"Ey Nigger." Er ging auf mich zu, war provokant, halbstark. Entweder klebten seine Haare wegen Tonnen von Gels so eng an seinem Kopf oder waren einfach nur fettig, seine spärlichen Arme fuchtelten provozierend in der Luft. Um ehrlich zu sein, er sah aus wie ein Skelett, ein bekifftes Skelett. "Warum sitzt du? Hm? Schön gedealt, ha?" Er hüpfte und konnte einfach nicht still stehen, immer auf Strom. Ich wollte mir nicht vostellen, wie er sich tagtäglich fühlte. Besonders nachts. Wenn keiner den Ausknopf drückt, läuft der Strom immer weiter. Immer weiter. Ohne Pause. "Ey, ich rede mit dir, du schwarzer Baumwollpflücker!" Er näherte sich mir weiter, seine Augen huschten umher, streiften mich, versuchten an mir hängen zu bleiben. Ohne Pause. Der Abstand zwischen mir und dem Skelettjungen verkürzte sich drastisch auf einen gefährlichen, kleinen Rest. Zwei Schritte, und unsere Stirnen würden aneinanderknallen. Er schien es zu genießen, meine Hände sich zu Fäusten ballen zu sehen und er badete beinahe in dem Gefühl, wie meine Körperhaltung sich veränderte. Sein Kopf zuckte, offenbarte mir ein sich um seinen fast schon kahl geschorenen Hinterkopf räkelndes Federtattoo. Ohne Pause. Wieder drehte sich sein Kopf unkontrollierbar von der einen Seite zur anderen, während sich seine Augen dieses Mal auf mich konzentrierten. Er kam mir zu nahe, und das wusste er. Das wollte er. Das provozierte er von Anfang an. Gott, was für eine scheiß Person.
"Oder hast du jemanden umgebracht, Nigger?" Der enorme Adrenalinshot fühlte sich wie Feuer in meinen Adern an, das sich nicht nur durch meinen Körper schoss, sondern dad sich auch durch meinen Verstand fraß und das mir mein Urteilsvermögen wegnahm. Meine Augen trafen die des Aufsehers Jimmy, als der Junge mit dem Federtattoo anfing aufgeregt zu brüllen. Und in Jimmys Augen zeichnete sich ein kurzer Schreckensmoment ab, als ob er wüsste, was passieren würde. Ich sah in in sein Funkgerät sprechen und merkwürdigerweise sah ich ganz genau, wie gehetzt er aussah und wie viel Angst in seinen Augen aufblitzte. "Ich hab' sie nicht umgebracht!"Und das Skelett flog zu Boden, küsste die dreckigen Fliesen und meine Faust.
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"Verdammt, Jason. Du standest kurz davor, wegen guter Führung 'ne Strafmilderung zu erhalten. Du hättest 2 Jahre deines Lebens wieder gekriegt! Du..." Jimmys Worte verblassten nach und nach im Hintergrund und gleichzeitig wurde der Boden von Sekunde zu Sekunde interessanter. "Ich weiß, Jimmy. Denkst du ich habe das gewollt?" Ich hob meinen Kopf aus meinen Händen, die immer noch mit etwas Blut verdreckt waren. "Anscheinend ja schon, sonst wärst du nicht auf ihn los gegangen. Jason, was war mit dir los? Normalerweise hast du dich bei dem Thema schon unter Kontrolle." Das Blut hatte schon angefangen zu trocknen, sodass die Ränder ein schmutziges Braun annahmen. "Oh Gott, Jimmy. Oh Gott." Ich stütze meinen Kopf in meine Hände und ließ meinen Oberkörper hängen. Oh Gott. "Jason? Jason, sag es mir. Was war los?"
"Was los war? Ihre Schwester war los, Jimmy. Ihre Schwester war heute-" Stille füllte den Raum, die nur durch einen schweren Seufzer aus Jimmys Richtung unterbrochen wurde. "Verstehst du, Jimmy? Sie sah so blass und kaputt aus und war so verdammt rassistisch, aber ich konnte sie nicht wirklich hassen. Wie kann ich jemanden hassen, dem ich etwas schuldig bin? Ich hätte Lina retten können und habe es nicht getan." Ein erneuter Seufzer, Jimmys drahtige Hand auf meiner Schulter und ein sanfter, mitfühlender Druck. "Es wäre das Beste, wenn du die Wahrheit sagst."
"Jimmy, du weißt, dass ich das nicht kann." Er holte tief Luft und sah mir tief in die Augen, seine schmalen, dunklen Lippen leicht geöffnet und bereit, mir die altbekannte Leier vorzuspielen. Doch bevor er nur ansetzen konnte, unterbrach ich ihn. "Ich weiß, dass ich es tun sollte. Ich weiß, dass es das Richtige wäre. Aber wie soll ich es erklären? Wie soll ich ihnen erklären, dass Lina-" Weiter kam ich nicht, ließ nicht zu, auch nur die Möglichkeit weiter zu erwägen. Ich konnte das nicht. Ich sollte nicht. "Jimmy, es ist für alle besser, wenn ich hier bleibe und mit den Konsequenzen meiner Entscheidungen lebe. Es geht hier nicht nur um mich." Ich sah, wie Jimmys Gesicht vor Wut rot anlief und seine Hand um meine Schulter sich verkrampfte. "Jason, um wen geht es dann? Verdammt, sag es mir! Um wenn geht es denn dann, außer dir? Wer würde darunter leiden, wenn du freikommen würdest?" Seine Stimme war zu einem Sturm amgeschwollen und klang genauso schnell wieder ab wie er gekommen war, bis nur noch ein leiser Windhauch übrig blieb. "Warum verbaust du dir dein Leben so sehr und nimmst eine Schuld auf dich, die nichts mit dir zu tun hat?" Mein Blick wanderte wieder zu meinen Händen und durchbohrte sie, als ob die Antwort in ihnen läge und mir jederzeit entgegen springen würde. Aber es kam nichts, so sehr ich auch hoffte. Ich senkte meinen Kopf, wollte versinken und für immer verschwinden. Der leicht metallische Geruch des Blutes, dass von der Platzwunde des Tattojungen stammte, umhüllte mich und erinnerte mich schmerzlich daran, wie ihr Blut an meinen Händen geklebt hatte. "Ich weiß es nicht."∆
"Entschuldige dich." Jimmy war wirklich ein erfahrener Gefängniswärter, 30 Jahre Dienst zeugten davon. "Jason, entschuldige dich." Aber die Spannung zwischen den beiden Jugendlichen war selbst für ihn belastend. Sie saßen sich beide gegenüber, und sie hätten unterschiedlicher nicht sein können, von außen und von innen: Jason hatte kurze, gepflegte Haare und weiche Gesichtszüge, die normalerweise immer beruhigend auf fast jede Person wirkten. Während diese aber zu einer wütenden, spöttischen Mimik verzogen waren, fuhr sein Gegenüber durch seine halblangen, nach hinten gegelten Haare. Marc, so hieß der 19 Jährige mit dem Federtattoo, war äußerst blass und besaß eine auffällig schlaksige Statur. Während Jason Marc abfällig anstarrte, schaute dieser ihm nich ins Gesicht, sondern auf den Boden. Seine Nase und Lippen waren von Jason ziemlich demoliert worden und ein Veilchen hatte sich schon längst an seinem linken Auge bemerkbar gemacht, welches er aber größtenteils mit einem in Servietten eingewickelten Kühlakku verdeckte. Und trotz der gegensätzlichen Präsenz hatten die beiden eine Sache gemeinsam: Eine trotzige, genervte Körperhaltung.
"Jason!" Mit einem aggressiven Grummeln ließ der gleichaltrige nach. "Sorry. Hätte nich so reagieren sollen." Stille. "Marc?" "Jaja, angenommen." Doch Jimmy hob nur seine Augenbraue. "Wie? Was'n jetzt noch los?" "Marc, du hast Jason provoziert und beleidigt. Noch was zu sagen?" Jimmy sah, wie Jason wütend schnaubte, als Marc sein Gesicht verzog. Bevor er noch ein nörgelndes "Muss ich?" in den Raum werfen konnte, stand Jason auf und spuckte auf den Boden, direkt vor Marcs Füße. "Von so 'nem Wichser will ich keine Entschuldigung." Marc sprang auf und man konnte ihn ansehen, dass er wegen Jasons gezischten Beleidigung vor Wut kochte, doch ein warnender Blick des Gleichaltrigen drückte ihn wieder auf die kalte Holzbank. Jimmy zog verärgert seine Augenbrauen zusammen, doch mach kurzer Zeit hellte sich seine Miene auf: Er hatte eine Idee. "Jason, ab morgen bist du eine Woche lang für Marc verantwortlich."
Während Marc ausprang um einen lauten Protest anzustimmen, ließ sich Jason langsam gegen die Wand sinken und legte seinen Kopf in den Nacken, um die dreckige, mintgrüne Decke anzustarren. "Shit."
Kurzes Kapitel, ich weiß. Aber es passte so. Die Ferien haben angefangen und ich habe eventuell endlich eine Ahnung davon, von was ich schreiben will. propz 2 me.
(Gerade gemerkt, dass dieses Buch 300 irgendwas Reads hat. Bitte was.)
[Nicht überarbeitet]
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Salzwassertränen
Random„Meine Geschichte beginnt da, wo alle Geschichten normalerweise zwangsweise enden, in einem Sarg. Nicht dass ihr jetzt denkt, ich sei tot, nein das bin ich nicht, auch wenn ich mich so fühle. Es ist nicht mein Sarg, es ist der Sarg meiner Schwester...