1. Kapitel

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POV Leyla

Es war ein recht warmer Septembertag. Die Sonne schien, die Schulklingel hatte vor kurzem die Schüler entlassen und alles schien friedlich ...

Doch kaum war ich zu Hause angekommen, wurde ich auch schon von meinem Vater erwartet. Ich warf die dunkelgraue Schultasche in eine Ecke des Flures und verkündete fröhlich, dass ich wieder da war. Der ernste Gesichtsausdruck meines Vaters ließ mich innehalten. Er saß an dem großen, hölzernen Esstisch, vor sich einige Blätter liegend. Recht schnell erkannte ich, dass es sich hierbei um meine letzte Mathe-Klausur handelte, welche ich – genauso wie die zuvor auch - ordentlich vermasselt hatte.

Ich zeigte auf die Blätter. „Woher hast du die?"

Michi sah mich ernst an, nichts von der üblichen Fröhlichkeit war zu erkennen. „Dein Lehrer hat mich um ein Gespräch gebeten", erwiderte er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Er hatte die Hoffnung, ich könnte ihm sagen warum deine Noten in letzter Zeit doch sehr zu wünschen übrig lassen." Er sah kurz auf die Blätter vor sich. Auf einem davon stand in roter Schrift neben 'Note' eine eingekreiste 5.

„Leyla, das ist schon die dritte fünf in Folge!" Er wendete seinen Blick nicht von dem Blatt, während er sprach, so als wäre sie in diesem Moment das einzig wichtige.

„Was kann ich dafür, wenn ich das nicht verstehe?! Ich brauche eh kein Mathe, Mathe ist scheiße! Den Mist braucht man niemals im Leben." versuchte ich mich zu verteidigen.

„Mathe ist genauso wichtig wie Englisch oder Deutsch oder auch alles andere, was ihr in der Schule lernt. Und deshalb möchte ich, dass du dich verbesserst." Nun sah er mich doch an. Der Blick seiner braunen Augen war kalt und hatte jegliche Wärme verloren, mit denen alle Väter ihre Kinder ansahen, und sich freuten sie zu haben. Obwohl seine Stimme ruhig war, merkte ich doch, wie viel Kraft es ihn kostete nicht laut zu werden.

„Wenn es dir hilft, besorge ich dir auch eine Nachhilfe"

„Nachhilfe?! Sag mal spinnst du jetzt völlig? Ich brauche keine Hilfe von einem wildfremden Menschen!"

Ohne ein weiteres Wort verließ ich das Zimmer, schnappte mir im Flur eine schwarze Jacke und verließ das Haus. Kurz bevor die Tür hinter mir mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel, hörte ich meinen Vater noch meinen Namen rufen.

„Nachhilfe! Pah! Ich brauche keine Nachhilfe!", schnaubte ich. Schnellen Schrittes ging ich den Kiesweg entlang, der zu einem großen Tor führte, welches unser Grundstück abgrenzte. Wütend kickte ich einen Kieselstein einige Meter in das kurz geschnittene Gras.

Ich stieß das große, goldene Tor auf und marschierte die Allee entlang. Der eisige Wind wehte durch meine braunen, leicht gelockten Haare. Ich atmete tief durch und versuchte mich langsam wieder zu beruhigen. Das war kein guter Start ins Wochenende.

Ohne ein wirkliches Ziel zu haben lief ich weiter. Bäume säumten den Wegesrand, ihre Blätter hatten mittlerweile alle Farbtöne zwischen gelb und braun angenommen.

Aus dem Augenwinkel konnte ich einen großen, dünnen, dunkelblonden Mann erkennen, der parallel zu mir lief. Um seinen Hals hing eine professionell aussehende Kamera. Es sah so aus als würde er mich fotografieren. Genervt stöhnte ich auf, blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn an. „Was machen Sie da?", verlangte ich zu wissen. Der Mann ließ langsam seine Kamera sinken und wechselte lächelnd die Straßenseite.

„Leyla Beck", er lachte, „warum denn so zickig?"

Sag nicht, das ist einer dieser nervigen Fotografen.

„Sie haben mich fotografiert", stellte ich grimmig fest. Obwohl ich den Trubel und die Fotografen um mich herum von klein auf gewöhnt war, hasste ich sie doch abgrundtief. Sie mussten doch verstehen, dass wir auch ein Leben außerhalb der Öffentlichkeit hatten. Ein Recht auf ein ganz normales und  vor allem ruhiges Leben.

„Gut beobachtet. Aber jetzt mach doch nicht so ein grimmiges Gesicht. Das kommt bei den Fans nicht gut an."

„Mir ist scheißegal, wie es bei den Fans ankommt", sagte ich genervt und führte meinen Weg fort.

„Soso, Leyla Beck sind ihre Fans also egal. Na die werden sich freuen, das zu lesen."

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie er etwas aufschrieb. Vorsichtshalber beschleunigte ich mein Tempo, aber er folge mir nicht. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass er in eine andere Richtung gegangen war und gerade in eine Seitenstraße abbog. Idiot.

Mittlerweile war ich schon fast im Park angekommen. Er war am Rande der Stadt und ich mochte ihn. Es gab dort alle möglichen Blumen, vereinzelt konnte man auch mal ein Eichhörnchen vorbeihuschen sehen und – und das war am wichtigsten – es war kaum etwas los.

Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte ich durch den Park. Nach einer Weile ließ ich mich auf einer Bank nieder. Es war kaum etwas los, also war die Chance erkannt zu werden, relativ gering.

Die Bank war fast komplett angemalt worden. In den verschiedensten Farben waren Beleidigungen, aber auch Liebeserklärungen und Herzen aufgemalt worden.

Wolken verdeckten die Sonne und es ging ein kalter Wind, doch ich fror nicht. Ich schloss die Augen, genoss die verschiedenen Geräusche; das Plätschern des anliegenden Flusses, das Rascheln der Bäume, das leise Gezwitscher der Vögel und das vereinzelte Bellen eines Hundes.

Irgendwann, ich wusste nicht wie spät es war und wie lange ich schon auf dieser Bank gesessen hatte, hörte ich Schritte, die ganz in meiner Nähe stehen blieben. Langsam öffnete ich ein Auge, als ich merkte, dass sich die Person nicht wieder entfernte. Vor mir stand ein recht junges Mädchen, ich schätzte sie auf 15-16.

„H-Hallo, darf ich mich n-neben dich setzen?2, fragte sie schüchtern und wurde leicht rot im Gesicht.

„Klar", ich rückte ein wenig zur Seite, damit das Mädchen Platz hatte und sah mich auf der weitläufigen Wiese um. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass es irgendein Fan war, der was von mir wollte, doch bis jetzt saß das fremde Mädchen ruhig neben mir und machte nicht en Anschein ein Foto oder Autogramm zu wollen. Soll mir mehr als recht sein.

Nach einer Weile des Schweigens sah ich mir das Mädchen genauer an. Sie hatte rotes, etwa brustlanges Haar und grau-blaue Augen. Ihr Blick war nach unten gerichtet und sie knetete unruhig ihre Hände.

„Alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtshalber nach. Das Mädchen schreckte hoch und sah mich verlegen an.

„Ä-Ähm ... ja ...", sie lächelte unsicher und ich nickte nur.

Eine Weile saßen wir einfach nur da und wechselten kein Wort miteinander. Ich wusste immer noch nicht ob sie nun ein Fan war, der sich nicht traute mich anzusprechen, oder ob sie ganz einfach nicht reden wollte.

„schön hier nicht", fing da das rothaarige Mädchen an. „Ja, ich bin gerne hier. Vor allem wenn ich mal wieder Stress mit meinem Vater habe.", antwortete ich nickend.

Ich merkte, wie das Mädchen neben mir etwas zusammenzuckte, sagte aber nichts.

Kurz darauf spürte ich mein Handy in meiner Hosentasche vibrieren und nahm es heraus. Es war eine Nachricht von Michi.

Hey Leyla

Wo bleibst du? Du weißt doch, dass wir heute wieder zu 'The Voice' müssen ?

Beeil dich,

Papa

Shit! In all dem Streit hatte ich total vergessen, dass es Freitag war und wir zu den Blind Auditions von „The Voice" mussten. Ich verstaute das Handy wieder in meiner Tasche und sprang auf.

Das fremde Mädchen hatte erschrocken aufgeschaut und sah mich nun verwirrt an. „ich muss los, ich habe noch einen wichtigen Termin", erklärte ich ihr hastig und rannte durch den Park zurück nach Hause.


The Voice, Fanta und andere Kleinigkeiten meines LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt