9. Kapitel

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Das 'Le Noire' war zum Brechen voll. Die meisten der draußen wartenden Gäste wurden vom Türsteher mit einem gelangweilten 'Sorry, sind überfüllt' abgewimmelt. Für sie galt das natürlich nicht, der Besitzer persönlich erschien und führte sie hinter eine goldene Flügeltür. VIP Bereich. Piqué hatte mit einem dicken Kuvert klar gemacht, dass er von Fans und Paparazzo nichts sehen oder hören wollte. Der Clubbesitzer beteuerte absolute Privatsphäre und Leo sah regelrecht die Dollarscheine in seinen Augen blinken.
Außer Piqué waren Neymar, Marc, Dani und Luis gekommen. Sie machten es sich auf der weißen Ledercouch bequem und bestellten eine Runde Margaritas. Im Hintergrund lief langsamer R'n'B.
"Ein Abend ohne Frauen - göttlich", kam es von Piqué und er grinste in die Runde. "Ich sag's euch, meine ist seit zwei Wochen auf dem Kriegspfad."
"Ach, du Armer. Lässt sie dich wohl nicht ran?", lachte Neymar und die anderen stimmten ein.
"Okay, erwischt." Gerard hob die Hände.
Neymar beugte sich vor und sah ihn vielsagend an. "Keine Sorge, Kumpel. Für Ladys habe ich gesorgt. Wird zwar dann kein reiner Männerabend, aber wer wird denn zu ein paar knackigen jungen Mädels nein sagen?"
Wie als hätten sie auf sein Wort gewartet, ging die Flügeltür auf und sieben knapp bekleidete Mädchen kamen herein, in den Händen goldene Tabletts mit den eisgekühlten Drinks.
Seine Freunde johlten und klopften Neymar auf die Schulter. Doch Leo saß einfach nur da und starrte vor sich hin. Er bemerkte, wie sich ein warmer Körper an ihn schmiegte und eine weiche Stimme ihm ins Ohr flüsterte, dass seine Bestellung da wäre.
Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf in ihre Richtung und sah sie an. Sie hatte schwarzes Haar und grüne Augen und eine monströse Oberweite, die nicht mal zu einem Drittel bedeckt war. Ihr Kleid - wenn man den Fetzen Stoff so nennen konnte - überließ nichts der Fantasie.
Er nahm ihr den Drink aus der Hand und kippte ihn in einem Zug hinunter.
"Wow, Leo! Was ist denn mit dir los", rief Neymar und schnappte sich sein Glas. "Also auf geht's, Jungs - runter mit dem Zeug!"
Sie quatschten eine Weile über dies und das, bestellten eine neue Runde, doppelter Scotch. Immer wieder fing er Danis Blick auf, sah aber gleich wieder weg. Sein engster Vertrauter in der Mannschaft. Natürlich hatte er etwas bemerkt. Er trank seinen Scotch auf Ex und schob das Mädchen von seinem Schoß, stand auf.
"Ich bin schnell auf Toilette", murmelte er und verließ die VIP Lounge.
Laute Bässe dröhnten ihm entgegen, als er sich durch die Menschenmenge schob, den Kopf gesenkt. Ein Kellner ging vorbei, auf dem Arm ein Tablett voll mit Margaritas. Er nahm ein Glas und drängte sich Richtung Seitenausgang. Endlich draußen. Wieder leerte er seinen Drink in einem Zug, stellte das Glas auf einem Fensterbrett ab, an dem er vorbei wankte. Ja, wankte. Der Alkohol zeigte seine Wirkung.
Ziellos stolperte er durch die Straßen, bog rechts ab, hatte keine Ahnung, wo er eigentlich war.
"Hotel Astoria", las er. Ging weiter. Die frische Luft tat ihm gut. Wie heute bei dem Lauf fühlte er, dass seine Gedanken langsam ruhiger wurden. Wie heute bei dem Lauf, dachte er und das Gesicht des Mädchens tauchte vor seinem inneren Auge auf. Marcella. Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen. Warum dachte er jetzt an sie? Wahrscheinlich, weil er betrunken war. Sie war ein hübsches Mädchen. Klein, zierlich, schlank. Langes, braunes Haar, das sich in sanften Wellen an ihren Körper schmiegte. Volle Lippen, ein keckes Kinn. Das alles war ihm nicht entgangen, als sie nebeneinander im Sand gesessen und geredet hatten. Er hatte sich so seltsam befreit gefühlt in ihrer Gegenwart. Vielleicht, weil sie nicht gewusst hatte, wer er war. Sie wollte kein Autogramm oder Foto. Sie hatte ihn nicht mit Fragen über sein Leben überrannt. Für sie war er nur irgendein verrückter Typ, der ihren besten Freund bewusstlos geschlagen hatte. Und nicht der große Lionel Messi, einer der besten Fußballer seiner Generation. Es war unglaublich, aber sie hatte ihn nicht erkannt. Nicht, dass er damit sagen wollte, man musste ihn kennen - doch selbst Menschen, die sich nicht für Fußball interessierten, wussten, wer er war. Marcella nicht. Und das war das besondere an ihrem Treffen, an ihrem Gespräch. Zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl gehabt, jemand wollte mit ihm reden um seiner Person willen. Und dieses Gefühl vermisste er, als er betrunken die Avinguda Diagonal überquerte und gerade aus weiter die Via Augusta entlang lief. Wo wollte er eigentlich hin? Wie lange war er schon weg? Vielleicht sollte er Gerard Bescheid sagen, dass er etwas länger brauchte. Oder gar nicht mehr kam. Ein Blick auf seine iWatch sagte ihm, dass es kurz vor halb elf war. Und es war dunkel geworden in den Straßen Barcelonas. Er kam an Bars und Restaurants vorbei, an geschlossenen Geschäften. Hin und wieder kam ihm jemand entgegen, dann drehte er den Kopf weg.
Seine Füße trugen ihn weiter. Es kam ihm vor, als könnte er sie nicht steuern. Als würden sie einen bestimmten Weg verfolgen, den er nicht kannte.
Und er ließ seine Füße machen. Eine weitere halbe Stunde verging und mittlerweile hatte er absolut keine Ahnung, wo er sich befand und wie um Himmels Willen er wieder zurückfinden sollte. Er war drei oder vier Kilometer gelaufen, schätzte er. Die kleinen Seitenstraßen, durch die er kam, waren verlassen und seine Schritte auf dem Pflaster klangen unglaublich laut in seinen Ohren.
Dann bog er um eine Ecke - und wusste, wo er war. Gràcia. Er erkannte es an den Häusern und der kleinen Parkanlage. Alles so kunstvoll gestaltet. Ja, er musste in Gràcia sein.
Überall hingen bunte Lichter. Und in einiger Entfernung spielte Musik.
"Ach, das Straßenfest", sagte er zu sich selbst und schüttelte den Kopf. Festa Major de Gràcia. Wie hatte er das vergessen können? Antonella hatte doch unbedingt hingehen wollen. Und jetzt war er alleine hier.
Er lief in die Richtung, aus der die Musik kam. Der Duft von Paella wehte ihm entgegen. Ihm viel auf, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Statt einem vollwertigen Abendessen, gekocht von seiner Haushälterin, würde er sich jetzt eine Portion Paella gönnen. Und noch ein paar Drinks.
Die Musik wurde immer lauter. Er bog noch um eine Ecke - und war mitten im Getümmel.

Liebe zwischen zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt