Ich muss zugeben, dass mir dieses ganze Nachspionieren etwas zu viel Spaß macht. Wer hätte gedacht, dass in mir das Potenzial für eine richtige Stalkerin steckt?
Aber jetzt mal ernsthaft: ich werde unvorsichtig. Ich bin längst dazu übergegangen Eirik zu verfolgen, wenn er abends das Haus verlässt. So wie auch jetzt wieder. Ich weiß, dass ich so viel leichter von ihm bemerkt werden kann, und die Konsequenzen können tödlich sein, aber dieser Nervenkitzel, die Angst entdeckt zu werden und die Neugierde für das Unbekannte, lässt mich die verrücktesten Dinge tun. Ich gebe meinem langweiligen Sekretärinnenleben die Schuld an meiner plötzlichen Mutation zum Adrenalinjunky. Vielleicht macht mich die Angst aber auch nur wahnsinnig und mein Körper versucht sich selbst zu zerstören, indem er mich in unmittelbare Gefahr bringt, weil er mit dem ständigen Stress und der Todesangst nicht mehr umgehen kann. Das System ist überlastet und es sieht nur noch einen Ausweg: total Ausfall.
Also entweder ich habe eine Midlifecrisis oder mein eigener Körper versucht mich umzubringen. Wundervoll.
Tief in meine eigenen Gedanken versunken, bemerke ich nicht wie ich verfolgt werde. Es ist früher Abend, die Straßen wimmeln von Menschen, die nach einem langen Tag auf der Arbeit nach Hause gehen. Mein eigenes Verfolgungsziel habe ich längst aus den Augen verloren und ich lasse mich mehr oder weniger von der Masse treiben.
In dem Gedränge kommt die Gestalt unauffällig näher und näher, bis sie schließlich direkt hinter mir hergeht. Als ich ihrer endlich gewahr werde, ist es längst zu spät. Eine große Hand schließt sich um mein Handgelenk und beginnt mich aus der Menschenmenge zu ziehen. Ein Schrei bleibt mir im Hals stecken als sich meine Kehle vor Furcht zusammenzieht. Vor Furcht und der schrecklichen Gewissheit, dass ich meinen Untergang durch meine Unachtsamkeit selbst verschuldet habe.
Mit meiner freien Hand versuche ich seinen Griff zu lösen, aber er zuckt nicht einmal mit der Wimper als meine Nägel sich in seinen Arm bohren. Eirik hält mein Handgelenk fest umklammert, nicht so fest, dass es wehtut, aber fest genug, dass ich nicht entkommen kann. Er zehrt mich in eine Seitenstraße, um den neugierigen Blicken der Passanten zu entkommen. Er will mich anscheinend in aller Stille aus dem Weg räumen. Macht ja auch Sinn. Würde ich auch so machen, wenn ich ein psychopathischer Mörder wäre.
„Hör auf zu zappeln, ich will dir nicht wehtun. Ich will nur reden."
Natürlich höre ich nicht auf zu zappeln. Das wäre ja noch schöner, wenn das Opfer tun würde, was der Angreifer ihm sagt. Leider gibt es kein Entkommen aus seinem stählernen Griff, wie sehr ich mich auch bemühe
.„Hör mir zu. Es wird Zeit, dass wir das klären. Ich weiß wir kennen uns nicht wirklich, aber du scheinst mich immer dann zu erwischen, wenn ich mich gerade nicht von meiner besten Seite zeige. Außerdem habe ich das Gefühl, dass hier irgendetwas furchtbar schief läuft....und aus irgendeinem Grund verfolgst du mich auf Schritt..."
Zugegebenermaßen war ich etwas perplex, dass er meine kleinen Spionageausflüge bemerkt hat. Ich war also nicht so unauffällig wie ich dachte, oder er ist einfach nur aufmerksamer als erwartet. Ich habe mich vom Nervenkitzel blenden lassen, was dazu führte, dass ich meinen Gegner unterschätzt habe. Wie konnte ich nur glauben, dass ich gegen einen professionellen Kriminellen wie ihn eine Chance hätte? In seiner Branche muss man mit allen Wassern gewaschen sein.
