Gnadenloser Selbstversuch

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PoV Haruka

Ich sagte, ich würde es tun, und ich tue es.

Ganz bewusst werde ich heute darauf achten, wann die 'Symptome' wieder auftauchen. Vor fünf Minuten hab ich mich schwerfällig aus dem Bett erhoben. Bis auf die Müdigkeit war alles okay. Momentan sitze ich am Tisch und frühstücke. Makrele, versteht sich. Auch jetzt gerade könnte es mir wohl kaum besser gehen. Heute werde ich mal auf mein morgendliches Bad verzichten und stattdessen bereits vorm Haus auf Makoto warten.

Gesagt – getan. Etwa zwanzig Minuten später hatte ich mich umgezogen und den Rucksack gepackt. Nun stehe ich vorm Haus, dessen Vordertür ich verständlicherweise zugesperrt hatte, und warte. Ist schon erstaunlich, wie viel Zeit ich spare, wenn ich morgens nicht bade. Wenigstens bin ich geduldig. Meinen anderen Gedanken darf ich heute aber nicht zu sehr nachhängen. Immerhin muss ich ja merken, wann Makoto kommt, um zu sehen, ob dann auch die Symptome wieder auftauchen. Ich blicke also in die Richtung, aus der mein bester Freund kommen sollte.

Eine Weile musste ich noch warten, aber blieb die ganze Zeit aufmerksam. Solange ich Makoto nicht sehen konnte, war alles entspannt. Doch als er dann um die Ecke biegt und ich ihn erblicke, fängt plötzlich ein ganz anderer Wind zu wehen an. Ich konnte spüren, wie mein Herz erst einen Klopfer aussetze, nur um dann noch schneller zu schlagen als sonst. Mein Magen fühlte sich so an, als hätte ich versehentlich eine ganze Ladung Kokons verschluckt, aus denen in dem Moment, als ich meinen besten Freund sah, ziemlich viele Schmetterlinge geschlüpft sind.

Wenn ich beschreiben müsste, wie es sich anfühlt.. hm. Schwer zu beschreiben. Es fühlt sich weder schlecht noch schmerzhaft an. Eigentlich könnte ich sogar sagen, dass es sich gut anfühlt. Irgendwie – was war noch gleicht das richtige Wort? Genau! Beflügelnd. Als hätte man mir eine Überdosis an Adrenalin verpasst.

Na gut, zurück in die Gegenwart.

„Guten Morgen, Haru!", werde ich gleich von Makoto begrüßt. Das Lächeln, das er dabei auflegt, bewirkt, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch wie verrückt herumflattern. Was soll das? Was IST das? Egal. Fragen werden nach dem Selbstversuch geklärt.

„Morgen.", war meine monotone Antwort. Ich musste versuchen, mich so normal wie möglich zu verhalten, wenn dieser Versuch klappen soll. Makoto lächelt zwar, doch er scheint etwas verwirrt zu sein, „Wieso bist du heute schon hier draußen und wartest? Liegst du sonst nicht immer in der Wanne um die Uhrzeit?" - „Heute habe ich eben mal darauf verzichtet.", ist alles, das ich zurück gebe. Bloß nicht auffällig wirken. Und wieder lächelt er nur, gibt sich einfach mit meiner Antwort zufrieden, ohne es zu hinterfragen. Schweigend machen wir uns auf den Weg zur Schule, wie jeden Tag, auch den Weg am Strand entlang. Unauffällig lasse ich meinen Blick zu Makoto schweifen. Er ist scheinbar komplett in Gedanken versunken, was mir die Gelegenheit bietet, wie ein Idiot sein Gesicht von der Seite anzugaffen. Zugegeben, dabei komme ich mir doch etwas blöd vor. Aber – im Namen der Wissenschaft! Wissenschaft? Was laber ich eigentlich für einen Käse?! Gott.. was auch immer mit mir falsch ist – ich will, dass es SOFORT aufhört! Es kann doch nicht so weitergehen, ich bin nicht mehr ich selbst! Wie immer werde ich aber nichts dagegen machen können.

Als ich jedoch so zu ihm blicke, spielen die Schmetterlinge wieder verrückt, genauso wie mein Herz, welches seinen normalen Rhythmus noch immer nicht wiedergefunden hat. Ich kann es mir noch immer nicht erklären. Sicher ist jetzt nur, dass es wirklich von meinem besten Freund ausgelöst wird. Wieso auch immer. Heute Abend werde ich mal tief in mich gehen müssen, um herausfinden, was dieses ETWAS ist.

~Am selben Tag; abends~

Der Tag hat mir einige Antworten gebracht. In der Wanne liegend – wo könnte man auch besser Sherlock spielen – führe ich mir also alles nochmal vor Augen, was ich im Laufe des Tages herausfinden konnte.

Makoto ist der Auslöser des Ganzen.

Je weiter er weg ist, desto schwächer werden die Symptome, welche da wären: Herzklopfen mit gelegentlichem, kurzem Herzstillstand und die Schmetterlinge in meinem Bauch. Dabei fühle ich mich komischerweise ziemlich gut. Je näher ich Makoto war, desto besser war meine Laune.

Diese Gefühle und das ganze Herzklopfen sind mir dabei aber komplett fremd. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das schon mal bei jemand anderem empfunden habe. Ist es vielleicht, weil wir einfach schon so lange befreundet sind? Nein. Für jemanden, der wie ein Bruder ist, würde man nicht so fühlen. Was ist es dann? Ich dachte immer, er ist mein bester Freund, nicht weniger und nicht... mehr..

Mir fällt die Kinnlade nach unten.

Das ist es.

Es ist dieses 'mehr', was ich für ihn empfinde. Wieso wird mir erst jetzt klar, dass ich immer wollte, dass da mehr wäre als nur unsere Freundschaft? Ich beginne zu lachen. Wow. Es war immer genau vor meiner Nase, aber ich Trottel war zu blind, es zu erkennen. Ich will nicht, dass Makoto 'nur' mein bester Freund ist. Und genau in dem Moment beginnt eine tiefe Sehnsucht in mir zu brennen.

Es waren nie die Anzeichen einer 'Krankheit', sie sich in mir breit gemacht hatten. Nö.

Ich war scheinbar schon eine ganze Weile in meinen besten Freund verliebt, ohne es selbst zu merken!


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