1. Kapitel

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"No no es amooooor, lo que tu sientes..."
"Mingo!" Ich drehte das Radio leiser, doch mein Fahrer sang mit einem breiten Grinsen weiter.
"Hey wenn du mir einmal zuhören würdest, fändest du das ganze nicht mehr zum Lachen. Ich glaube, wir haben uns ziemlich verfahren," schnaubte ich und warf ihm die zusammengerollte Karte in den Schoß.
Mingo lachte auf und lenkte den Wagen Richtung Straßenrand.
"Ach, mein Engel, wenn du genauso gut Karten lesen könntest wie du sie zeichnen kannst, wärst du ja schon zu perfekt. Irgendwas muss ich doch auch noch machen!" Er faltete die Landkarte auseinander und betrachtete sie, immer noch die Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, diesmal allerdings leicht spöttisch.
"Ha ha ha, hast du einen Clown gefrühstückt oder warum schon wieder so witzig heute?", brummte ich mürrisch und wischte mir eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Hitze in diesem Auto machte mir wirklich zu schaffen.
Er warf mir einen belustigten Blick zu. "Einen Clown gefrühstückt? Nein, der sitzt neben mir im Auto," witzelte er und piekte mich in die Seite.  "Aber nein ernsthaft, wir sind wirklich irgendwie vom Weg abgekommen. Irgendwie mehr Richtung Pampa als Richtung Barcelona, aber wir müssten gleich in einen kleinen Ort kommen, Bescanó. So weit ist es dann nicht mehr, vielleicht 100 km."
Ich nickte. "Trotzdem, kurze Pause? Mein Magen bringt mich um."
"Haben wir außer Trockenfleisch überhaupt noch etwas essbares dabei?", wollte Mingo wissen und klappte die Karte zu.
"Ja. Steinhartes Ciabatta von vorgestern und eine Flasche Asti", antwortete ich und verzog den Mund. "Also, wenn das kein Festmahl wird!"
Wir stiegen aus und machten uns an der Kühlbox zu schaffen, die nun seit drei Wochen keine Kühlakkus mehr gesehen hatte, geschweige denn irgendeine Form gesunder Lebensmittel. Vor drei Wochen, als wir von Hamburg aus zu unserem Roadtrip Richtung Sizilien aufgebrochen waren,  war die Truhe gefüllt mit Käsewürfel, Obst und zwei Flaschen Lambrusco. Nach ein paar Stunden Fahrt waren die Käsewürfel eine einzige zähe, gelbe Masse und die Kiste voll mit Obstfliegen. Von da an stiegen wir auf praktischere Dinge um.
Ich riss die Tüte mit Trockenfleisch auf - Geschmack Chicken Teriyaki, allerdings aus Rindfleisch? - und nahm eine Handvoll heraus. Während ich auf einem Stück herum kaute, blickte ich mich um. Eine staubige Landstraße mitten in der Pampa. Weit und breit niemand außer uns.
Vorgestern waren wir losgefahren aus Palermo, meiner Heimatstadt, wo wir die drei Wochen zuvor bei meinen Verwandten verbracht hatten. Wir waren braun gebrannt von der italienischen Sonne und unsere Haare zerzaust und ausgebleicht vom Salzwasser. Und bereit, in ein neues Abenteuer zu stürzen - Barcelona. Die Heimat Mingos. Aber es war nicht nur ein Urlaub aus Vergnügen, jedenfalls nicht für mich. Ich hatte mich beworben, um an der Kunstakademie Barcelonas zu studieren und war genommen worden. Mich zog es weg aus dem kalten Deutschland, was ich nicht nur temperaturmäßig meine. Es gab dort einfach zu viel Struktur, zu viel Ideal, zu wenig Freiheit. Ich, als Italienerin brauchte diese lockere, südländische "In den Tag hineinleben"-Einstellung. Ich brauchte keinen festen Plan vom Leben. Einfach schauen was kommt. Das gefiel mir. Ich bin eben ein ziemlich zerstreuter Typ Mensch - sogar so zerstreut, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe. Also, ich bin Marcella. 20 Jahre alt, werde aber oft viel jünger geschätzt, was wohl an meinen winzigen 1,59 Metern Körpergröße liegt. Der Rest kommt noch, ihr lernt mich schon noch kennen im Laufe der Zeit. Nur eins noch - ich bin vielleicht ein klein wenig ungeduldig und eventuell auch etwas stur. Italienisches Blut, entschuldigt.
Ich drehte mich um, um nach Mingo - mein bester Freund seit Kindertagen, kurz angemerkt - zu sehen. Er saß oder lag so halb in dem winzigen Kofferraum seines klapprigen Fiat 500 und kaute auf dem staubtrockenen Ciabatta herum, die schwarzen Haare zerzaust in der Stirn. Ein dünner, hübscher Junge mit dunklen Augen und einem trotzigem Mund.
Ich grinste ihn an und machte Anstalten, den Kofferraumdeckel zu schließen.
"Hey Principessa, du bist ja wieder bei Laune", lachte er und sprang blitzschnell heraus. "Ganz ehrlich, lass uns weiterfahren. Ich brauche eine kalte Dusche und einen großen Teller Paella. Und ein Bett." Er gähnte. "Fährst du weiter?, fragte er mich, lief jedoch bereits zu der Beifahrerseite hinüber ohne meine Antwort abzuwarten.
Ich seufzte und schloss den Kofferraum.
"Alles klar, ich fahre, du lotst mich.
Und in zwei Stunden hoffe ich, sind wir endlich da."
Hoffentlich. Ich bete zu Gott.

Liebe zwischen zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt