Kapitel 1

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Erschöpft von einem langen Arbeitstag am Campus stapften Sheldon und Leonard die Stufen zu ihrem Apartment nach oben. Obwohl Sheldon nicht darüber nachdenken wollte, fiel sein Blick auf die Tür des Apartments 4b und er fragte sich zum hundertsten Mal, wieso Penny schon seit drei Wochen und zweiundzwanzig Stunden nicht mehr bei ihnen aufgetaucht war. Er dachte daran, wie sie bei ihrem letzen Besuch die geblümte Bluse trug und sich über ihre Arbeit in der Cheesecake Factory beschwerte.

»Willst du reinkommen oder übernachtest du heute im Hausflur?«, riss Leonard ihn aus seinen Gedanken. Ihm schien Pennys Abwesenheit überhaupt nicht aufgefallen zu sein und Sheldon wollte es aus Angst vor der Wahrheit auch nicht ansprechen. Nach gründlichem Durchdenken aller möglichen Theorien war ihm bewusst, dass Penny womöglich ausgezogen war und das konnte und wollte er nicht wahrhaben. Es hatte ihm viel Mühe gekostet sich an Pennys Charakter und Gepflogenheiten zu gewöhnen und sie in sein Leben zu integrieren und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein?

»Leonard, warum ist Penny nicht mehr Teil unserer sozialen Gruppe?«, platze es aus ihm heraus, weil er nicht mehr länger in Ungewissheit leben konnte. 

Nach einem kurzen Moment der Stille, die durch Sheldons vor Angst pochendem Herz durchbrochen wurde, antwortete Leonard: »Sie wollte eine Auszeit und ist zu ihrer Familie nach Nebraska geflogen. Ich weiß nicht, wann sie wieder kommt.«

Sie war nicht ausgezogen. Sheldon beruhigte das ungemein. »Auszeit wovon?«

Leonard's kritischer Blick war ihm nicht entgangen. Er wunderte sich wahrscheinlich genauso wie Sheldon selbst, warum er sich plötzlich für das soziale Leben ihrer Freunde interessierte.

»Ich weiß nicht. Von mir, von der Arbeit. Von allem eben.« Sichtlich verletzt verzog sich Leonard in sein Zimmer. Deshalb war das Thema in den letzten Wochen auch nicht aufgekommen, weil es Leonard einfach zu sehr verletzte.


Ohne große Lust schaltete Sheldon seinen Laptop an um eine Runde World of Warcraft zu spielen. Gerade als er sein Passwort eingeben wollte, hörte er Schritte aus dem Hausflur. So leise wie möglich schlich er zur Tür um zu lauschen. In Gedanken ging er schon den Fluchtplan für einen möglichen Raubüberfall durch, doch es waren nicht einfach nur Schritte. Die Person auf dem Flur zog eindeutig einen Koffer mit sich. Schlagartig machte sich Hoffnung in ihm breit. Er atmete tief durch und öffnete die Tür.

Der Atem blieb ihm in der Kehle stecken. Penny war zurückgekehrt. Mit unordentlichem Zopf und grauem Sweatshirt stand sie vor ihrer Haustür und suchte den Schlüssel in ihrer Tasche. Für ihn hatte sie nie schöner ausgesehen, so erleichtert war er. Ohne darüber nachzudenken, was er tat, rannte er auf sie zu und umarmte sie.

»Sweetie, ich hab dich auch vermisst.«, sagte sie und lachte über Sheldons Ungeschicklichkeit. Seine Umarmungen waren selten.

Sheldon löste sich von ihr und strich sein Shirt glatt. »Wie ich sehe bist du wieder zurück.«

»Ja, ohne euch halte ich es einfach nicht lange aus. Außerdem habe ich dort kein freies WLAN«, sagte Penny und erzwang sich ein Lächeln.

Irgendetwas war anders und das machte es Sheldon unmöglich einfach zurück in seine Wohnung zu gehen und zum Alltag zurückzukehren.

»Möchtest du vielleicht mit reinkommen?« Penny hievte den Koffer über die Türschwelle.

Stumm nickte er und schloss die Tür hinter sich. Die Wohnung sah aus wie immer. Überall lagen Klamotten und das Geschirr stapelte sich im Spülbecken. Aber trotzdem war etwas anders. Penny hatte sich verändert. Sheldon kannte sich mit dem Zwischenmenschlichen nicht gut genug aus, um zu wissen, wie man so etwas am besten ansprechen sollte. »Obwohl Omaha die größte Stadt Nebraskas ist, ist es nicht die Hauptstadt. Es ist Lincoln.«

»Wie auch immer, ich bin einfach nur froh wieder hier zu sein. Ich kann es mir nicht mehr vorstellen meine Verwandtschaft rund um die Uhr um mich zu haben. Es ist zwar schön, sie ab und an zu sehen, aber hier bei euch fühle ich mich irgendwie mehr zuhause. Sorry Sweetie, ich weiß, dass du mit solchen Gesprächen nichts anfangen kannst. Möchtest du etwas trinken?«

Sheldon saugte jedes einzelne Wort aus Pennys Mund auf. Zu lang hatte er sie nicht mehr reden gehört. Und er dachte über das nach, was sie sagte. Es störte ihn nicht, dass es um Themen ging, über die er sich noch nie unterhalten hatte. Er wollte, dass sie mehr erzählte.

»Eine Cola Light mit Schirmchen, bitte.«

Penny grinste und war froh, immer ein paar Papierschirmchen in ihrer Schublade zu haben, falls Sheldon vorbeikam.

»Penny, ich weiß, ich habe meine Probleme mit dem deuten von Gesichtszügen, Sarkasmus und diversen Verhaltensweisen, aber wenn jemand plötzlich wegfährt, dann wieder kommt und völlig verändert ist, merke selbst ich, dass etwas nicht stimmt.«

Überrascht von Sheldons Worten setzte sich Penny zu ihm auf das Sofa. »Sweetie, Ich musste einfach mal raus. So unüblich ist das gar nicht.« Sie wollte ihm zur Beruhigung über den Arm streicheln, aber hielt sich davon ab, um ihn nicht zu verschrecken.

Er nahm einen Schluck von seinem Getränk und musterte sein Gegenüber. Penny sah aus wie immer und doch auch wieder nicht. Sie war blasser als sonst, aber das lag wahrscheinlich daran, dass es in Nebraska nicht so sonnig war wie hier. Ihre sonst so strahlenden Augen waren glasig und leer. Vielleicht war sie übermüdet. In Flugzeugen könnte Sheldon es sich nicht vorstellen auch nur an Schlaf zu denken. Er hatte das dringende Bedürfnis, ihre Hand zu halten, um die Körpertemperatur zu überprüfen, aber er tat es nicht.

Penny entging das nicht. »Ich bin krank, Sheldon.«


Die Theorie der UnendlichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt