Kapitel 01

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Dein Vater ist kein schlechter Kerl.

Du weißt, dass er es nur gut gemeint hat und trotzdem kannst du nicht anders, als ihm zumindest ein kleines bisschen böse zu sein. Du strafst ihn mit Ignoranz.

Verstimmt siehst du aus dem Fenster und fragst dich, wieso er meinte, dir bei der Suche nach einem Praktikumsplatz helfen zu müssen und wie er auf die glorreiche Idee kam, ausgerechnet das CCG auszuwählen.

Immer wenn die Nachrichten laufen und der Moderator von einem Mord berichtet, wirst du hellhörig. Es ist dir ein Rätsel, weshalb ein Mordfall in dem ein Ghoul der Täter ist, von der Gesellschaft mehr Beachtung findet, als wenn ein Mensch seinesgleichen tötet.

Deiner Meinung nach ist dies falsch und das weiß deine Familie. Es ist dir wichtig, dass die Menschen, die dir nahe stehen wissen, wie du darüber denkst.

Anderes herum scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein.
„Es ist doch nur für vier Wochen", versucht dein Vater dich zu besänftigen. Du wirfst ihm als Antwort einen vernichtenden Blick zu.

Es geht dir nicht um das Praktikum an sich. Du nimmst ihm lediglich die Tatsache übel, dass er dir offensichtlich nie richtig zugehört hat.

Die CCG stimmt nicht mit deiner Sicht auf die Dinge überein. Sie sehen alle Ghoule als bösartig an, dabei bist du dir sicher, dass sie nicht nur mordlustige Monster sind. Du kannst dir nicht vorstellen, dass alle Ghoule auf Krieg mit den Menschen aus sind.

Möglicherweise leiden viele unter der Tatsache, dass sie sich von nichts anderem ernähren können, als von den Wesen, denen sie so ähnlich sind.

„Wer weiß? Vielleicht ist es überhaupt nicht so schlimm, wie du es dir vorstellst", startet dein Vater einen weiteren Versuch. Du seufzt leise. Langsam bekommst du ein schlechtes Gewissen.

„Lass gut sein", sagst du abwehrend und klingst dabei schärfer, als du gewollt hast. Eine unangenehme Stille macht sich daraufhin breit.

Du siehst wieder aus dem Fenster. Wenig später ertönt leise Musik aus dem Radio. Dir ist klar, dass dein Vater gekränkt ist. Normalerweise schaltet er während der Autofahrt nie das Radio an. Er unterhält sich lieber, pflegt mit seinen Beifahrern immerzu im Gespräch zu bleiben. Kommt es zum Erliegen beginnt er bekannte Ratespiele im Auto zu spielen. Damals hattet ihr häufig „Ich sehe was, was du nicht siehst" oder „Kennzeichenraten" gespielt.

Obwohl du mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen bist, macht ihr es noch immer. Es ist lustig, dein Vater ist eine warmherzige und lebensfrohe Person. Doch heute spielt ihr nicht.

Als ihr an einer roten Ampel halten müsst, suchst du das Gespräch. „Tut mir leid", sagst du ehrlich und schlägst beschämt die Augen nieder. Du wartest kurz auf eine Antwort, doch sie bleibt aus.

„Mir ist klar, dass du es nur gut gemeint hast." Du zögerst kurz, beschließt dann jedoch davon zu erzählen. „Du glaubst gar nicht, wie interessant ich plötzlich für meine Freundinnen war, als ich ihnen von dem Praktikum berichtet habe." Kurz lachst du trocken auf.

Tatsächlich hatten sie dich beneidet. „Ich werde einfach das beste daraus machen", versicherst du ihm abschließend. Dein Vater sieht dich ernst durch den Rückspiegel an.

„Dir bleibt auch nichts anderes mehr übrig", antwortet er mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme. Dein schlechtes Gewissen meldet sich zurück. Dieses Mal stärker.

Es war sicherlich nicht einfach für ihn, den Praktiumsplatz für dich zu bekommen. Du lächelst vorsichtig. „Vielleicht hast du recht und es ist gar nicht so übel." Dein Vater schweigt daraufhin.

Stigma [Tokyo Ghoul-FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt