Es war kein gewöhnlicher Spaziergang. Malik wirkte in Gedanken vertieft und achtete nicht auf die Außenwelt. Ohne auf den Verkehr zu achten überquerten die beiden eine Straße. Zu ihrem Glück fuhr aber gerade kein Auto vorbei. Sie kamen an einen Feldweg und Malik machte die Leine ab, damit Lia frei herumlaufen konnte. Er deutete Lia die Richtung und forderte sie mit den Worten:"Tob dich aus, Kleine!" auf, sich nun nach eigenem ermessen frei zu bewegen. Doch Lia wollte nicht von seiner Seite weichen. Sie spürte, dass Malik Sorgen hatte und blieb deshalb an seiner Seite, als wäre sie immer noch angeleint. Malik bemerkte das und lächelte. "Was würde ich nur ohne dich machen?" fragte er. Lia bellte leise, als wollte sie ihm antworten. Doch das wäre gar nicht notwendig gewesen. Malik würde sie auch verstehen, wenn sie keinen Laut von sich geben würde. Nachdem sie einige Minuten neben dem Feld gegangen waren, erreichten sie eine Weggabelung an der eine Bank stand. Malik setzte sich hin und Lia legte sich neben seine Füße. Sie schloss ihre Augen, blickte jedoch wieder auf, als sie ein Rascheln gefolgt von einem Klicken hörte. Danach erfüllte ein unangenehmer Geruch die Luft. Lia schaute zu Malik hinauf und sah, dass er sich eine Zigarette angezündet hatte. Sie sank ihren Kopf wieder, um nicht zu viel von dem Rauch einatmen zu müssen. Malik rauchte nicht oft. Eigentlich rauchte er nur dann, wenn er Sorgen hatte und seinen Kopf frei bekommen wollte. Er machte lange Züge an seiner Zigarette und wenn er ausatmete, schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf ein Stück nach hinten, um nicht zu viel Rauch in Lias Richtung zu blasen. Er stand wortlos auf, schnalzte aber einmal mit der Zunge, um Lia zu signalisieren, dass er weiter gehen wollte. Sie stand auf während Malik den letzten Zug an seiner Zigarette machte. Er ließ sie ein kleines Stück vor laufen, bevor er den Zigarettenstummel am Boden mit seinem Fuß ausdrückte. Danach folgte er Lia, bis sie wieder auf gleicher Höhe waren. Als die beiden so vor sich hin spazierten, begann Malik plötzlich zu erzählen:"Heute war Annie besonders schlecht gelaunt. Sie hat gemeint, dass ich der faulste, unordentlichste Mensch bin, den sie kennt. Ich soll mal mein Leben auf die Reihe kriegen und nicht ständig nur fernsehen und mit dir draußen sein." Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, während er sprach. "Sie meint, dass du nicht gut für unsere Beziehung bist. Sie überlegt sogar, auszuziehen, so lange ich dich behalten will. Sie will eine Pause, hat sie gesagt. Sie braucht auch mal Zeit für sich selbst, hat sie gesagt. Bin ich denn wirklich so ein schlechter Freund für sie?" Er starrte auf den Boden, während er redete und sein Gesicht war ausdruckslos geworden. "Wie soll ich mich entscheiden, wenn es darum geht, ob du bei mir bleibst, oder ob sie bei mir bleibt? Ich kann es nicht. Ihr seid mir beide viel zu wichtig, als dass ich es ertragen könnte, auch nur eine von euch nicht mehr bei mir zu haben." er hörte auf zu reden, als er bemerkte, dass ihnen ein junges Paar entgegen kam. Sie lachten und hielten sich an den Händen. Lia merkte, dass Malik diesen Anblick nicht mochte. Sie konnte nicht genau erkennen, ob Malik eifersüchtig war, oder ob er sich doch nur nach diesen Zeiten sehnte. Sie reagierte, indem sie näher an Malik herantrat um ihn ihre Nähe spüren zu lassen. Sie wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte. Sie hätte ihm gerne aufmunternd zugesprochen, konnte es aber nicht. Das Pärchen ging an den beiden vorbei, aber Malik schweigte für eine Weile. Doch die Fragen, die gestellt hatte, hallten immer noch in Lias Kopf. War sie der Grund dafür, dass sich Annette und Malik so oft stritten, fragte sie sich. Diese Frage wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie fühlte sich schuldig. Dieses Gefühl machte sie fertig, denn je mehr sie darüber nachdachte, umso stärker wurde dieses Schuldgefühl. Sie ertrug es nicht länger und rannte los. Sie hatte kein Ziel. Sie wollte einfach nur weg. Malik war überrascht, als er bemerkte, dass Lia losgelaufen war. Doch er bemerkte schnell, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise würde Lia nicht so weit laufen. Sie würde sich umdrehen und auf ihn warten, doch diesmal rannte sie einfach weiter und weiter. Malik rief ihr hinterher, doch sie reagierte nicht darauf. Ihr Ziel war es so weit wie möglich weg zu kommen. Sie wollte Maliks Beziehung nicht im Weg stehen. Malik begann ebenfalls zu laufen, da er sich Sorgen machte, dass er sie aus den Augen verlieren könnte. Er konnte sie langsam aufholen und rief dabei ständig ihren Namen. Sie zeigte weiterhin keine Reaktion. Sie rannte weiter auf dem Weg. Sie rannte immer gerade aus. Der Weg wurde von einem zweiten etwas größeren Weg gekreuzt. Diese Kreuzung war von Bäumen und Sträuchern umgeben, aber Lia achtete nicht drauf, sie hatte nur noch Zeit dafür weiter zu rennen. Ihr Ziel war noch immer nicht klar. Aber sie wollte Malik die Entscheidung abnehmen und so überquerte sie rasend die Kreuzung. Malik erhöhte noch einmal sein Tempo, damit er Lia endlich aufholen würde. Er war kurz vor der Kreuzung des Weges und sah Lia nur noch wenige Meter vor sich herrennen. Er richtete seinen Blick nur auf sie. Doch plötzlich spürte er einen Schlag gegen die Hüfte. Er merkte, dass sein Kopf sich neigte und stieß einen Schrei aus. Dann schlug er auf dem Boden auf. Er hätte doch besser aufpassen sollen. Ein Fahrradfahrer hatte ihn nicht kommen sehen, da er plötzlich hinter einer Vielzahl von Sträuchern auftauchte. Er konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und rammte seine Lenkerstange genau in Maliks Hüfte, der durch den Stoß zu Boden fiehl. Der Fahrradfahrer selbst hatte Glück und hat keine Verletzungen von dem Aufprall davongetragen. Er war zwar ebenfalls auf den Boden gefallen, jedoch war seine Landung wesentlich sanfter als die von Malik. Er rappelte sich auf, wischte ein wenig Erde von seiner Hose, nahm sein Fahrrad und fuhr weg. Er drehte sich noch einmal kurz um. Nicht weil er sich Sorgen um Malik machte, sondern um ihn noch anzuschreihen:"Passen Sie besser auf, Sie Wahnsinniger!" Danach fuhr er weg. Lia hatte Maliks Aufschrei gehört und war stehen geblieben. Sie drehte sich zu ihm und sah, wie er vor Schmerz verkrampft am Boden lag. Sie rannte zu ihm. Sie hörte sein leises Stöhnen. Lia blickte auf ihn hinab und reagierte panisch, als sie sah, dass die linke Hälfte von Maliks Gesicht durch den Aufprall verletzt worden war. Viele kleine Schnitte aus denen jeweils eine kleine Menge Blut hervortrat, die sich auf der Wange zu einem großen Fleck sammelte, waren zu sehen. Diese Hälfte des Gesichts war zum Boden gerichtet, wodurch sich Erde an den Wunden festsetzte. Malik hielt sich die Hüfte an der Stelle, an der ihn die Lenkerstange des Fahrrades getroffen hatte. Lia winselte ihn an. Sie gab Malik mit ihrer Schnauze einen kleinen Stoß, damit er sich von der Seite auf den Rücken legte. Er stöhnte zwar kurz auf, aber er hatte noch genug Kraft, um sich mit Lias Hilfe auf den Rücken zu legen. Seine Wunden im Gesicht hatten somit keinen Kontakt mehr zum Boden und es konnte sich nicht noch mehr Erde daran ansammeln. Malik wollte sein Handy aus der Hosentasche nehmen, doch er hatte zu große Schmerzen, als dass er dazu in der Lage gewesen wäre. Lia begann laut zu heulen. Sie streckte den Kopf nach oben und stieß gleichmäßig lange Heuler aus. Sie wartete kurz ab, um zu hören, ob sie eine Antwort erhielt. Für eine Sekunde war alles Still. Selbst Malik hielt sein Stöhnen zurück, weil er so beeindruckt davon war, was Lia da gerade für ihn machte. Plötzlich ertönte ein lautes Bellen nur wenige hundert Meter entfernt. Lia bellte mit voller Lautstärke zurück und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Das Bellen des anderen Hundes kam immer näher. Bis plötzlich ein Hund in hundert Metern Entfernung zu sehen war. Ihm hinterher eine junge Dame, die erschrak, als sie sah, dass Malik so auf dem Boden lag. Sofort rannte sie zu ihm, ihr Hund rannte auch, dieser war aber mehr an Lia interessiert, als an Malik. "Oh Gott! Was ist denn hier passiert?" fragte sie panisch, als sie bei Malik angekommen war. Malik konnte nicht antworten, aber sein schmerzverzerrtes Gesicht reichte ihr erstmal als Antwort. Sie nahm ein kleines Fläschchen und ihr Handy aus ihrer Handtasche und hob Maliks Kopf vorsichtig darauf. Aus ihrer Jackentasche nahm sie eine Packung Taschentücher. "Das könnte jetzt weh tun." warnte sie Malik, während sie die Flüssigkeit aus ihrem Fläschchen auf ein Taschentuch träufelte. "Was?" konnte Malik noch fragen, bevor er einen brennenden Schmerz in seinem Gesicht spürte. Er schrie auf. "Ich muss deine Wunden reinigen. Nicht, dass du noch eine Blutvergiftung bekommst!" erklärte sie ihm. Sie war sehr sanft, doch das Desinfektionsmittel, welches sie auf das Taschentuch geträufelt hatte, brennte in den Wunden, so dass Malik einige Tränen nicht zurückhalten konnte. Nachdem die Helferin die Wunden gereinigt hatte, zögerte sie nicht und rief mit ihrem Handy sofort die Rettung. Währenddessen machte sich Lia mit dem fremden Hund vertraut. "Hast du sonst noch irgendwo Schmmerzen?" fragte die junge Dame. "Hüfte." brachte er als Antwort hervor. Diese Information leitete sie weiter und beschrieb noch den Weg zu der Kreuzung, an der sie sich befanden. Nachdem alles geklärt war, kniete sie sich zu Malik und erklärte ihm, dass in 10 Minuten die Rettung kommen würde. "Danke" er bemühte sich dieses Wort herauszubringen, ohne dass man ihm seine Schmerzen anhörte. Die fremde Helferin blieb bei ihm, bis die Rettung kam. Um Malik ein wenig von den Schmerzen abzulenken, wollte sie ein wenig von sich erzählen. Sie versuchte ein Gespräch aufzubauen, doch Malik war zu schwach, um lange Sätze zu sagen. Aber sie schafften es, sich einander vorzustellen. Ihr Name war Marie. Sie sah, dass sich Lia gut mit ihrem Hund verstand und stellte ihn als Murphy vor. "Ich habe ihn jetzt schon seit ich von meinen Eltern ausgezogen bin. Da war ich 17 Jahre alt." fing sie an zu erzählen. "Meine Eltern waren immer gegen ein Haustier. Das liegt vermutlich an dem Job von meinem Vater." fuhr sie fort. "Er ist Tierarzt und meint, dass so ein Haustier mehr Probleme macht, als sonst was. Er kennt eben nur kranke oder verletzte Tiere. Und für ihn war jedes Tier nur eine Patientennummer. Ich glaube, er wäre gar nicht dazu in der Lage, in einem Tier einen Begleiter oder sogar einen Freund zu sehen." erklärte sie weiter, während Malik immer versuchte zu nicken, um ihr zu zeigen, dass er ihr zuhörte. "Viele meinen ja auch, dass ich ihm ähnlich bin. Ich weiß nicht wieso die das behaupten. Höchstens ein paar Gesichtszüge habe ich von ihm übernommen." während sie das sagte, erstarrte Lia plötzlich. Sie sah sich ihr Gesicht genau an. Plötzlich tauchte eine Erinnerung in ihrem Kopf auf.