Jetzt habe ich den Schlamassel: ich stehe in einer dunklen Seitengasse mit einem psychisch labilen, potenziellen Mörder, der mich in seiner Gewalt und hat und es gibt nichts, dass ich gegen seine physische Überlegenheit tun könnte. Das Einzige, womit ich mich jetzt noch retten kann, ist mein Intellekt. Also tue ich, was jeder intelligente Mensch in einer verzweifelten Lage tun würde. Ich werfe ihm alle denkbaren Beleidigungen an den Kopf und lasse meinem Mundwerk freien Lauf.
„Du ?!%+# !!!" (hier ist Platz für deine Lieblingsbeleidigung)
Nach einer ersten Tirade guckt er mich unbeeindruckt an, aber ich bin noch nicht fertig mit ihm.
„Lass mich endlich los, du verdammter Psychopath! Du willst mich wohl verarschen! „Nur reden" ja klar... deine Mutter will nur reden! Du willst nur herausfinden, wie viel ich über dich und deine Tätigkeiten erfahren habe, und wem ich womöglich davon erzählt habe! Letztendlich wirst du mich eh umzubringen!" Ich gebe zu der „deine Mutter"-Spruch ist etwas abgedroschen, aber in so einer Situation bleibt keine Zeit für Kreativität.
„Was zum- umbringen?" Er starrt mich nun verdutzt aus seinen großen Augen heraus an.
„Steck dir deine Unschuldsnummer sonst wohin. Ich weiß genau, was du bist. Ich habe gehört wie du mit Ivan über deine Drogengeschäfte gesprochen hast. Ich weiß, was du Karl angetan hast. Ich weiß, dass du Minderjährige zur Prostitution zwingst. Ich weiß alles."
Ich hoffe ich haben ihn damit etwas aus der Bahn geworfen. Der Schock darüber, wie viel ich über ihn weiß, lässt ihn hoffentlich unaufmerksam werden und ein kleiner Moment der Unaufmerksamkeit ist alles was ich brauche, um zu entkommen. Er starrt mich wie erwartet fassungslos an.
Doch dann überrascht er mich als er sich zu mir herunterbeugt, seine Hände links und rechts auf meine Taille legt und mich mit einem Ruck über seine Schulter hievt. Seine impulsiven Handlungen erschrecken mich immer wieder aufs Neue.
Ich schreie ihn an und schlage mit meinen Fäusten auf seinen Rücken, aber mein Protest trifft auf taube Ohren. Das Schlagen tut mir mehr weh als ihm und langsam frage ich mich, ob sein gesamter Körper ein gigantischer Stahlklotz ist. Meine eigene Machtlosigkeit wird mir gnadenlos vor Augen geführt.
Die Gewissheit, dass ich nun meinem Ende entgegen gehe, fängt an mein gesamtes Denken zu dominieren. Er spaziert mit mir über seiner Schulter, wie ein Matrose mit seinem Seesack, die Gassen entlang. Sein Ziel ist mir unbekannt, aber je dunkler es um mich herum wird, desto mehr verliere ich die Hoffnung hier noch lebend herauszukommen. Ein leises Wimmern ersetzt nun meine Schreie und er klopft mir zweimal beruhigend auf den Hintern. Ich rede mir ein, dass die Röte in meinem Gesicht nur daher rührt, dass ich seit einiger Zeit Kopfüber hänge, aber so ganz gelingt es mir nicht. Oh Gott, es fehlt noch, dass ich jetzt das berühmte Stockholm-Syndrom entwickle.
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Ein Hauch Paranoia
ChickLitOkay ganz ruhig, nur weil er aussieht wie ein Mörder muss er ja nicht gleich einer sein. "Ivan, ich meine es Ernst. Entweder du bewegst deinen fetten Arsch hierher oder mit dir passiert dasselbe wie mit Karl. Willst du das, Ivan? Willst du genauso...