Chapter XXVI

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Um Punkt sechs Uhr komme ich am Krankenhaus an. Früher, als ich noch mit meinem Vater zusammengelebt habe, hat er mich um sechs stets angerufen, um zu fragen, ob er mit dem Essen warten soll. Meistens habe ich abgelehnt. Jetzt würdevich gern so einen Anruf bekommen. Ich würde gerne mit jemand vertrautem reden und mir alles von den Schultern laden. Ich weiß nicht, warum ich hier bin. Wegen Ia, klar. Ich war immer ein besorgter Mensch. Aber irgendwann auf der Autofahrt  ist mir aufgefallen, dass ich auch Tanja jetzt nicht nochmal alleine lassen will. Wofür es eigentlich keinen Grund geben sollte. Sie hat damals Mut mir Schluss gemacht, nachdem irgendjemand das Gerücht verbreitet hat, ich sei fremdgegangen. Mich hat es zu dem Zeitpunkt am meisten ausgemacht, dass sie das geglaubt hat.
Aber ich bin hier. An ihrer Seite, in einer schweren Zeit.
Als ich das Wartezimmer betrete, finde ich es wider Erwarten leer vor. Wo ist sie? Ist etwa etwas passiert?
So schnell mich meine Beine tragen, laufe ich den Korridor entlang. Mein Ziel ist die Rezeption, doch so weit komme ich gar nicht. Auf halber Strecke begegne ich dem Theorien-Doktor, dem mit den schütteren Haaren, wieder.
Er fängt mich gewissermaßen ab. Atemlos frage ich: "Wo ist... Haben Sie das Mädchen gesehen, das mit mir gewartet hat?"
Etwas an seinem Blick lässt mein Inneres eiskalt werden.
"Sie ist... Bei ihr. Oder zumindest bei ihrem Zimmer."
"Ist etwas passiert?", hake ich nach.
"Nunja..."
Ich hänge an seinen Lippen.
"Ihre Kanülen und Versorgungsschläuche wurden entfernt."
"Was?"
"Wir glauben nicht, dass das einer unserer Mitarbeiter angerichtet hat. Entweder hat sie sich losgerissen, was einigermaßen unwahrscheinlich ist, oder... Es war jemand Außenstehendes."
Es interessiert mich nicht.
"Sagen Sie mir, wie es um sie steht", presse ich heraus.
"Wir tun alles, was wir können." Und damit lässt mich der Arzt stehen und verschwindet.
Ich fluche.

p.o.v. Ia

Ein Ruck geht durch die Mauer. Ich schrecke aus meinen Tagträumen auf.
Habe ich mir das eingebildet? Aber ich habe es so deutlich gespürt...
Ich sacke wieder an die Mauer, schließe die Augen und lasse meine Gedanken abschweifen. Wenn ich hier doch nur einschlafen könnte... Mich ausruhen... Nichts mehr denken...
Dann, wie aus dem Nichts, fühlt es sich an, als ob eine Hand meinen Brustkorb zerquetschen würde. Eine sehr große Hand. Eine sehr kräftige Hand. Ich keuche und ein wilder Schmerz durchzuckt mich, einen, wie ich ihn noch nie gespürt habe.
Schreiend krümme ich mich zusammen, doch wie durch ein Wunder schafft es mein Gehirn, klar zu bleiben.
Aufrichten , sage ich mir. Atmen. Nicht mehr einschlafen.
Meine Lider werden leichter, doch als auch der Schmerz nachgelassen hat und ich mich umdrehe, kommt die schwarze Wand auf mich zu. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Es hätte nicht den allergeringsten Nutzen, wenn ich jetzt weglaufe. Sie ist zu schnell.
Und dann ich die Wand da und ich macheich auf einen Aufprall gefasst, schließe die Augen,  die Arme vor meiner Brust gekreuzt. Doch stattdessen fühle ich ein seltsamen Gefühl, einen Sog, als ob mich die Wand in ihre Mauer aufgenommen hätte. Es ist alles schwarz.

½Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt