Kapitel 12

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Zaghaft kämmte Penny sich am nächsten Morgen die Haare. Sie machte es so selten wie möglich aus Angst sie könnten langsam ausfallen. Aber noch war es wohl nicht soweit. Sie ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf der Couch fallen. Auf dem Tisch lag die unterschriebene Beziehungsrahmenvereinbarung, die darauf wartete Sheldon zurückgegeben zu werden. Auf einmal spürte Penny eine Kitzeln unter der Nase. Als sie dieses mit den Finger berührte und ansah, rutschte ihr das Herz in die Hose. Es war Blut. Sie rannte ins Badezimmer und beugte sich über das Waschbecken. Wie ein Wasserfall lief das Blut ins Becken, unaufhaltsam. Sie versuchte es mit Handtüchern zu stoppen, aber es half nichts. Sie saugten sich nur voll. Dann wurde ihr langsam schwarz vor Augen, aber sie krallte sich am Waschbecken fest, um bei Bewusstsein zu bleiben. Als sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, setzte sie sich auf den Klodeckel und hielt sich das letzte saubere Handtuch unter die Nase, das sie ohne aufzustehen erreichen konnte. Sie musste ins Krankenhaus fahren, aber ihr war so schwindlig. Deshalb blieb nur noch eine Möglichkeit.

»Sheldon? Leonard?«, rief sie so laut sie konnte in der Hoffnung, dass die Jungs noch nicht zur Arbeit aufgebrochen waren. Zu ihrer Erleichterung hörte sie zügige Schritte, die sich ihrer Wohnung näherten.

»Penny? Ist alles in Ordnung?«, fragte die Stimme, die Leonard gehörte.

»Nein, ich... ich brauche Hilfe. Die Tür ist offen.« Es machte sie irgendwie wütend, dass sie sich nicht selbst helfen konnte, sondern auf andere angewiesen war.

Leonard und Sheldon stürmten in die Wohnung. »Penny!! Wie lang geht das schon so?« Besorgt begutachtete Leonard ihre Nase.

»Ich weiß nicht, seit einer viertel Stunde vielleicht.«

»Wir müssen dich sofort ins Krankenhaus fahren. Sheldon, bring sie runter, ich hol das Auto!« Sobald Leonard das Badezimmer verließ und den Weg freigab, schnappte sich Sheldon einen Waschlappen, befeuchtete ihn mit kaltem Wasser und legte ihn Penny in den Nacken. Er hatte es nicht so mit Blut, aber das Adrenalin in seinen Adern ließ keinen Schwächeanfall zu.

Benommen sah Penny zu ihm auf. »Schon wieder muss ich dich in eine unangenehme Situation bringen.«

»Penny, wenn du involviert bist, ist sie mir nicht unangenehm.« Er holte ihr ein frisches Handtuch aus dem Schrank und half ihr auf. »Geht es?«

Sie nickte, obwohl ihre Sicht flimmerte und sie Mühe hatte nicht zusammenzubrechen.

»Leukämiepatienten neigen zu vermehrten Blutungen. Wenn es so schlimm ist wie heute, sollten Sie ein Krankenhaus aufsuchen, aber normalerweise hört es nach ein paar Minuten von selbst auf«, informierte Dr. Sullivan die Jungs und Penny. Sie konnten die Blutung lokalisieren und verschließen.

Penny nahm nicht wirklich auf, was die Ärztin zu sagen hatte, weil sie von der lokalen Betäubung noch ein wenig benebelt war. Stattdessen musterte sie Sheldon. Sein spitzes Kinn, die unschuldigen Augen und die starken Hände, in denen sie sich sicher und erwünscht fühlte.

»Hat sie jemanden, der sie die nächsten Tage ein wenig im Auge behält?«, fragte Dr. Sullivan.

»Ja!« Sheldon und Leonard antworteten gleichzeitig.

»Ich sehe schon. Sind Sie ihre Mitbewohner?«

»Wir sind Nachbarn«, warf Leonard ein.

»Auch gut. Dann ist sie ja in besten Händen. Aber eine Sache noch, bitte seien Sie sich darüber im Klaren, dass ihre Freundin gute und schlechte Tage haben wird.« Die Ärztin unterschrieb die Entlassungspapiere.

Penny wurde die Ernsthaftigkeit der Worte erst durch Sheldons veränderten Gesichtsausdruck bewusst. Er wirkte angespannt, aber bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen. Der Vorfall hatte Penny zurück in die Realität geholt. Sie stand erst am Anfang eines langen Kampfes und war sich nicht sicher, ob sie das durchstehen würde. Ob Sheldon das durchstehen würde. Alles, was sie sich wünschte, war die Chance auf einen Neuanfang. Ihr Leben war von Sackgassen geprägt und jetzt hatte sie endlich das Gefühl auf der richtigen Spur zu sein, aber die Krankheit machte alles kaputt. Sie überlegte, ob sie zum Wohle aller nach Nebraska fliegen und erst wieder in Pasadena auftauchen sollte, wenn sie wieder gesund war. Aber der Gedanke daran, dass sie ihre Freunde dann vielleicht nie wieder sehen würde, jagte ihr mehr Angst ein als alles andere.

Während Leonard das Auto parkte, brachte Sheldon Penny nach oben. Die Nachwirkungen der Medikamente verschwanden allmählich.

»Ich hab was für dich, falls du es noch willst.« Penny reichte Sheldon die Beziehungsrahmenvereinbarung.

»Wieso sollte ich es nicht mehr wollen?«

»Du hast ja gesehen, was dich erwartet. Ich kann verstehen, wenn dir das zu viel ist.« Sie versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu kontrollieren, aber es klappte nur bedingt.

Sheldon schüttelte den Kopf. »Beziehungen sind meines Wissens nicht an die Prämisse geknüpft, dass beide Partner bei bester Gesundheit sein müssen. Außerdem gibt es in der Beziehungsrahmenvereinbarung eine Klausel, die den Umgang mit gegenseitiger Krankheit und ähnlichem regelt. Mit anderen Worten, ja, ich will es noch und ich kann mir nicht vorstellen es in naher Zukunft nicht mehr zu wollen.«

Leonard kam die Stufen nach oben und die beiden unterbrachen das Gespräch.

»Na komm, Sheldon, gönnen wir Penny ein bisschen Ruhe.« Leonard bedeutete ihm mit in die 4A zu kommen. Was sich Penny jetzt am meisten wünschte, war nicht allein zu sein, aber das konnte Leonard ja nicht wissen und sie würde sich nicht in die Freundschaft zwischen den beiden einmischen, indem sie das Geheimnis offenbarte. Also machte sie sich daran die Tür zu schließen, doch Sheldon verhinderte es.

»Nein, ich werde meine Freundin jetzt nicht alleine lassen.«

Penny traute ihren Ohren nicht.

»Was?« Vor Schock ließ Leonard die Schlüssel fallen.

Selbstsicher hielt Sheldon die Beziehungsrahmenvereinbarung in die Luft. »Es hat sich ergeben, dass Penny und ich nun in einer festen Beziehung sind.«

»Das kann doch nicht dein ernst sein! Penny?« Leonard war fassungslos.

»Bitte beruhig dich, Leonard!« Ihr fiel nichts ein, wie sie die Situation entschärfen konnte. Obwohl ihr ein riesengroßer Stein vom Herzen fiel, weil sie sich jetzt nicht mehr verstecken mussten, tat es ihr unendlich leid für Sheldon, der gerade einen Freund verlor.

»Beruhigen? Du verlässt mich für... SHELDON und ich soll mich beruhigen? Verdammt Penny, er ist ein Kind!!« Abfällig deutete er auf Sheldons T-Shirt mit dem Aufdruck „Flash".

»Entschuldige mal, ich bin ein erwachsener Wissenschaftler, genau wie du!«

»Oh komm schon, du spielst mit Eisenbahnen und hast noch nie eine Frau von nahem gesehen!«

»Und das ist deine Definition für das Erwachsensein? Dass man nicht mehr mit Fahrzeugen spielt und regelmäßig Coitus praktiziert?«, stammelte er. Penny merkte, dass Sheldon verletzt war, weil er seinen Kiefer anspannte und nervös die Schnalle seiner Tasche umklammerte.

»Halt die Klappe, Sheldon, ich bin fertig mit dir. Mit euch beiden.« Wutgeladen stapfte Leonard in seine Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.


Die Theorie der UnendlichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt