Sie dachte daran, wie sich die beiden das erste Mal begegnet waren. Es wunderte sie immer noch, wieso Malik damals sie gewählt hatte und nicht eine der anderen. Er war sehr begehrt und als er damals den Raum betrat, drängten sich alle anderen an ihn. Nur Lia blieb ruhig sitzen. Sie war schon immer so gewesen. Zurückhaltend, ruhig, manche meinten sogar, sie wäre ängstlich. Doch Malik schien das egal zu sein. Er war sogar von ihrer Gelassenheit fasziniert gewesen und hatte sich gerade deshalb zu ihr hingezogen gefühlt. Lia hatte nicht damit gerechnet, dass irgendjemand Gefallen an ihr finden würde und reagierte deshalb nicht sonderlich auf Malik oder andere Menschen. Doch dann setzte er sich zu ihr, schaute sie an und lächelte. Erst dann bemerkte Lia, was für ein besonderer Mensch Malik sein musste. Sein strahlendes Lächeln, seine sanften Augen und seine positive Ausstrahlung, all das bemerkte Lia, als sie ihn angesehen hatte. Sein Lächeln hatte echt gewirkt und sein erster Eindruck war durchaus sympathisch gewesen. Sie ließ sich auf ihn ein, auch wenn sie nur wenig Hoffnung gehabt hatte, dass sie viel Zeit miteinander verbringen würden. Sie war der Meinung gewesen, dass man mit ihr nicht wirklich lange zu tun haben wollte. Doch sie hatte sich geirrt. Malik hatte damals den gesamten restlichen Tag mit ihr verbracht und sie hatten gemerkt, dass sie wie für einander geschaffen gewesen waren. Sie sahen sich noch öfter, bis Malik eines Tages den Entschluss gefasst hatte, dass Lia bei ihm bleiben sollte und sie zu sich nach Hause mitgenommen hatte. Lia hatte sich bei ihm wohl gefühlt und war durchaus gewillt gewesen, bei ihm zu bleiben.
Es war für sie sehr ungewöhnlich gewesen in einer großen Wohnung zu leben, denn sie musste als Kind für lange Zeit auf der Straße leben. Sie wurde, als sie noch jung gewesen war, von ihren Eltern getrennt. Sie konnte sich kaum noch erinnern, was genau passiert gewesen war. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass ihre Eltern von fremden Menschen gepackt und weg geschleppt worden waren. Dadurch war sie in Panik geraten und war aus dem Haus gerannt, in dem sie damals gelebt hatte. Sie war zum Garten hinaus gestürmt, hatte sich durch ein Loch im Gartenzaun gezwängt, rannte, ohne auf den Verkehr zu achten, über die Straße und verschwand in einer Seitengasse. Danach rannte sie so lange weiter, bis sie in einer abgelegenen engen Gasse vor Erschöpfung zusammenbrach. Sie hatte kaum noch Erinnerungen daran, was sie die nächsten Tage gemacht hatte. Sie hatte es wohl irgendwie geschafft zu überleben. Mit der Zeit gewöhnte sie sich an das Leben auf der Straße. Es war kein leichtes Leben, denn sie musste sich oft verstecken, aus Angst dass ihr dasselbe widerfahren würde wie ihren Eltern, obwohl sie nicht genau wusste, was mit ihren Eltern passiert war. Sie dachte oft daran, wer diese Männer sein könnten, die ihre Eltern entführt hatten und was sie von ihnen gewollt haben konnten. Sie erinnerte sich nur daran, dass diese Männer weiße Kleidung trugen und in ihren Augen damals sehr groß gewesen waren. Sie war aber auch noch jung und klein gewesen, deshalb wusste sie nicht, ob die Männer nicht einfach nur auf sie so groß gewirkt hatten. Sie wusste aber, dass sie sich an diesen Männern rächen wollte, koste es, was es wolle. Doch vorerst musste sie eine Unterkunft finden. Dank ihrer geringen Größe war das für sie kein all zu großes Problem. Sie konnte mit Leichtigkeit durch viele kleine Öffnungen hindurch schlüpfen und fand so immer einen Unterschlupf. Ihre Größe nutzte sie auch, um unbemerkt in Innenhöfe von Supermärkten einzubrechen, um dort die weggeworfenen Lebensmittel des Tages zu plündern. Wie gesagt, war es kein leichtes Leben für Lia, aber dadurch hatte sie Bescheidenheit gelernt. Sie war aus ihrem luxuriösen Leben rausgeworfen worden und musste plötzlich mit dem zufrieden sein, was andere nicht mehr wollten. Sie hätte sich so ein Leben nie vorstellen können, aber als es dann so weit war, gewöhnte sie sich irgendwie doch daran. Doch wie es das Schicksal so wollte, musste sie nicht für immer so leben, denn eines Tages wurde sie tatsächlich bei einem nächtlichen Einbruch erwischt. Da niemand eine Vermisstmeldung für sie aufgegeben hatte, war sie namenlos. Der Mann, der sie bei ihrem Einbruch erwischt hatte, entschied sich dafür, sie Lia zu nennen, denn er hatte sie in dem Müll eines Lebensmittelgeschäftes namens "Amelia" gefunden und dachte sofort:"Das ist wirklich eine arme Lia." Da ihr echter Name nicht herauszufinden war, wurde sie einfach auch so genannt. Ihren früheren Namen hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen. Obwohl es für sie ungewöhnlich gewesen war, so genannt zu werden, mochte sie ihren neuen Namen. Ihr Finder hatte sich damals sogar als überaus freundlich erwiesen, denn er hatte Lia an diesem Abend zu sich nach Hause mitgenommen, gab ihr etwas vernünftiges zu essen und einen gemütlichen Schlafplatz. "Morgen werde ich dich wohin bringen, wo man sich um dich kümmert." hatte ihr der freundliche Gastgeber versichert. Am nächsten Tag hatte er bei der Polizei gemeldet, was passiert gewesen war und hatte angeboten, dass er Lia zur nächstgelegenen Polizeistation bringen könne. Von da an begann eine unangenehme Reise für Lia. Sie wurde von einer Auffangstation zur nächsten übergeben, doch sie fühlte sich nirgendwo wirklich wohl. Dadurch dass sie es gewohnt gewesen war, alleine zu sein, fand sie es immer schwierig, sich in einem Heim einzuleben. Sie war meistens fern von den anderen geblieben und war auch zufrieden damit gewesen. Doch sie hatte sich das Leben dadurch nicht einfach gemacht. Sie war oft links liegen gelassen worden, weil sie meist nur unauffällig außerhalb der großen Gruppen gesessen hatte und nur so vor nicht hingestarrt hatte. Doch all das sollte sich ändern, als sie Malik traf.