3. Kapitel

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Ich schlenderte am Abend runter zu Mom. Cassians Tür war geschlossen und ich hörte nichts. Vielleicht schlief er. Er hatte ziemlich fertig ausgesehen.

"Was denkst du über ihn?", fragte meine Mom mich, als wir zusammen saßen.

"Ich weiß noch nicht so recht", meinte ich und war kurz davor ihr von meinem Verdacht zu erzählen und das ich ihn schon mal gesehen hatte. Doch dann ließ ich es bleiben, wusste selbst nicht wieso. "Auf mich wirkt er wie ein netter Junge, der zu viele schlimme Sachen erlebt hat", warf Mom ein und nippte an ihrem Kaffee. "Vielleicht. Aber in Wirklichkeit wissen wir fast nichts über ihn. Trotzdem wohnt er von jetzt auf gleich hier." Das war kein Vorwurf, meine Mom war nun mal so.

"Dann lernen wir ihn halt besser kennen!" Mom klang euphorisch und ich unterdrückte den Drang meinen Kopf zu schütteln. Manchmal war sie wie ein kleines Kind.

Cassian wohnte nun schon ein paar Tage bei uns. Anfangs fragte er dauernd Dinge doppelt, schien verwirrt und etwas frustriert. Ich verstand seine Launen nie, sagte mir aber, dass das wahrscheinlich normal in so einer Situation war. Mir viel auf, dass er, egal wann, immer etwas langärmliges trug. Vielleicht eine Angewohnheit.

Doch die Stimmung lockerte sich langsam und er redete ein bisschen mehr. Das freute mich irgendwie tierisch, vor allem nach unserem holprigen Start. Ich versuchte immer seine trübe Stimmung etwas zu heben, bisher hatte ich ihn aber noch nicht lächeln sehen. Ich hatte es mir quasi als Ziel gesetzt, ihn irgendwann lachen zu hören. Mom überließ uns jetzt öfter uns selbst und meinte "Sie wolle uns nicht stören", was auch immer sie mir damit sagen wollte.

Gerade saß ich mit Cassian im Schneidersitz auf dem Sofa und spielte mit ihm Schach. Wir hatten festgestellt, dass er ebenfalls sehr, sehr gern las, Spiele spielte oder sonstiges. Wenn er etwas in dieser Richtung machte, bildete ich mir immer ein erfreutes Glitzern in den Augen ein. Daher versuchte ich so viel wie möglich mit ihm zu unternehmen.

Allerdings musste ich zugeben, dass er mich fast überall fertig machte.

Gerade saß er leicht gebückt über dem Brett und ihm fielen ein paar schwarze Strähnen in die Augen. Sein Blick schien konzentriert. Die Gelegenheit nutzte ich, um ihn ein bisschen zu stalken. Er war sehr oft in Gedanken und starrte einfach vor sich hin, aber wirklich gute Gelegenheiten zum glotzen bekam ich nie, da er gleich darauf hektisch um sich sah. Ich gab zu, sein Verhalten war manchmal extrem seltsam, aber hey, ich hatte ihn als einen Typen kennen gelernt der Glühwürmchen suchte. Apropos: Ich hatte das mit keiner Silbe erwähnt. Irgendwie war mir das unangenehm, vor allem, da er sich nicht daran zu erinnern schien. Mittlerweile spielte ich sogar mit dem Gedanken ihn nur zu verwechseln.

Er nahm seine Dame in die Hand und setzte ihn quer über das Spielfeld. "Schach", murmelte er und schaute auf. Einen Moment starrten wir uns an, ich herausfordernd, er unbeeindruckt. Fast hätte ich geseufzt. Ich wollte wirklich mal sehen, wie er aussah wenn er nicht traurig oder neutral schaute. Ich senkte den Blick auf das Spielfeld, dachte aber nicht wirklich über das Spiel nach. Ich hatte außerdem festgestellt, das es ihm unangenehm war, wenn man ihm zu lange in die Augen schaute. Als würde er sich schämen. Dabei verstand ich nicht mal warum: Seine dunkelgrünen Augen mit den braunen Sprenkeln faszinierten mich ein bisschen. Je nachdem wie das Licht fiel, schienen sie sich zu verändern. Gedankenverloren setzte ich meinen Läufer. Er zögerte nicht lange, schmiss meinen Läufer und sagte: "Schachmatt." Er klang zufrieden. "Verdammt!", schmollte ich. "Ich wette du schummelst!"

Er hob die Hände. "Habe ich nicht nötig." Da, dieses Funkeln. Ich verengte die Augen. Vielleicht zeigte er seine Emotionen nicht sehr, aber Humor hatte er, wenn auch etwas ironischen. Manchmal waren seine Witze etwas schwer zu verstehen war. "Tze", machte ich nur und stand auf um etwas zu trinken zu holen. Ich hatte mir angewöhnt, ihn nicht mehr zu fragen ob er essen oder trinken wollte. Er lehnte sowieso immer ab, wahrscheinlich aus Schüchternheit. Allerdings sah er extrem dünn aus, was meine Mom manchmal wahnsinnig machte. Die behandelte ihn eh schon wie ihren neuen Sohn...

Ich reichte ihm ein Glas Cola und überlegte, wie ich ein Gespräch anfangen könnte. Doch da überraschte er mich, als er von sich aus anfing zu reden: "Ihr seid wirklich nette Menschen."

Ich starrte ihn diesmal unverhohlen an. Er sagte das mit leicht zurückhaltenden Ton, hatte aber immer noch ein unbewegtes Gesicht. "Du auch", erwiderte ich einfach und schenkte ihm ein breites Grinsen. "Du bist ganz anders, als die anderen Jungs", fügte ich hinzu, da das der Wahrheit entsprach. Ich hatte noch nie jemanden wie ihn getroffen, sein Charakter war wirklich... eigenartig.

Er erstarrte und schien sich an etwas zu erinnern. Plötzlich hatte ich Angst etwas Falsches gesagt zu haben und setzte zu einer Entschuldigung an, obwohl ich nicht mal wusste wo für genau. Er schaute stur auf seine Hände und ich konnte sehen, wie er seine Lippen bewegte, als würde er mit sich selbst reden. "Cassian...?"

"Sie hat das auch gesagt....", murmelte er und ich verstand nur noch Bahnhof. "Sie?" Wie erwartet bekam ich keine Antwort, er schien wieder eine dieser Phasen zu haben, wo er nichts mitbekam. "Cassian, tut mir leid, falls ich....", fing ich an, brach aber ab, als er sich den Kopf hielt, als hätte er Schmerzen und hektischer murmelte. DAS war mir jetzt doch neu und jagte mir Angst ein. "Ich ähm... tut dein Kopf weh?", fragte ich dämlich.

Er schaute auf und schaute mir direkt ins Gesicht. "Aber sie ist tot."

Ich zuckte zusammen und starrte ihn an. Was meinte er damit und, verdammt noch mal, wer ist sie? Seine Mutter?

Er blinzelte und verzog das Gesicht, als tat ihm wirklich etwas weh. Ich sprang auf um im Bad nach etwas gegen Kopfschmerzen zu suchen. Jetzt war ich mir ganz sicher: Cassian musste irgendein Psychisches Problem haben. Anders ließ sich das alles nicht erklären. Ich zitterte leicht und reichte ihm ein Glas Wasser und Aspirin. Er hatte die Beine angezogen und starrte geradeaus. "H-Hier...", sagte ich.

Endlich schien ich ihn erreicht zu haben, denn er nahm das Glas und schluckte die Tablette. Langsam entspannte er seinen starren Körper wieder. "Was...?", murmelte er.

Ich schwieg kurz. "Cassian... du solltest dir mal überlegen zu einem Psychiater zu ge...." Weiter kam ich nicht bevor er heftig "Nein!", sagte und aufstand. Ich zuckte zusammen und schaute ihm nach, wie er nach oben verschwand. Das war das erste Mal, das er ohne ein Wort einfach ging. Ich musste gestehen, das gerade hatte mir einen Schrecken eingejagt.

CassianXReader (Creepypasta)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt