Chapter XXX

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Der Sand vor mir ist seltsam feinkörnig. Ich streiche mit meinen Fingerspitzen hindurch und stelle mir vor, wieder zehn zu sein und an der Ostsee. Damals saß ich oft stundenlang mit meiner Mutter so im Sand.
Meine Mutter.
Ist sie das? Ich weiß es nicht.
Nachdem mich Vernon beruhigt hat und ich ihm endlich geglaubt habe, dass zumindest er nicht an einem Menschenexperiment schuldig ist, habe ich mich zu der Adresse aufgemacht, die Vernon als die von Paul Dai beschrieben hat. Auf halber Strecke habe ich angehalten und bin ein wenig in die trockene Sandlandschaft gewandert. Auf der Autofahrt musste ich jeweils zwei Anrufe von Tanja und Tony wegdrücken. Hier habe ich keinen Empfang. Ich sehe mich um, sauge den Anblick von braunrotem Gestein und blauem Himmel in mich auf, versuche mich abzulenken.
Mir fällt eine Felsformation in der Ferne ins Auge. Und plötzlich Sitze ich nicht mehr auf dem Felsbrocken. Plözlich renne ich, fliege ich über den Sand, blicke mich panisch zu den Felsen um. Ich stolpere, fange mich wieder, sehe den Schatten hinter mir schon nach mir greifen, laufe schneller. Noch nie im Leben hatte ich solch eine Angst, noch nie im Leben bin ich so schnell gerannt.
Und dann blinzle ich und schaue wieder den Sand zu meinen Füßen an. Ich zittere und plötzlich ist mir kalt.
Ich stehe langsam auf und Strecke meine Beine. War das gerade eine Art Dejâvú? Oder nur Einbildung, die aus der hochstehenden Sonne über meinem Kopf entstand?
Nein.
Etwas in mir kennt diese Gegend. Schnell gehe ich zum Wagen zurück, zögere und wähle dann eine Nummer.
"Hallo? Ia, bist dus?", kommt Tonys aufgeregte Stimme aus dem Lautsprecher.
"Ja." Bevor er losreden kann, unterbreche ich ihn schon. "Keine Zeit jetzt für Fragen. Ich möchte, dass du sofort losfährst." Ich sage ihm Dais Adresse. "Und guckst, ob jemand zu Hause ist."
"Aber..."
"Bitte." Damit lege ich auf. Ich muss mich beeilen. Ich laufe los, den Blick auf die Felsformation gerichtet.

~•~•~

Eine halbe Stunde später stehe ich direkt vor den Gesteinsbrocken, die in Felsen übergehen. Eine dunkle Vorahnung beschleicht mich und sie wird ironischerweise sofort bestätigt, als ich die morsche Holztür zwischen zwei größeren Steinen entdecke. Meine Intuition hat mich nicht im Stich gelassen.
Es summt und ich blicke erstaunt auf mein Handy. Tatsächlich habe ich an dieser Stelle Empfang. Es ist Tony.
"

Hi! Ia, ich weiß nicht, was du erwartet hast, aber... Hier ist niemand. Und es sieht so aus, als ob das Dauerzustand wäre. Dard ich fragen, warum..."
"Danke, Tony!", rufe ich schnell. "Das hatte ich mir fast gedacht."
Ich lege auf, bevor er weiter nachbohren kann und veetreibe mein schlechtes Gewissen. Dann rüttle ich am verrosteten Türknauf. Er lässt sich nicht drehen, aber die morsche Tür stellt für meinen Fuß kaum ein Hindernis dar.
Wenn das hier Eigentum ist, das nichts mit mir zu tun hat, werde ich die Tür bezahlen.
Aber etwas in mir sagt mir, dass ich das nicht tun werden muss.
Ich bücke mich noch einmal und hebe einen kräftigen Ast auf, dann bin ich bereit und trete in die Höhle, die hinter der Tür liegt.

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