Sie ist wundervoll. Wenn sie lacht geht die Sonne auf.
Ich bin gruselig, dass ist mir bewusst. Aber ich kann nicht anders. Wir sind auf dem Heimweg. Oder besser gesagt: sie geht nach Hause und ich versuche ihr so unauffällig wie möglich zu folgen.
Ich will alles über sie wissen. Wo sie wohnt, wie ihre Familie ist, was ihre Lieblingsfarbe ist und auf welcher Seite sie am liebsten schläft.
Sie trägt heute so einen blauen Pullover, auf dem ganz viele kleine Einhörner abgebildet sind. Das ist jetzt nicht so das was ich tragen würde, aber sie sieht absolut hinreißend darin aus.
Sie wohnt nicht weit von der Schule entfernt. Mit Schwung biegt sie durch das Gartentor zu ihrer linken und geht auf das kleine grüne Häuschen zu. Es wirkt so fehl am Platz wie ein Meerschweinchen in der Wüste.
Sie kramt einen Moment in ihrer Tasche und zieht dann einen Schlüssel hervor, den sie ins Schloss steckt. Kurz bevor sie die Tür öffnet dreht sie sich um und starrt mich an. Vor Schreck stolpere ich über die Bordsteinkante. Ich kann mich quasi in Zeitlupe fallen sehen. Plötzlich spüre ich den Boden und merke, wie meine Hände auf dem Asphalt aufschürfen.
Das ist auch das erste Mal, dass mir auffällt, dass ich quietsche wie ein Mädchen.
Ihr Lachen hallt zu mir herüber und ich hätte mich gerne vor Scham im Boden verkrochen
Ich bleibe einfach liegen. Vielleicht geht sie ja irgendwann, sodass ich nach Hause gehen kann und sie hoffentlich nie mehr wiedersehe.Dann höre ich ihre Schritte. Sie kommt zu mir. Scheiße. Ich versuche mich schnell hochzurappeln um wegzulaufen, doch als ich mich mit meinen geschundenen Händen am Boden abstütze muss ich mir auf die Lippe beißen um nicht laut zu schreien und falle zurück auf die Straße.
Ich kann spüren das sie neben mir steht und auf mich herunter blickt.
"Was machst du da?", ich kann das Schmunzeln in ihrer Stimme hören.
"Äh... ich nehme Kontakt zur Erde auf?" Dumm, dumm, dumm.
"Wonach siehts denn sonst aus?"
"Als hättest du dich unfreiwillig auf die Backe gelegt."
"Das war so geplant."
Sie lacht.
"Ja sicher. Na komm, ich helf dir hoch."
Unsicher schaue ich hoch und sehe die mir dargebotene Hand. Mühselig hiefe ich mich ein Stück hoch, dann nehme ich zögern ihre Hilfe an.
Ich stehe zwar mehr aus eigener Kraft auf, als dass sie mir hilft - denn ganz ehrlich bin ich viel zu groß für sie - aber ich lächele dankbar zu ihr herunter als ich wieder auf den Beinen bin.
"Das muss verarztet werden. Ich kann das eben machen... natürlich nur wenn du möchtest."
Jetzt lächelt sie.
Ich kann nur ein kurzes "Ja. Danke." hauchen, dann nimmt sie auch schon mein Handgelenk und zieht mich zu dem grünen Haus. Meine Haut prickelt angenehm, da, wo ihre mich berührt.
Als wir im Flur stehen deutet sie auf meine Schuhe. Ich tue es ihr nach und ziehe sie aus, stelle sie daraufhin an die Seite und folge ihr dann durch den kleinen Flur.
"Also, machst du das öfters?"
"Was?"
"Kontakt zu Erde aufnehmen.", sie grinst mir zu.
Sie hat zwei unterschiedlich farbene Socken an, der eine rot und der andere lila.
"Äh, ehrlich gesagt nicht... das war das erste Mal."
"Dacht ich mir."
Neugierig blicke ich um mich und versuche, soviel wie möglich in mich aufzunehmen. Alles scheint in bunte Farben getaucht zu sein. Im gesamten erinnert mich das Haus sehr stark an die Villa Kunterbunt. Vorsichtig steige ich über einen kleinen Spielzeugbagger hinweg und weiche herumliegenden Anziehsachen aus.
"Die Unordnung tut mir leid, wir haben erst morgen Putztag."
"Kein Problem.", ich versuche ein vorsichtiges Lächeln.
Sie führt mich in eine kleine, gemütlich eingerichtete Küche, deren Wände leuchtend orange gestrichen sind. Dann bedeutet sie mir, mich auf einen Stuhl zu setzen und kommt nach kurzem Kramen mit Desinfektionsspray und einem Wattepatt zu mir.
"Ich bin übrigens Hedwig."
"Ich weiß." Ich höre mich an wie der Stalker der ich bin. "Äh, also, ich bin auch in der Theater-AG.", füge ich hinzu.
"Achso, na dann." Vorsichtig tupft sie mit dem in Desinfektionsmittelgetränktem Wattepatt über meine Handflächen. Ich unterdrücke ein schmerzvolles Zischen und tue so, als würde es gar nicht wehtun.
"Willst du mir nicht deinen Namen sagen?"
Verdattert starre ich sie an.
"Ups, haha, ja, ich bin Tjorgen."
"Torben?"
"Nein Tjorgen.", wiederhole ich.
"Tjorgen.",murmerlt sie leise. "Das ist ein schöner Name. Ich mag den."
Pause. Ich habe das ungute Gefühl, dass ich rot werde.
"Weißt du, normalerweise lasse ich keine Fremden ins Haus."
"Das ist sehr vernünftig."
"Ja."
Es folgt eine kurze Stille und ich habe Zeit mich genauer umzusehen. Der Tisch ist umringt von bunt zusammengewürfelten Stühlen und aus dem Fenster konnte man in einen kleinen Garten schauen, in dem lauter Spielsachen herumliegen.
"Hast du Geschwister?" Ich will alles über dich wissen. Jede Kleinigkeit.
"Ja, Drillinge."
Sie geht wieder an eine Schublade und kommt kurz darauf mit zwei großflächigen Pflastern zurück.
"Sie sind erst 6."
"Oh." Ist alles, was ich antworten kann. Hätte ich gerne Geschwister? Ich weiß nicht.
"Was ist mit dir?"
"Einzelkind. Danke fürs verarzten."
Ich halte umständlich meine Hände hoch.
"Kein Problem. Aber wenn du das nächste mal Kontakt zu Erde aufnimmst versuch es ein bisschen langsamer."
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Tjorgen.
Teen FictionIch bin nicht cool. Ich bin nicht angesagt. Ich bin nicht abenteuerlustig. Ich bin nicht interessant. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht lustig. Ich bin nicht wichtig. Ich bin ein Niemand. Doch sie hat mir gezeigt, was Leben heißt.