...Und ihre Lösung

665 33 1
                                    

Ich mustere die Gesichter von Steffi und Jan. Auf beiden spiegeln sich gemischte Emotionen wieder. Angst, Schrecken, der Versuch zu verstehen, die leichte Übelkeit, als ihnen klar wird, was ich wirklich mit meinen Worten meine. Wie tief mich diese Jahre verändert haben. Steffi schaudert leicht, wird darauf hin, von Jan in den Arm genommen. Dieser sieht mich jetzt noch einmal an. Aufmerksamer als vorher, seine Stimme ist leise, nicht wirklich verängstigt, aber doch mit einem gewissen Respekt, als er mich fragt:

„Sie hätten mich gestern problemlos umbringen können oder?"

Ich höre deutlich, dass er die Antwort im Grunde genommen schon weiß, sie aber einfach nicht wahrhaben will. Soll ich sie ihm also einfach nicht geben, ihn eventuell sogar anlügen? Sagen, dass ich das niemals könnte? Ich glaube nicht, dass das eine gute Wahl wäre. Ich habe es bislang immer so gehandhabt, dass ich, sobald jemand Bescheid wusste, versucht habe relativ ehrlich zu ihm zu sein. So bin ich mit Felicity verfahren und so gehe ich im Moment auch mit Thea um. Ein Satz aus dem Ethik Unterricht meiner Schulzeit kommt mir in den Sinn: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Von wem das kommt, weiß ich nicht mehr, aber es spiegelt meine Einstellung ziemlich gut wieder, also handele ich auch dem entsprechend. Ich nicke Jan langsam zu.

„Ja. Es wäre rein vom physischen kein Problem gewesen."

„Und psychisch?"

Steffis Stimme zittert, als sie diese Frage stellt. Sie hat Angst. Richtige, echte Angst. Nicht nur ein bisschen Schiss, wie vor einer wichtigen Prüfung, sondern Angst, wie man sie empfindet, wenn man dem Tod ins Auge sieht. Und die Frage macht auch mir Angst. Einfach weil ich sie nicht wirklich beantworten kann. Ich senke den Kopf.

„Ich weiß es nicht."

Die Antwort ist nur ein raues Flüstern, kaum verständlich. Während ich noch darüber nachdenke, ob ich den beiden Kindern noch mehr erzählen soll um meine Antwort zu erklären, spüre ich Felicitys Hand auf meiner linken Schulter, ihren Kopf auf meiner Rechten.

„Du hättest es nicht gekonnt. Das glaube ich nicht."

Ich lächele leicht. Sie glaubt immer noch an mich. Nach allem, was ich im letzten Jahr getan habe, nach all dem, was ich ihr in den letzten Wochen und Monaten über meine letzten Jahre erzählt habe... Das ist bewundernswert. Wirklich bewundernswert. Und es macht mir Hoffnung. Hoffnung, dass ich doch nicht so schlecht bin wie ich immer denke, Hoffnung auf eine Zeit ohne Kapuze, Hoffnung auf ein Leben. Innerlich schüttele ich den Kopf. Ich sollte mich nicht so leicht ablenken lassen. Gerade im Moment habe ich wirklich keine Zeit mir über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Meine Aufmerksamkeit sollte einzig und allein meiner Umgebung gelten.

Die Nächsten Stunden laufen wir schweigend durch den Wald. Ich habe nicht das Bedürfnis viel zu quatschen und die meisten anderen benötigen die Luft um mit dem doch eher forschen Tempo mit zu halten, das ich gerade an den Tag lege. Im Grunde genommen sind wir immer noch deutlich zu langsam, aber ich weiß, dass ich die Kinder nicht dazu bringen kann jetzt zu joggen. Die meisten von ihnen hätten auch gar nicht mehr die Kraft dazu. Trotzdem werde ich langsam unruhig. Dass ich bisher keine Spur von den beiden Typen gefunden habe, die vorhin auf uns zukamen, macht mir etwas Angst. Ich vermute, dass sie zuerst ihren Partner versorgt haben, aber selbst dann, müssten sie langsam auf unserer Fährte sein. Und wenn sie sich erst mal an die Verfolgung gemacht haben, sind wir so gut wie chancenlos. Unsere Fährte ist mehr als gut zu erkennen und die beiden sind schnell. Im Grunde kann ich nur hoffen, dass ich sie zuerst entdecke, wenn sie irgendwann aufholen. Also richte ich meine Augen und Ohren wieder auf den Wald, und führe meine Truppe weiter. Irgendwann nehme ich den Hauch einer Bewegung hinter uns wahr. Ich sehe mich um, entdecke Mike einige Meter entfernt, gehe auf ihn zu und drücke ihm meinen Kompass in die Hand, reiche ihm die Karte.

Into the WoodsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt