Kapitel 3

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Deshalb liege ich nun jeden morgen in meinem Bett und belausche wie er seinen Tag beginnt. Das gehört zu meinem ausgeklügelten Plan, der aus reiner Angst ums Überleben angetrieben wird. Das ist der stärkste Antrieb den es auf der Erde überhaupt gibt. Eines der grundlegenden Konzepte des Lebens: survival of the fittest. Ich passe mich meinen neuen Lebensbedingungen an und sichere so mein Überleben. Ich werde ihn mithilfe der Evolution besiegen. Mein Plan ist makellos. Konkret sieht er also folgendermaßen aus:

1. Ich studiere alles was er tut bis ins kleinste Detail, bis ich handfeste Beweise für seine Missetaten habe, damit ich die Polizei auf ihn hetzen kann.

1.2. Ich werde ihn also belauschen, beobachten oder was auch immer sonst nötig ist, sodass ich ihm am Ende besser kenne als er sich selbst. So kann ich ihm immer einen Schritt voraus sein. Wie heißt es so schön: Sei deinen Freunden nahe und deinen Feinden noch näher.

Dieser Plan scheint auf den ersten Blick ganz einfach, aber in den simpelsten Dingen verbirgt sich oft die Brillianz. Außerdem steckt jede Menge Arbeit dahinter.

Vier Tage habe ich alleine damit verbracht seine Tagesroutine zu observieren (bei der Arbeit hab ich mich krank gemeldet, pflichtbewusst wie ich bin). Da ich nicht riskieren wollte, gesehen zu werden, musste ich meine Observationstätigkeiten vorerst aufs Belauschen reduzieren. In die Tat umgesetzt bedeutete das, dass ich mit meinem Gesicht an die Wand gedrückt in meiner Wohnung stand und angestrengt versuchte auszumachen, was in der Nachbarwohnung vor sich ging. Keine seiner Bewegungen blieb mir verborgen. Vier Tage lang. Mein Nacken bringt mich um, bevor er es kann.

Zum Glück habe ich schnell festgestellt, dass der Typ wie ein Uhrwerk funktioniert. Er steht jeden Tag um die selbe Uhrzeit auf, geht um die selbe Zeit Duschen und jeden Tag auf die Sekunde genau, hört man seine Haustür ins Schloss fallen. Auch am Wochenende. Er hat offensichtlich eine Zwangsneurose. So perfekt kann kein gesunder Mensch sein. Aber dieses Verhalten kann mir nur recht sein. Sobald er sich nicht an seine eigens auferlegte Routine hält, weiß ich, dass etwas nicht stimmt und bin gewarnt. Meine Psychoanalyse von ihm ist so weit ausgereift, dass ich mich frage, warum ich das nicht beruflich mache...

Seinen illegalen Tätigkeiten komme ich auch langsam auf die Spur. Sein Komplize scheint ein Mann namens Ivan zu sein. Ich konnte einige Telefonate belauschen, in denen er mit ihm gesprochen hat. Zum Beispiel folgendes:

"Ivan, ich hab dir schon tausend Mal gesagt, du sollst die Ware nicht anfassen. Die Kunden erwarten einen makellosen Zustand und wenn du-.... Ivan-.... Ivan, hör mir zu-... IVAN, verdammt nochmal! Lass deine Finger davon oder ich werde sie dir persönlich abschneiden!"

Ja, ihre Gespräche verlaufen immer nach diesem Muster: Viele Flüche, genervtes Ausrufen von Ivans Namen, und die eine oder andere Drohung. Sie scheinen eine wunderbare Freundschaft zu führen. Die beiden sprechen oft über „Ware" und „Lieferungen", was mich in der Überzeugung bekräftigt, dass sie Drogen verkaufen. Oder Menschen. Eins von beidem (eventuell bedarf diese Behauptung noch einigen Nachforschungen.)

Meinen weiteren Beobachtungen zufolge, macht er sich auch noch mit anderen Geschäften die Hände schmutzig. Neulich Abend konnte ich beobachten (ja beobachten, nicht belauschen!) wie er mit einer leicht bekleideten Dame die Straße entlang gegangen ist. Sie war eindeutig minderjährig, war aber gekleidet wie- nun ja- eine Nutte. Ich will mir gar nicht vorstellen, was er mit dem Mädchen gemacht hat.

Aber das war noch nicht das aufrege- äh beängstigendste Geschehnis der Woche. Gestern habe ich tatsächlich Ivan getroffen. Live and in person. Von Angesicht zu Angesicht mit einem Drogen-/Menschenhändler.

Ich bin gerade nach Hause bekommen als ich einen jungen Mann im Hausflur traf (ja, das scheint hier öfter zu passieren.). Er war gut zwei Köpfer größer als ich und sah aus als würde er von seiner Mitgliedschaft im Fitnessstudio regelmäßig Gebrauch machen, wenn der Umfang seines Bizeps als hinreichendes Indiz gewertet werden darf. Sein markantes Gesicht wurde nur durch eine etwas krumme Nase seiner Perfektion beraubt. Trotz seines einschüchternden Äußeren, versprühte er einen gewissen jungenhaften Charme mit seinem schelmischen Lächeln, das dauerhaft seine Lippen umspielte, gerade so als würde er irgendetwas aushecken.

"Guten Abend, was führt denn so eine reizende, junge Dame in dieses bescheidene Häuschen?", fragte er mich, wobei er sich mit einer Geste einen imaginären Hut vom Kopf zog.

Sobald er den Mund öffnete, war mir klar, wen ich da vor mir hatte. Dieses Stimme war mit nur allzu vertraut, von all den Abenden, an denen er Eirik besucht hat und ich sie aus dem Nebenzimmer belauschte. Der leicht ironische Unterton, das gerollte „r": vor mir stand Ivan.

Auf eine direkte Konfrontation mit dem Feind war ich nicht vorbereitet, und mein Gedanken überschlugen sich praktisch. Wie soll ich mich verhalten? Was ist seine Absicht? Was ist der beste Fluchtweg?

"...ich wohne hier."

"Ach, dann musst du Charlie sein! Schön dich kennenzulernen. Ich bin Ivan."

Seine Augen blitzten amüsiert auf und sein Grinsen wurde von Sekunde zu Sekunde breiter. Ich verstand nicht wirklich, was ihn so amüsierte, aber es machte mich nervös... wusste er etwas, dass ich nicht wusste? Außerdem: woher kannte er meinen Namen?! Kannte jetzt jeder x-beliebige Mensch in dieser Stadt meinen Namen?! Diese Situation kam mir langsam unangenehm vertraut vor.

"Ich wei- ÄHM hi", lautete meine Antwort. Wortgewandt wie eh und je. Zu meiner Verteidigung: Sein strahlendes Lächeln fing langsam an mich zu blenden.

„Du bist größer als ich erwartet habe."

Was erwidert man auf so eine willkürliche Bemerkung?

„Danke?"

„Kein Problem."Er zwinkerte mir freundschaftlich zu.

„..."

„Es war echt nett mit dir zu plaudern, aber ich muss leider noch ein paar Besorgungen machen. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder."

Damit verabschiedete er sich, aber nicht ohne mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. Ich stand die ganze Zeit stocksteif da. Das war mit Abstand das seltsamste Gespräch, dass ich je geführt habe. Ich bin mir nicht sicher was eben passiert ist. Ich bin mir ebenfalls nicht sicher ob ich seine Ironie als Beleidigung auffassen soll oder nicht. Was für ein verwirrender Typ. Aber es wundert mich nicht, dass mein krimineller Nachbar sich mit Wahnsinnigen umgibt. Gleich und gleich gesellt sich gern.

Soweit meine bisherigen Beobachtungen. Der Plan verläuft... naja... nach Plan.

A/N: Alsoooo wie gefällt es euch bis jetzt? Kommentare und Kritik sind erwünscht :D




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