e praktisch nen Ehrenmitglied in de Königlichen Luftflotte", erklärte Bernd und klopfte Eilyne auf die Schultern, „dat will schon wat heißen."

Die Prinzessin strahlte freudig und nickte nur stolz.

„Dann werden wir die atarischen Inseln zu Gesicht bekommen, ja?", fragte Argon, „wie lange werden wir bis dahin brauchen?"

Eilyne überlegte kurz und fragte dann quer über denTisch ihren Onkel General Hadner auf ihrer, für Argon noch immer fremden Sprache. Dieser antwortete in imperial: „Wir werden morgen um diese Uhrzeit die Inseln erreicht haben, der Wind steht gerade günstig."

Der versunkene Kontinent AtarisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt