Kapitel 2

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Meine Mutter hatte mich umgemeldet, also musste ich jetzt wirklich mit Wild Nightmare starten. So richtig bin ich noch nie gesprungen und dann gleich Klasse L/M?

Vorsichtig öffnete ich seine Boxentür. Sofort legte er die Ohren an und rollte mit den Augen. "Wie hat man dich auch in den LKW bekommen", murmelte ich. Ich streckte meine Hand aus und berührte sein Fell. Er zuckte nicht zurück sondern blieb wie angewurzelt stehen. "Braver... Feiner...", sprach ich beruhigend auf ihn ein. Langsam, ganz langsam drehte sich ein Ohr in meine Richtung. Jetzt traute ich mich näher an ihn ran. Ein kleiner Schritt, noch ein kleiner Schritt. Ich stand direkt neben dem großen Pferd und streichelte sein seidig schwarzes Fell. Er schnaubte und wurde langsam entspannt. "...Guter... Warte..." Langsam ging ich raus und schloss die Türe. Schnell holte ich die Putzsachen und ging wieder zu seiner Box. Mit Bedacht putze ich ihn und sein Fell bekam einen leuchtenden Schimmer. Dann legte ich die giftgrünen Gamaschen an. Es sah total gut aus. Der Springsattel war schon bereit. Erst legte ich die ebenfalls giftgrüne Satteldecke auf und dann den frisch polierten schwarzen Sattel. Sein Fell hatte die gleiche Farbe wie der Sattel. Es sah einmalig aus. "Yvi, wie weit bist du denn?", fragte meine Mutter und kam in die Box. Sofort legte Wild Nightmare die Ohren an und verdrehte die Augen. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück. Wild Nightmare zickte wild herum. "Geh besser raus, Mam!" Sie gehorchte und verschwand aus der Box. Sofort wurde er wieder ruhig. "Du Frechdachs! Sie tut dir doch nix", brummte ich. Vorsichtig legte ich ihm Heartbreakers grünes Halfter an und band ihn fest, damit ich mich umziehen konnte. Ich packte meine Sporttasche und verzog mich in eine Art Umkleide. Ich zog meine weiße Reithose und die Reitbluse an. Dazu meine frisch geputzen Lederreitstiefel und die Sporen. Oder sollte ich die Sporen weglassen? Wie hatte mein Vater ihn geritten? Ich glaube mit, also legte ich sie an. Mein schwarzes Jackett mit den grünen Verzierungen passte ebenfalls perfekt. Umgezogen ging ich wieder zurück zu unserem Zelt. "Du siehst echt top aus", sagte eine tiefe Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen fremden Jungen, ebenfalls in weißer Reithose. "Sollte ich dich kennen?", fragte ich frech. Er lächelte mich an und kam näher. Irgendwoher kam er mir bekannt vor. "Du bist Yvonne Junger, nicht wahr? Ich bin Chris Koler." Er streckte mir seine Hand hin. Ich starrte darauf und sah ihm dann in seine blauen Augen. "Verzichte", blaffte ich ihn an und drehte mich um. "Jetzt warte doch mal, bitte", flehte er. Er hielt mich am Arm fest. "Ich reite nacher gegen dich, beim Springreiten L/M. Soll ich dich gewinnen lassen?" Jetzt erinnerte ich mich! Der Typ war letztes Jahr auch schon bei einem Turnier und hatte mich besiegt. Doch dieses Mal nicht. "Das schaffe ich auch so!" Ich entzog ihm meinen Arm und lief erhobenen Hauptes zurück in unser Boxenzelt. "Na mein Süßer? Weißt du was?", flüsterte ich Wild Nightmare zu. Er schlug nur mit dem Schweif um die Fliegen zu vertreiben. "Wir müssen diesen Chris schlagen", murmelte ich lächelnd und als hätte mein Pferd mich verstanden, nickte es. Ich musste lächeln. "Schatz? Los, wir müssen zum Platz!", rief mich meine Mutter. Ich trenste Wild Nightmare mit dem schwarzen mexikanischen Reithalfter, wo am Stirnriemen noch giftgrüne Steinchen waren. Selbst die Steigbügel waren grün. Das Martingal war schnell drangemacht und komplett schwarz. So führte ich den Hengst hinunter auf den Sandplatz.

Während meine Mutter Wild Nightmare fest hilt, stieg ich geschickt auf. Er tänzelte kurz zur Seite, aber bloeb dann brav stehen. "Feiner", flüsterte ich. "Also los", kommandierte meine Mutter, als sie sich in die Mitte zu den anderen Turniermüttern gesellte. Ich gab ihm einen leichten Schenkeldruck und schon lief er los. Er ging richtig geschmeidig, fast so gut wie mein S-Dressurpferd Crasher. Zuerst ritt ich ihn im Schritt warm. Schon da merkte ich seine freudige Erregung. "Trab an", kam es von meiner Mutter und ich tat wie mir befohlen. Ich fasste die Zügel nach und wieder genügte ein leichter Schenkeldruck, schon trabte er an. Er war schnell, aber nicht ungezähmg. "Lass die Zügel etwas länger, langes Bein, aufrechte Hände. Super", sagte Tina immer wieder. Ich hielt mich natürlich an ihre Kommandos und Wild Nightmare wurde ruhig und kaute sogar etwas am Gebiss! Plötzlich galoppierte irgendein Mädchen an mir vorbei und streifte mit ihrer Gerte mein Pferd. Er erschrak und sprang einen Meter zurück und stieg dann. Ich lehnte mich hilflos nach vorne und versuchte ihn zu zügeln. Er war etwa eine Sekunde auf dem Boden, da stieg er erneut. Er tänzelte auf zwei Beinen, legte die Ohren an und wieherte schrill. Auf dem Boden kam sofort meine Mutter und beruhigte ihn. "Alles ok", fragte sie und ich nickte. " Dieses Mädchen...", ich zeigte mit dem Finger auf das Mädchen. "...hat ihn mit ihrer Gerte berührt, er ist nur erschrocken", erklärte ich. Sie nickte und forderte mich auf, weiter zu reiten. Ich lies ihn antraben und lobte ihn zwischendurch. Nach einiger Zeit galoppierte ich ihn auf einem Zirkel. Er galoppierte fließen und fleisig. "Kreuz frei!", rief ich und galoppierte langsam auf das niedrige Kreuz. Er setzte einwandfrei darüber hinweg. Ich lobte ihn. Weiter ihm Galopp ritt ich wieder einen Zirkel. "Kreuz!", schrie ich abermals und trabte dieses Mal darauf zu. Kurz davor galoppierte ich an und wieder sprang er mühelos darüber. "Feiner", sprach ich zu ihm. Er schnaubte. Ich sprang noch dreimal über's Kreuz und ging dann zum Steilsprung. Auch hier berührte er keine Stange. "Kräftig loben, Yvonne. Jetzt komm zum Oxer." Ich trabte zum Oxer. Mit Heartbreaker waren die Hoch-Weit-Sprünge nicht immer besonders gewesen. Oft hatte er eine Stange gerissen. Da war ich immer froh, dass in E, A und L wenig Oxer bzw. nicht so hohe dran kamen. Doch jetzt galoppierte ich mit einem anderen, wilderen Pferd auf den Sprung zu. Wir legten einen Zahn zu. Wild Nightmare sprang ab und wir flogen regelrecht darüber. Es fühlte sich an als würden wir schweben. Er kam wieder am Boden an und galoppierte munter weiter. Ich war ganz baff und lobte ihn kräftig. Er war ein richtiges Springtalent! Selbst Mama war begeistert. Wir sprangen den Oxer noch dreimal und jedes Mal lief es gleich ab. Absprung - in zeitlupe Schweben - Landung. "111 runter!", riefen die Teenager von der Startertafel. "Jetzt ist es soweit", sagte ich zu Wild Nightmare und ritt vom Sandplatz runter auf den großen Grasplatz mit 9 Hindernissen.

Wildfang I - UngezähmtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt