Gurke, Banane und Newton

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Drei Tage später, in denen ich das Mädchen vom Montag nicht wieder gesehen habe, sitze ich ein weiteres Mal im Literaturkurs. Herr Wagner schaute sich unsere Hausaufgaben an. Ich habe mich schließlich für Woyzeck entschieden.

„Gut. Tauscht das bitte mit einem Partner der Korrektur ließt."

Ich tausche mit Marie, lese mir ihres durch und mache hier und da Verbesserungen.

In der Pause erzähle ich Mops von unserer Aufgabe und er spricht mir sein Beileid aus. Wir essen ruhig unser Mittagessen. Beobachten die anderen. Reden nicht viel.

Da ist sie wieder. Sitzt alleine unter einem Baum auf der Wiese. Ihre Augen sind geschlossen und sie lehnt sich gegen die Rinde. Heute trägt sie ein knallgelbes T-Shirt, mit einem großen Mittelfinger drauf. Es wundert mich, dass ich sie die letzten Tage nicht gesehen habe. Und obwohl sie immer noch nicht schön aussieht, kann ich sie nur anstarren. Ihre Locken scheinen voller zu sein als das letzte Mal, ihre Lippen rosiger. Wie gerne würde ich in ihre braunen Knopfaugen schauen, den festen Blick noch einmal auf mir spüren.

„Auffälliger geht's ja nicht.", ich schrecke auf bei Mops Worten, werde rot, fühle mich ertappt.

„Junge, Junge. Mit dir ist echt nichts anzufangen."

„Wie meinst du das denn?", frage ich, leichte Empörung in meiner Stimme.

Er fährt sich durch die schwarzen Haare, dreht sich auf der Bank und stützt ein Bein zwischen uns darauf ab, um mich besser ansehen zu können.

„Sprich sie endlich an."

Ich hätte ihm nie von ihr erzählen sollen. Aber ich wurde gewissermaßen gezwungen. Meine Mütter hatten sich mit ihm zusammengeschlossen, als er am Montagnachmittag zu Besuch war und wir am Tisch saßen und Paninis gegessen haben. Sie haben mich gelöchert. Mich gefoltert, weil ich nichts zu meinem merkwürdigen Verhalten sagen wollte. Da ist es mir einfach so rausgerutscht. Die Neue. Sofort wurde analysiert, dass mag ich nicht an ihnen. Lis und Eli machen überall sofort ein Drama raus.

„Ich traue mich nicht.", antworte ich ehrlich. Ich traue mich wirklich nicht. Mops schnauft.

„Okay, T, aber irgendwann musst du schon. Ich schaue dir nicht das ganze Jahr dabei zu wie du sie anschmachtest."

„Ich schmachte sie nicht an!", entgegne ich. Es ist ja nicht so, dass sie wunderschön ist, oder irgendetwas an ihr wäre, dass es würdig wäre angeschmachtet zu werden.


„Hey Kleiner!", Eli lugt aus der Küchentür heraus und lächelt mich an. Ihre Haare sind zu einem wilden Knäuel blondbrauner Locken gedreht. „Hunger?"

Sie hält eine Kartoffel hoch und ich nicke lächelnd. Nachdem ich meine Schuhe und die Jacke zur Seite getan habe folge ich ihr an den Tisch und schaufele mir Heringsdip und Kartoffeln auf den Teller. Lis scheint noch bei der Arbeit zu sein und so esse ich mit Eli alleine.

Am Nachmittag kommt Mops vorbei, sichtlich aufgelöst. Nachdem er Eli gestanden hat, dass sie toll aussieht, gehen wir in mein Zimmer. Es ist, im Gegensatz zu dem Rest der Wohnung, ziemlich karg eingerichtet, weiße Wände, ein langes Bett, ein Schreibtisch und ein Bücherregal aus dunklem Holz. Doch das Herzstück meines Zimmer ist ziemlich offensichtlich der zweistöckige, dreieckige Meerschweinchenstall, aus dem uns schon ein fröhliches lautes Quietschen begrüßt.

Mops lässt sich davor nieder und streicht Gurke über die Nase, welche die Augen schließt und es genießt.
"Also? Was ist los?"
Nachdem ich die Tür geschlossen habe setze ich mich zu ihm und füttere die beiden anderen Meerschweinchen mit Paprikastücken. Banane geht auf meine Anweisung hin auf die Hinterbeine und holt sich ihre Belohnung. Ja. Ich gebe es zu. Ich trainiere meine Meerschweinchen. Und nein, ich bin nicht verrückt.
Gurke hat genug gekuschelt und stürtzt sich auf die Paprika. Dafür ist Newton jetzt dran.
"Ich brauche eine neue Taktik um Daisy dazu zu bringen, meine Freundin zu sein. Sie steht eindeutig nicht auf Rosen. Oder auf das Schild dabei. Sie fand ' ich beobachte dich' definitiv nicht lustig."
Ich muss grinsen. So etwas würde auch nur Mops machen.
"Und was hast du jetzt vor?", versuche ich ernst zu bleiben doch es gelingt mir nur schwer.
"Ich dachte an ein Gedicht. Oder ein Lied."
"Wie wärs erstmal damit, ihr deinen Namen zu sagen? Sie denkt du wärst ein Stalker."
"Meinen Namen?" Er überlegt kurz, krault Newtons Ohren und schüttelt dann den Kopf.
"Wenn sie weiß wer ich bin wird sie sich nie in mich verlieben."

Er seufzt theatralisch.

Am Abend, nachdem Mops gegangen war, setze ich mich an den Computer. Ich habe eine neue Freundschaftsanfrage auf Facebook. Es ist ein Junge, von dem ich meine ihn schon einmal in meinem Englischkurs gesehen zu haben und so nehme ich sie an. Danach scrolle ich gelangweilt durch meinen Newsfeed. Simon war im Freizeitpark. Emily und Laura haben am Wochenende eine Party gefeiert. Zoe und Robin sind jetzt ein Paar. Bei Josie ist es kompliziert.

Irgendwann liege ich doch im Bett und ich kann nicht anders, als an sie zu denken. Was hat sie nur an sich? Sie hat diese Art Ausstrahlung, die nur ganz besondere Menschen haben. Diese starke, und doch weiche Aura um sie herum. Ich male mir aus, wie ich morgen zu hier hingehen würde und wir Freunde werden würden und sie über meine Witze lachen würde. Und wie wir Arm in Arm über den Schulhof laufen und die anderen uns neidisch hinterherstarren. Wie sie in Zeitlupe lachen, und dabei den Kopf zurück werfen würde, weswegen ihre Locken auf und ab wippen. Ich stelle mir vor wie sich ihre Haut anfühlt. Sie sieht babyweich aus, sie fühlt sich mit Sicherheit schön an. Ich stelle mir vor, wie ich eine ihrer Locken um meinen Finger wickel, vorsichtig dran ziehe und sie zurück hüpfen lasse. Und ich stelle mir vor, wie sich ihre Lippen anfühlen würden.

Natürlich weiß ich, dass diese Dinge niemals passieren werden. Ich bin mir dessen sicher. Und doch fühlt es sich in meinem Kopf so gut an und ich will sie wirklich kennenlernen.

Tjorgen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt