Chapter XIX

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P.o.v. Tony

Wie jeden Tag parke ich das Halten-verboten-Schild zu und betrete wie immer mäßig gelaunt den roten Altbau.
Niks Feier war wie zu erwarten ein echter Reinfall gewesen. Niemand, mit dem ich hätte reden können. Niemand, der mich hätte verstehen können. Da war nur dieses gewöhnungsbedürftige Mädchen, das ich, einem inneren Drang folgend, nach Hause begleitet habe.

Ich betrete meinen Hörsaal und lasse mich möglichst weit hinten auf einen Sitz fallen.
Ein Notitzheft und einen Stift, mehr habe ich fast nie dabei.
Ein paar Minuten später lässt Joel sich neben mich fallen.
Als die Vorlesung beginnt, beugt er sich zu mir hin.
"Hast du es schon gehört?"
"Was?", zischle ich zurück, dankbar für die Ablenkung.
"Du warst doch auf Niks Party, oder?"
Ich nicke.
"Der hat mir das nämlich erzählt."
Ich runzle ungeduldig die Stirn.
"Was denn?"
"Also... Einige haben anscheinend so viel gesoffen, dass später die Polizei kommen musste."
"Ja und? Das passiert doch auf jeder x-beliebigen Party, oder?"
"Naja..." Joel macht eine kurze Kunstpause. "Eine soll wohl ins Koma gefallen sein."
Der Schreck durchfährt mich.
"Kennen wir sie?", flüstere ich.
"Nee, glaube nicht. Irgendein ausländischer Name. Sie liegt aber hier im Norman-Sullivan-Hospital."
Er spricht leiser, als ein Zischen aus der Reihe hinter uns kommt.
"Natürlich kann niemand außer ihre engsten Verwandten zu ihr."
Ich nicke. "Natürlich."
Ein weiteres "Leise jetzt!" hinter uns lässt uns verstummen.

"Tony! Tony, jetzt warte mal!"
Ich drehe mich mit dem Autoschlüssel in der Hamd um.
Colin kommt auf mich zugelaufen, seine Rastalocken fliegen ihm um den Kopf.
"Hast du es gehört?", fragt er außer Atem und stützt sich an meinem Seitenspiegel ab.
"Dass Heisenberg schwanger ist? Und angeblich ich es war?" Ich lache. "Allerdings, das habe ich schon gehört."
Colin verzieht keine Miene.
"Nein, Schwachkopf. Die Geschichte mit Ia."
"Ia? Soll das ein Name sein?"
Mein Gegenüber nickt heftig. "Ja! Aber... Ich dachte, du kennst sie. Hast du nicht auf der Party letzte Woche mit ihr gesprochen?"
Doch nicht etwa...
"Groß, schlank? Blond, braune Augen?"
"Ja."
Es fühlt sich an, als würde mein Herz gefrieren. Ist das wahr?
"Und... Sie liegt im Koma?"
"Ja", seufzt Colin. "Schlimm, nicht?"
"Ist sie denn noch unmittelbar in Lebensgefahr?", stoße ich aus.
"Es ist sich niemand richtig sicher, weißt du? Aber den Gerüchten zufolge ist es ziemlich schlimm."
Mein Gesichtsausdruck muss schrecklich sein, denn als mein Freund ihn sieht, fügt er schnell hinzu: "Hey, Alter. Die meisten übertreiben doch eh immer..."
Ich hole tief Luft. Dann drehe ich mich abrupt um und steige im meinen Wagen. "Bis demnächst, Colin!"

Während der Fahrt lenke ich mit einer Hand und tippe mit der anderen Tanjas Nummer ein. Soweit ich weiß, ist sie gut mit Ia befreundet. Und seit unserer Beziehung habe ich auch ihre Nummer.
"Ja?", meldet sie sich am anderen Ende der Leitung.
Ihre Stimme klingt verschnupft. Scheiße.
"Tanja? Wo bist du?"
"Bist du es, Anton? Was willst du?"
Ich schließe kurz die Augen, hole tief Luft und muss dann am Lenkrad kurbeln, um die Kurve noch zu erwischen.
"Hör mal... Ich hab das mit Ia gehört."
Kurz ist es still. "Woher kennst du sie denn?"
"Ich... Ist doch jetzt unwichtig. Wie geht es ihr?"
Tanja zögert immer noch.
Ruhig bleiben.
"Bist du bei ihr?"
Sie seufzt. "Nein, natürlich nicht. Ich bin seit vier Stunden im Wartezimmer. Da habe ich es auch erst erfahren. Nur ihre Eltern dürfen in diesem Zustand zu ihr."
"Und hat sie sich wirklich ins Koma getrunken?"
Wieder Stille. Dann höre ich ein Piepen. Tanja hat aufgelegt.
Anscheinend hat das alles tatsächlich einen anderen Hintergrund als jugendliche Besäufnisse.
Ich verstaue das Handy wieer in meiner Tasche und drücke das Gaspedal durch.

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