Wieder einmal sitze ich auf dem Boden des morschen Holzschrankes. Mein Rücken lehne ich an die Wand und das einzige Geräusch, was ich höre, ist das Knirschen des Holzes das bei jeder winzigen Bewegung ertönt. Der Holzschrank steht im Inneren einer Kirche. Etwa 90% der Menschen hier bekennen sich zum Glauben an Allah, etwa 10% sind aber ägyptische Christen, genau so wie ich. Selten betreten Menschen dieses Gebäude, somit kann ich mich hier immer wieder zurückziehen. Dieser Ort hat was magisches, was es genau ist, kann ich euch nicht erklären. Doch bevor ich euch meine Geschichte erzähle, möchte ich mich erst einmal vorstellen. Ich heiße Raj Said und bin vor kurzem erst 54 Jahre alt geworden. Ich wohne in einer kleinen Holzhütte, die im Vorort von Kairo liegt. Die Kirche ist nur einige Minuten von meinem Zuhause entfernt, somit sitze ich oft bis tief in die Nacht hier. Die Stille gefällt mir. Seit circa einem halben Jahr komme ich fast täglich hier her. Das erste Mal kam ich her, als ich erfuhr, dass meine Frau gestorben war. Sie ist bei der Geburt meines ersten Sohnes verstorben. Ich bin auf mich alleine gestellt. Ich habe weder eine Familie noch jemanden mit dem ich Reden kann. Mein Alter und meine Lebenserfahrungen sind mir ins Gesicht geschrieben. An meiner linken Backe habe ich eine Narbe, die ich bereits seit 30 Jahren habe. Ich musste in den Krieg ziehen, um für mein Land zu kämpfen. Es fiel mir schwer meine Frau alleine zu lassen, aber es musste sein. Die Zeit war sehr hart und es hat mir gezeigt, dass trotz Verlusten von geliebten Menschen man keine Gefühle zeigen darf. Ich musste kalt bleiben, kein Mitleid für andere haben. Selbst heutzutage kann man nur auf diese Weise überleben. Nun ja, was erwartete ich auch? So war das eben, wenn man ein Soldat war. Wer dies nicht schaffte, hatte bereits verloren. Die traurige Wahrheit, die Welt ist grau und nicht schwarz-weiß. Selbst das Lachen der Menschen ist verschwunden. Ich raffte mich auf, schob meine Gedanken beiseite - dabei bemerkte ich, dass ich wieder einmal viel zu tief in Gedanken versunkenwar - und starrte das volle Regal mit den alten, verstaubten Büchern an. Ich hatte bereits fast alle gelesen, doch eins hatte mein Inneres berührt. Es hatte einen braunen Umschlag, der bereits wieder anfing, Staub zu fangen. Mit leicht zittrigen Händen griff ich danach. Mit meinen dürren Armen umschlung ich das Buch und drückte es ganz fast an meinen Bauch. Immer wieder löste es eine Freude in mir auf dieses Buch zu berühren. Sicherlich wundert euch schon warum ich mich so freue? Schließlich ist es doch nur ein Buch? Für euch ist es vielleicht nur ein Buch, aber für mich ist es mehr. Aber merkt euch: In der Freude über die kleinen Dinge des Lebens liegt der Schlüssel zur Zufriedenheit.
Nach einer Weile löste ich mich von der Position und öffnete vorsichtig die Seite, bei der ich letzte Nacht stehen geblieben war. Ich beugte mich über das Buch und tauchte sofort in eine andere Welt ein. Das Buch lass ich bereits zum gefühlten Hundertsten Mal, doch trotzdem verzauberte es mich immer wieder aufs neue. Es war ein Roman. Es handelte von einem Mann, der seine Frau über alles liebte. Sie waren sehr arm, wodurch die Frau erkrankte und später auf tragischer Weise verstarb. Diese Frau erinnerte mich an meine, die bereits von mir gegangen war. Vielleicht war dies der Grund, warum ich immer wieder das Buch las. Es kam mir jedes Mal so vor, dass ich meine Frau spürte. So als wäre sie neben mir sitzen und mich mit ihrem wundervollen Lächeln anschauen. Meine Sehnsucht nach ihr steigt von Tag zu Tag immer mehr. Vielleicht fragt ihr euch auch, warum ich jedes Mal hier her komme anstatt das Buch einfach mit nach Hause zu nehmen. Die Antwort ist ganz einfach. Ich hoffe, dass dieser Ort nicht nur mich faszinieren wird. Sondern das jemand dieses Buch ebenfalls lesen wird und genau so fühlt wie ich. Ich hoffe, dass das Buch jemandem Kraft schenkt weiter zu leben. Egal was im Leben auf einen zu kommt, immer weiter zu kämpfen und die Hoffnung nie zu verlieren. Jeder soll an seine Träume glauben und das Best mögliche aus seinem Leben machen. Und wisst ihr was mein Traum ist? Nach meinem Tod meiner Frau wieder zu begegnen, sie wieder in den Arm zu nehmen und nie wieder los zu lassen.
____Die Idee kam mir im Reliunterricht, als wir uns ein Bild aussuchen sollten und die Aufgabe bekamen etwas dazu zu schreiben. Hoffe es gefällt euch. Positive sowie negative Meinungen sind willkommen.