Kapitel 5-Ganz ruhig in den Morgen

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Den nächsten Morgen gehe ich ganz ruhig an und mache keine Hektik. Hektik im Urlaub ist Gift für das Herz und für die Seele. Das ist das, was ich am wenigsten will. Ich bin hier her gefahren, damit ich mal wieder auf andere Gedanken komme. Die nächsten Tage werde ich alles tun, damit mein Körper sich wieder entspannt und ich wieder richtige Entscheidungen treffen kann.


Ich wache also erst gegen 14 Uhr auf und erstaunlicherweise fühle ich mich seit Langem wieder etwas ausgeschlafen. Ich kann mich auch nicht dran erinnern, dass ich einen Alptraum hatte! Das fängt doch schon gut an. Ein kleiner Schritt wäre schon mal in die richtige Richtung gemacht worden. Aber ich weiß, dass ich noch ziemlich viele Schritte vor mir habe. Das schaff ich aber.

Auch wenn ich schon so spät aufgewacht bin, bleibe ich noch weitere Stunden einfach im Bett liegen und spiele mit meinem Handy und meinem Laptop. Dabei ignoriere ich gekonnt die Unordnung, die ich gestern Abend anscheinend verursacht habe. Den ganzen Nachmittag verbringe ich mit dem Internet und Apps, die ich neu finde. Was man alles so macht, wenn man nichts zu tun hat.

Erst das bekannte Hungergefühl führt mich von der total gemütlichen Matratze. Ich hab mich schon gewundert, warum ich nicht schon vorher was essen musste. Eigentlich ist man doch nach so einem Tag total ausgehungert, oder?

Was laber ich hier für eine Scheiße? Ich mache mir grade wirklich Gedanken um meinen Appetit? Habe ich nicht mehr alle Tassen im Schrank? Vielleicht würde mir ein wenig Gesellschaft mal wieder ganz gut tun. So langsam befürchte ich nämlich, dass ich meinen Verstand verliere.

Und automatisch denke ich wieder an die Person, die mir mein Herz gestohlen hat. Ob er wirklich hier auftauchen wird? Ich glaube es kaum. Warum sollte er auch? Ich habe ihm bisher keinen Grund gegeben, mir zu verzeihen. Ob ich ihm noch eine Nachricht schreiben soll und mich entschuldigen? Wird das was bringen?

Wohl kaum, gebe ich mir die Antwort auf meine Frage.

Was würde eine lächerliche Nachricht schon bringen? Damit könnte ich wohl nicht erreichen, dass meine Beziehung zu ihm wieder aufgebaut wird.

Aber vielleicht wäre es ein Anfang, überlege ich dann.

Seufzend stemme ich mich auf den Küchentisch und ziehe mit zitternden Fingern mein Handy aus meiner Jogginghose.

Ja, ich habe es geschafft, mir eine Hose anzuziehen. Ich bin auch ziemlich stolz auf mich.

Aber zurück zum eigentlichen Thema.

Ganz langsam und vorsichtig streiche ich über den Bildschirm. Immer wenn ich auf mein Handy gucke, muss ich glücklich lächeln. Dieses Bild bringt mich nämlich dazu. Genauer gesagt seine braunen, weichen Haare, die er zu diesem Zeitpunkt hochgegelt hat, sodass es richtig heiß und verwuschelt aussieht. So hat er mir immer am liebsten gefallen. Tut er heute noch. Ich hoffe irgendwie, dass er sie jetzt immer noch so trägt... Seine strahlenden, tiefbraunen Augen strahlen mich an, also eigentlich ja die Kamera, und faszinieren mich jeden Tag aufs Neue. Neben dem Traumtypen steht ein kleinerer Junge, der verliebt zu ihm hinaufblickt und seinen rechten Arm um den größeren und breiteren Kerl gelegt hat. Der Kleine hat hellbraune, kurze Haare und eine gebräunte Haut. Eigentlich sieht er ganz süß aus. Aber genau das ist auch das Problem dabei. Dieser kleinere sieht auf dem Bild noch so kindlich und schüchtern aus. Wenn man das Bild jetzt mal rumzeigen würde, würde niemand erkennen, dass dieser Junge der ist, der gerade das Handy in der Hand hält.

Ich bin nicht mehr dieser Kleine. Man muss mich nicht mehr vor allem und jeden beschützen und ständig Angst haben, dass er verletzt werden könnte. Mein Leben hat sich geändert und das sieht man mir deutlich an. Ich brauche keinen Beschützer mehr.

In diesem Moment geschieht etwas mit meinem Körper. Die Entschuldigungsnachricht ist vollkommen vergessen und auch die Situation, in der ich mich gerade befinde.

Wie in Trance rutsche ich vom Tisch und lasse mein Handy einfach fallen. Mich interessiert auch nicht, dass der Bildschirm zersplittert und es nur noch einmal aufblinkt, bevor es ganz den Geist aufgibt.

So ein Teil bringt doch nur Ärger mit sich. Es ist schlecht für die Gesundheit und auch für die Psyche. Nur sinnlos. Das alles soll man für Beliebtheit in Kauf nehmen?

Ich blicke nach draußen und nehme deutlich wahr, dass dort fast die Welt untergeht. Damit meine ich, dass der Himmel mit Blitzen und Donner geschmückt ist und es draußen so hell erleuchtet wird, als wäre es Mitten am Tag. Das ist es aber nicht. Es ist acht Uhr Abends und normalerweise stockdunkel. Aber nicht nur das Spektakel am Himmel ist zu erkennen. Es regnet auch in Strömen auf die Erde nieder, so als ob all die Engel und Götter weinen würden. Eine schreckliche Vorstellung.

Trotz dem Bild dort draußen fasziniert es mich auch. Das ist wohl auch der Grund, warum ich da unbedingt raus will. Vielleicht könnte ich drauf gehen. Vielleicht aber auch nicht. Wer weiß das schon? Man muss Dinge in seinem Leben riskieren.

Ich trete an die Terrassentür, die an die Küche angrenzt, und mache den Hebel hoch. Noch einmal beobachte ich das ganze Schauspiel. Nach dem nächsten Blitz reiße ich die Glastür auf und sofort schlägt mir eine erstaunliche Windböe entgegen. Das hält mich aber nicht davon ab, das schützende Haus zu verlassen.

Etwas in mir sagt mir, dass ich da jetzt raus gehen soll und dass sich in Kürze etwas ändern wird. Etwas wichtiges.

Auch wenn ich mich wie ein Kranker fühle, folge ich meinem Gefühl. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht ist es diesmal ganz gut. Vielleicht auch nicht.

Ich werde es gleich erfahren.



~935 Wörter~


Don't call me SweetyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt