Der Bulldozer

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Ich wusste ja nicht, was heute passieren sollte. Also wirklich nicht, ich war vollkommen ahnungslos. Hätte ich gewusst was kommt, wäre ich vielleicht umgedreht und wieder nach Hause gegangen, doch leider wusste ich es nicht und so rannte ich direkt in mein Schicksal.

Ihr Name war Hedwig.

Der erste Tag nach den Sommerferien ist immer was Besonderes. Alle erzählen von ihren Tollen Erlebnissen und die anderen tuen so, als würde es sie interessieren, was es eigentlich nicht tut.

Dann gibt es aber auch solche wie mich, die uninteressanten, die nichts getan haben außer zu Hause zu sitzen und nichts zu tun. Okay, doch. Ich gebe es ja zu, ich habe für die Schule gelernt. Aber ich bin nun mal zum Langweiler geboren, auch wenn meine Mütter es gerne anders gehabt hätten.

So stehe ich hier nun, die schwitzenden Hände fest um die Gurte meines Rucksacks geklammert und warte mit verbissenem Gesicht darauf, dass Mops endlich kommt. Er verspätet sich immer, und dass nervt mich. Massen an Schülern gehen an mir vorbei, einige mehr motiviert, andere weniger. Ich senke meinen Blick, als die Fußballer an mir vorbei gehen. Auf die erste Bekanntschaft in diesem Jahr mit der Toilette hatte ich heute noch keine Lust. Das lässt sich auch verschieben.

Erleichtert atme ich auf, als sich ein schwarzer Schopf den Weg durch die wilden Horden zu mir bahnt. Er grinst ein breites weißes Grinsen als er mich entdeckt. Ich grinse weniger breit und weniger weiß zurück, denn leider lässt meine Zahnspange alle Hoffnungen auf ein schönes Lächeln zunichte gehen.

„Ey, T! Lange nicht gesehen.", Mops hält seinen rechten Arm hoch und erwartet, dass ich einschlage, was ich auch unbeholfen tue. Er hat sich verändert im Sommercamp. Seine Haut sieht noch ein wenig brauner aus, er ist gewachsen und an seinen Armen zeichnen sich eindeutig Muskeln ab.

„Hai, was ist mit dir passiert?", ich stecke die Hände in meine Hosentasche und ziehe die Schultern nach vorne. Obwohl ich einen, wie Eli sagt, gebückten Gang habe und herumlaufe als hätte ich vor irgendwas Angst, bin ich mit meinen fast 2 m knapp 30 cm größer als er. Ich kann ja nichts dafür, dass habe ich meinem Samenspender zu verdanken. Denn von Lis kommt das sicher nicht.

„Ach, ich habe ein wenig trainiert. Mir ist bewusst geworden, das ich Daisy mit meinem alten Ich nicht bekommen kann, also muss ich mich ändern."

„Wie du meinst."

„Vielleicht solltest du auch mal mit trainieren kommen, so ein bisschen Muskeln zu den Knochen würden dir sicher gut tun."

Er rempelt mich kurz mit der Schulter an, trifft aber nur meinen Arm.

„Lieber nicht."

Wir quetschen uns zum Gebäude durch und landen auf dem ersten Flur. In fünf Minuten fängt der Unterricht an, weshalb ich mich nun von Mops trennen muss und mich auf meinen einsamen Weg zum Literaturkurs zu machen.

„Du schaffst das schon.", ermuntert dieser mich, als er mein Gesicht sieht. „Ich glaube fest an dich. Und bald ist ja wieder Pause."

Mops hatte leicht reden. Er fand schnell Freunde, und doch war er der Einzige der mich je gemocht hat. Schon seit dem Kindergarten. Ich war wie ein riesiges Baby, wenn Mops mal wieder die bösen Kinder vertrieben hat, die mich geärgert haben.

Er hieß auch nicht immer Mops, der Name hatte sich in der Grundschule entwickelt, als Molle ihn darauf ansprach, warum seine Nase so komisch gequetscht aussah. Daraufhin lautete seine Antwort: „Ich stamme zu einem Viertel von Möpsen ab." Alle hatten gelacht und er war noch viel zu jung um zu verstehen, was er da gesagt hatte. Seitdem nannten ihn alle Mops und er fand sich damit ab.

In meinen Gedanken vertieft habe ich nicht bemerkt, dass ich schon alleine war und nachdem ich erschrocken zusammenzucke, weil irgendein Vollidiot mich angerempelt hat, mache ich mich auf den Weg in den vierten Stock.

Herr Wagner ist nicht gerade der angenehmste Zeitgenosse. Er ist alt und grimmig und von Grund auf Böse.

"So, was habt ihr in den Ferien gemacht?"

Ich will die Hand heben, entscheide mich aber im letzten Moment dagegen.

„Wisst ihr was? Es interessiert mich sowieso nicht." Keiner sagt etwas. Ich sitze nur still auf meinem Stuhl in der hintersten Reihe und hoffe darauf, heute nicht sein Opfer zu sein.

„Und ich sage euch gleich, wenn ihr euch nicht anstrengt kriegt ihr ne 6. Wenn ihr diesen Kurs nur genommen habt, um zu schlafen, dann könnt ihr direkt gehen." Vielsagen blickt er auf einen Kerl herunter, der an der Seite sitzt und beinahe weggenickt war, nun aber aufspringt und eilig den Raum verlässt.

„Ich will euch mal was sagen." Er läuft vor der Tafel auf und ab. „Ich will hier keine Loser. Solltet ihr mich enttäuschen fliegt ihr sofort raus, ohne Widerworte. Und jetzt holt jeder einen Zettel raus und schreibt auf was er für Dramen kennt."

Stöhnend holt jeder ein Blatt heraus oder holt sich eins vom Nachbarn und still fangen alle an zu schreiben. Mein Kopf allerdings, ist wie leergefegt. Mir fällt einfach nichts ein, obwohl ich schon viele Dramen gelesen habe. Und so sitze ich eine Viertelstunde nur so da und starre auf die gähnende Leere, begleitet von dem Kratzen der Stifte meiner Mitschüler.

„Okay, stopp, genug geschrieben.", erschrocken blicke ich auf, als der Lehrer das Wort ergreift. "Und jetzt sucht sich jeder eins aus von seinem Zettel und schreibt bis zur nächsten Stunde mindestens 3 Seiten als Zusammenfassung." Er klatscht in die Hände. „Und jetzt hop hop, verschwindet endlich." Herr Wagner ist ein komischer Zeitgenosse und ich mag ihn schon jetzt.

Es waren noch zwanzig Minuten bis zum Pausenbeginn und ich sitze ganz alleine auf einer Bank vor dem Schulgebäude und beiße in meinen Schokoriegel.

Und während ich da so sitze höre ich das Knallen einer Autotür und schrecke auf und sehe sie. Sie stürmt auf den Schulhof, ihre kurzen braunen Locken wippen bei jedem Schritt auf und ab, die Wangen sind gerötet und sie stapft wie ein Walross. Sie war so gar nicht schön. Also so wirklich. Ihr Gesicht schien in Sommersprossen zu ertrinken, ihre kleine Stupsnase ähnelt einer Steckdose und sie scheint ein paar Kilos zu viel auf den Rippen zu haben. Doch ihre braunen Knopfaugen leuchten schon von Weiten und als sie nur ein paar Meter von mir entfernt einem Bulldozer ähnlich her rauschte war ich vollkommen umgeworfen.

Kurz bevor sie durch die Tür hineinging bliebt sie stehen und drehte sich nach rechts, zu mir, wie ich nur starren konnte. Und sie starrte zurück, so intensiv und fest und über ihren Augen liegt ein Schimmer.

„Was glotzt du denn so?", zischt sie und die dunklen Augenbrauen ziehen sich zusammen, bilden eine Ärger-Falte auf ihrer Stirn.

„Äh...", ich bringe keinen Ton heraus, öffne den Mund und schließe ihn wieder, weil mir nichts einfällt.

Sie bleibt noch einen Moment stehen, schüttelt dann ihren Kopf was die Locken zum tanzen bringt und verschwindet ohne ein weiteres Wort in der Schule.

Hier sitze ich nun, perplex, den halben Schokoriegel noch in der Hand. Kann mich nicht bewegen.

So habe ich sie kennengelernt. Die Neue. Hedwig.

Tjorgen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt