Kapitel 5

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»Leonard, Leonard, Leonard Leonard, ruf den Krankenwagen!« Als Sheldon wieder seine Beine spürte, rannte er so schnell er konnte in seine Wohnung und dann mit Leonard im Schlepptau gleich wieder zurück.

»Penny!! Was ist passiert??« Geistesgegenwärtig griff Leonard nach dem Telefon und wählte 911.

Sheldon hatte den Ablaufplan für Notfälle auswendig gelernt. Er kannte die Prozedur für absolut jede Katastrophe. Aber den emotionalen Faktor hatte er nicht mit einkalkuliert. Er schaffte es gerade noch sich an die stabile Seitenlage zu erinnern. Ohne über das Blut nachzudenken, kniete er sich auf den Boden und überprüfte, ob sie noch atmete. Er versuchte sie zu wecken, aber sie rührte sich nicht. Ihre Wangen waren kalt und farblos. Dann platziere er sie vorsichtig in die Position, in der sie am besten Luft bekam. Nach und nach erinnerte er sich an mehr Punkte. Er legte seinen Finger an ihr Handgelenk und versuchte verzweifelt den Puls zu kontrollieren, aber die Ergebnisse waren unbrauchbar, weil die Geräusche im Raum alles übertönten. Leonard schrie panisch ins Telefon und Sheldons Herz pochte so laut in seiner Brust, dass es unmöglich für ihn war sich zu konzentrieren. Also setzte er sich einfach auf den Boden und bettete Pennys Kopf in seinen Schoß, damit sie nicht weiter in der klebrig-süßen Flüssigkeit liegen musste. Und dann begann das Warten.

»Der Krankenwagen kommt so schnell er kann. Hoffentlich ist es nichts ernstes.« Leonard setzte sich dazu und hielt Pennys Hand.

»Sie hat Krebs, Leonard. Heute wollte sie es allen sagen.«

»Sie hat was??«

»Akute lymphatische Leukämie. Morgen wollten die Ärzte mit der stationären Behandlung anfangen.« Die Worte auszusprechen fiel ihm schwer. Wenigstens musste Penny es jetzt nicht mehr selbst tun.

Nach einer Weile des Schweigens zählte Leonard eins und eins zusammen. »Und ich Idiot mache ihr in der Situation noch einen Heiratsantrag! Wieso hat sie mir nichts davon erzählt?«

»Ich gehe davon aus, dass das etwas ist, das man erst einmal mit sich selbst ausmacht.«

Der Krankenwagen kam zügig, verfrachtete Penny auf die Trage und trug sie hinunter.

»Ich fahre mit, ich bin ihr Freund. Sheldon, ich halte dich auf dem Laufenden!«, rief Leonard und verschwand im Wagen.

Sheldon wollte zurück in seine vier Wände. Er wollte, dass die Stringtheorie wieder das größte Problem war, das er hatte. Aber das war es nicht. Und er ging auch nicht zurück in die 4A. Er schnappte sich Eimer und Lappen und fing an, die Spuren zu beseitigen, damit Penny nicht daran erinnert wurde, wenn sie nach Hause kam. Er sammelte die Scherben ein und wischte die klebrige Masse auf ohne zu wissen, ob das jetzt von der Cola oder dem Blut kam. Der Konsistenz nach zu urteilen war sie nicht nur für ein paar Minuten dort gelegen. Inständig hoffte er, dass sie heute Morgen noch geschlafen hatte, als der Postbote an ihrer Tür klopfte und sie nicht seitdem hilflos auf dem Boden vor sich hinvegetierte.

Leonard ging nicht an sein Handy. Um sich abzulenken entschloss Sheldon sich dazu, ein paar Sachen zusammenzupacken und sie Penny ins Krankenhaus zu bringen. Wenn sie wieder bei Bewusstsein war, würden die Ärzte unverzüglich mit der Chemotherapie beginnen und das bedeutete mindestens drei Wochen Krankenhausaufenthalt. Als er die Kommode öffnete, sprang ihm das blanke Chaos entgegen. Penny hielt nicht viel von Ordnung, weder in ihrem Kleiderschrank noch sonst wo, aber Sheldon störte das nicht mehr. Er faltete ein paar Oberteile und Hosen, bis die Tasche voll war. Wegen seines eidetischen Gedächtnisses konnte er sich ganz genau daran erinnern, welche Klamotten Penny überhaupt nicht mochte. Schließlich hatte er sie bereits schon einmal eingekleidet, als er sie wegen dem Unfall im Badezimmer zum Krankenhaus bringen musste. Zahnbürste und Duschzeug durften natürlich auch nicht fehlen. Mit dem Auto zum Krankenhaus fahren kam für ihn nicht in Frage, also blieb nur eine Möglichkeit.

»Du bist mit dem Bus gefahren?«, fragte Leonard ungläubig.

»Da man Laufen und Autofahren ausschließen kann, musste ich wohl auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen.«

»Das ist so nett von dir!«. Bernadette und Howard waren bereits eingetroffen, um ihren Freunden beizustehen.

»Ist sie wieder bei Bewusstsein?« Sheldon konnte die Hoffnung in seiner Stimme nicht unterdrücken.

Bernadette schüttelte den Kopf und hielt sich ein Taschentuch unter die Nase. Fürsorglich legte Howard seinen Arm um sie.

»Das Warten macht mich wahnsinnig. Wieso lassen die mich nicht zu ihr?« Leonard war zu aufgebracht um sich zu setzen.

»Was ist passiert?« Amy und Raj stürmten herein und ließen sich von Leonard auf den neusten Stand bringen. Für Sheldon war die bloße Anwesenheit von kranken und ansteckenden Menschen eine Qual und die aufgeheizte Stimmung unter seinen Freunden machte die Sache für ihn noch viel schwerer. Er nahm auf einem Stuhl im Wartezimmer platz und versuchte sich zu beruhigen. Es funktionierte, als er sich daran erinnerte, weshalb er hier war und warum er die Tortur des Busfahrens auf sich genommen hatte.

Es war bereits kurz vor Mitternacht, als eine kleine, rundliche Ärztin das Wartezimmer betrat. Sie hielt ein Klemmbrett im Arm und trug einen weißen Kittel. »Ihre Freundin ist aufgewacht. Sie können jetzt zu ihr.«


Die Theorie der UnendlichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt