Ich habe einen Plan. Es ist ein schlechter Plan, aber es ist der einzige den ich habe. Es gibt kein Plan B. Wenn ich das jetzt versaue dann wandere ich mit neuer Identität aus. Dann ist mein Leben vorbei.
Ein wenig theatralisch und mit einem klitzekleinen Fünkchen Selbstbewusstsein stehe ich vor ihrem Spind. Nummer 376.
Okay, ich bin stark. Ich bin selbstbewusst.
Mit zitternden Fingern greife ich in meine Hosentasche und ziehe den kleinen gefaltenen Zettel heraus.
Atmen.
Ich schaffe das. Wenn ich das jetzt nicht tue muss ich auswandern und eigentlich will ich gar nicht auswandern. Ich mag meine Heimatstadt.
Jetzt.
Oder auch nicht. Verdammter Mist, ich bin doch kein Weichei.
Ich könnte nach Norwegen ziehen. Norwegen hört sich schön an. Oder Island. Oder Schottland. Hauptsache nichts warmes. Und was mit Meer. Ich mag das Meer.
Ich schaff das. Ich bin Tjorgen. Ich bin coll. Ich schaff das.
Die Selbstmotivation wirkt irgendwie nicht so, wie sie eigentlich sollte.
Komm schon.
Du musst nur die Hand ein wenig heben und den Zettel einwerfen. Mehr als nein sagen kann sie ja nicht.
Sie kann dich auslachen, mit dem Finger auf dich zeigen und dich auslachen. Für deine Dummheit.
Sie könnte sich aber auch freuen.
Unwahrscheinlich.
Betrübt stecke ich den Zettel in die Tasche meines Sweatshirts.
Ihr Spind wird hinter mir immer kleiner, bis er hinter der Ecke verschwindet.Ich bin ein Weichei.
Ich hab Angst, ihr meine Gefühle zu zeigen.
Wütend krampfe ich meine Hände zu Fäusten.
Ich will das nicht. Angst haben.
Pff.
Ich bin schon siebzehn. Ich bin groß und stark. Okey, weniger stark, eher nur groß, aber das ist egal. Ich bin schlau. Ja! Ich könnte sie mit Intelligenz davon überzeugen, das ich perfekt für sie bin. Oh, und Eli und Lis sagen immer das ich toll bin. Und super. Und der beste Tjorgen den sie haben.
Ich kann das.
Ich kann das.
Ich kann das.
Wie ein Boxer rolle ich meine Schultern hin und her, hüpfe ein wenig von einem Fuß auf den anderen. Es sieht lächerlich aus, also lasse ich es sein.
Okey, jetzt werf ich den Zettel doch ein.
Ich gehe schnellen Schrittes zurück in den Flur aus dem ich gekommen bin. Erreiche ihren Spind. Ziehe das kleingefaltete Papier aus meiner Tasche.
Und dann, dann quetsche ich ihn durch die Luftschlitze hinein.
Ich habs getan.
Wie wild geworden hüpfe ich im Kreis herum und freue mich. Ich quietsche sogar ein wenig.
Und dann realisiere ich, was ich getan habe. Ich bleibe stehen und schaue mit schiefgelegtem Kopf auf die Nummer. 376.
Was hab ich getan?
Sie würde nie im Leben ja sagen.
Sie wird mich auslachen.
Mein Gesicht wird rot und ich schlage meine Hände vor die Augen. Jetzt bin ich kein Weichei mehr, jetzt bin ich ein Dummkopf. Händeringend laufe ich hin und her. Einerseits hoffe ich, dass sie den Zettel findet und sich freut, andererseits will ich auch nicht, dass sie ihn findet.
Als es zur Pause klingelt, hatte ich mich schon hinter einer Ecke versteckt, von der aus ich ihren Spind genau beobachten konnte.
Schüler strömen auf die Flure und machen es mir schwer, sie in der Masse zu finden. Nachdem sie nach mehreren Minuten nicht gekommen ist wollte ich schon kopfschüttelnd gehen, als ich endlich ihre Locken ausmachen kann, die direkt auf ihren Spind zusteuern. Wie ein verängstigter Hase ducke ich mich ein wenig mehr in den Schutz der Ecke und beobachte, wie sie ihr Kombination eingibt.Atmen.
Sie öffnet die Tür und ich drücke meine Fingernägel tief in meine Hand um nicht laut zu rufen sie solle verschwinden.
Ich weiß doch auch nicht was ich will...
Sie wird von einem Mädchen aus der Theater-AG angesprochen und dreht sich um. Langsam gleitet der kleine weiße Zettel an ihren schief liegenden Büchern herunter und fällt hinter ihr zu Boden.
Ich habe mich noch nie im gleichen Moment glücklich und enttäuscht gefühlt, bis zu den Zeitpunkt als sie auf die liebevoll geschriebene Frage drauf tritt, ihr Sachen verstaut, abschließt und mich mit meinen verzweifelten Gedanken zurücklässt.
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Tjorgen.
Novela JuvenilIch bin nicht cool. Ich bin nicht angesagt. Ich bin nicht abenteuerlustig. Ich bin nicht interessant. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht lustig. Ich bin nicht wichtig. Ich bin ein Niemand. Doch sie hat mir gezeigt, was Leben heißt.