2. Von der Lolli-Diebin und dem Augenbrauenbart

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Ich hätte nie wirklich verstanden, was der Unterschied zu einem Hörspiel und einem Lied ist. Für mich erzählt sowohl das eine, als auch das andere eine Geschichte. Nicht, dass ich sonderlich auf den Text achten würde. Aber der Rythmus, die Melodie spinnt doch Ihre ganz eigenen Abenteuer, Romanzen... Oder nicht?

Jedenfalls stand ich gerade im Bus und lauschte einer solchen "Geschichte". Meiner Meinung nach war es die halsbrecherische Jagt einer Schildkröte nach einem hyperaktiven Hasen. Die Schildkröte kroch immer langsam vor sich hin, während der Hase auf sie wartete. Dann, einen Moment bevor sie ihn erreicht hat und noch einmal kurz durchatmet, legt der Hase los und hüpft wie ein Irrer davon. Arme Schildkröte. Dubstep nennt man das dann.

Ach und ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass ich gerade an dem besten Lolli meines Lebens leckte. Diese Information ist nämlich wichtig für das was jetzt kommt.

Da stand mir nämlich ein Mädchen gegenüber. Sie fixierte mich aus ihren wild bemalten Augen und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. Dann leckte sie sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen und sagte irgendwas. Sah eklig aus. Ob ihr Lippenstift wohl Geschmack hat? Ihr Mund öffnete sich wieder und sie deutete auf meinen Lutscher. Ein schrecklicher Verdacht keimte in mir auf und ich bemühte mich, nicht auf ihren Versuch ein Gespräch zu beginnen einzugehen. Also deutete ich - gewieft wie ich bin - auf die Kopfhörer in meinen Ohren und rief:

»Sorry! Ich kann dich nicht hören!«

Daraufhin zog sie kurz eine verwirrt-beleidigte Miene, dann überwand sie die letzten zwei Schritte zu mir und zog mir die Dinger mit einem Ruck heraus.

»Ich hab gefragt ob ich da wohl auch mal dran lecken darf«

Sie zwinkerte mir nochmal zu und nickte in Richtung des besten Lollis der Welt.

Panik ergriff mich. Hatte ich es doch gewusst!

»Gott nein! Auf gar keinen Fall!«

Mit vor Schreck geweiteten Augen hielt ich dieses Wunderwerk an künstlichen Geschmacksverstärkern nach oben, außerhalb ihrer Reichweite. Doch dieses furchtbare Mädchen ließ nicht locker. Sie verstand es wohl als eine Aufforderung mit möglichst viel Körperkontakt an mir hochzuspringen. Das ist der Schlimmste Tag in meinem Leben.

»Alter Mädel, reib dich an wem anderen«, kam es plötzlich von links.

Für Außenstehende klang ihre Stimme vermutlich gelangweilt bis böse, während ich die darunter liegende Belustigung förmlich in der Luft um sie herum schmecken konnte.

»Und wer bist du, wenn ich fragen darf?«

Mit einem klischeehaft abschätzigen Blick musterte die Möchtegern-Lolli-Diebin ihr Gegenüber.

»Seine Schwester«

»Ah«

Und dann war es endlich vorbei. Erleichtert atmete ich aus und ließ den Lolli sinken. Jedoch nicht ohne mich nach links und rechts schauend zu versichern, dass die Luft rein war. Sicherheitshalber biss ich ihn anschließend noch vom Stil ab um ihn wie einen Bonbon zu lutschen.

»Danke Sophie«

»Ach nichts zu danken, kleiner Bruder«

Ich blickte sie finster an. Kleiner Bruder. Die zwei Minuten, also echt.

»Meinst du die sind da alle so?«

Ich deutete möglichst verstohlen auf das Mädchen, welches sich inzwischen einige Meter verzogen hatte.

»Jetzt zeig doch nicht so auffällig auf sie, das macht man nicht! Aber ja, ich denke schon«

Stirnrunzelnd dachte ich nach.

KaramellgedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt