P R O L O G

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Wie würdet ihr den Anfang einer Geschichte beschreiben? Wie würdet ihr ihn euch ausmalen? Wie würdet ihr einen Anfang... anfangen?

Mein Anfang ist merkwürdig, nein- Er existiert so gar nicht. Sollte er zumindest so nicht. Mein Anfang fängt mit einem Ende an.

Denn meine Geschichte beginnt da, wo alle Geschichten normalerweise zwangsweise ihren Abspann einleiten, in einem Sarg. Nicht dass ihr jetzt denkt, ich sei tot, nein das bin ich nicht, auch wenn ich mich so fühlte. Es ist nicht mein Sarg, es ist der Sarg meiner Schwester. Meiner Schwester Lina.

Mein Anfang fängt mit dem Ende meiner Schwester an.

17 Jahre war sie alt gewesen. Ist sie. Nur eben nicht mehr lebend. Ihr ewiges Bett liegt jetzt 6 Fuß unter der Erde. Freue mich für sie, sie war schon immer ein Morgenmuffel. Wie ich das hier niederschreibe, klingt es halbherzig und feige. Aber wie würdet ihr mit dem Tod eurer Schwester fertig werden, nicht mehr in ein schwarzes Loch fallen, eure stärkste Emotion die schmerzende Klinge in eurem Fleisch? Um meine Dramatik zu verstehen, um mein Handeln zu verstehen, um mich zu verstehen, lernt sie kennen.

Lina Schmitt. Durchschnittliche Noten, durchschnittliche Freunde, durchschnittliches Leben, durchschnittlicher Drogenkonsum. Ein bisschen anders, ein bisschen Streber, ein bisschen beliebt, nicht drogenabhängig. Nicht mehr in ihrem Leben, als zu erwarten war. Es war einfach eine gerade Linie, parallel zu der meinen. Was passiert denn schon groß in einer Stadt? Und trotz allem, Leben ist der härteste Stoff, den dir irgendjemand irgendwie bieten kann. Das Crystal Meth in Linas Handtasche war da vergleichsweise Zucker. Ja, sie war immer die, die das vom Dealer bis zur Party schmuggelte und sich dann im Notfall nicht zu schade war, das Zeug kurz in den Müll zu werfen, um es eine halbe Stunde später raus zu kramen. Diese Tütchen sind ziemlich anscheinend ziemlich dicht. Oder jemand schluckte, schnupfte oder rauchte ein paar Burgerkrümel mit. Lina war lustig, Lina war gesund, Lina war fröhlich. Wir verstanden uns gut, wir verstanden uns schlecht, Geschwisterliebe eben. Sie mochte das Leben in ihrer normalen Welt, die doch ein bisschen schief hang. Wie jede eben. Normalerweise hatte sie gute Ideen, Ideen die Laune brachten. Nur dann kam sie ein einziges Mal auf eine dumme Idee. Mit ihrem neuen Kumpel Jason lief sie nachts auf dem Schulgelände herum. An sich gar nicht so schlimm, sie waren auf dem Weg zu 'ner Feier. Nur blöd, dass Jason sie dort erschoss.

Mehr kann ich jetzt nicht mehr über sie schreiben, denn die Narben auf meinem Körper fangen an zu schreien. Diese beschissenen Dinger fangen an zu kreischen, an solchen Abenden, an denen ich mit Tee vor einem Buch mit ausgebleichtem Lederumschlag sitze und dumme Worte schreibe. Worte wie diese.

Da ich euch also nichts mehr über Lina erzählen kann, zumindest heute nicht, erzähle ich euch von mir. Warum? Vielleicht findet ihr ja Antworten. Vielleicht auch nicht.

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