Fünf

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"Nicht so hektisch, Harry!", lachte Louis, während der Lockenkopf den Engel schnell mit sich zog. "Du musst mir alles erzählen!", forderte Harry jedoch. Der Brünette seufzte, verdrehte die Augen und nickte dann. „Jaja", schmunzelte er, und als die beiden dann endlich ankamen, Harry aufsperrte und sie eintraten, schlug Louis die warme, angenehme Luft entgegen. Seufzend genoss er die Wärme, hängte seine Jacke dann neben Harry's und folgte ihm in sein Zimmer. Es war geräumig, hatte eine komplette Glaswand und viele Regale an den anderen drei Wänden, die größtenteils mit Büchern gefüllt waren. Als Louis ein Buch sah, das „Guardian Angel" hieß, musste er schmunzeln. Neugierig sah er sich mehr um, entdeckte noch eine Stereoanlage, die in schwarz gehalten war, und zu seiner großen Verwunderung einen Flügel. Andächtig fuhr er über die Tasten, erinnerte sich daran, wie er selbst bei sich Zuhause eigene Stücke komponiert und sie immer wieder gespielt hatte, wenn er traurig war oder an seine Mutter dachte. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen kam Harry zu Louis, stellte sich neben ihn und beobachtete ihn von der Seite forschend. „Spielst du?" Der Kleinere nickte nur, seufzte leise und ließ von dem Instrument ab. Es erinnerte ihn zu sehr an Jay, und er musste nicht unbedingt jetzt weinen.

„Also, was willst du wissen?", murmelte Louis, während er Harry's Zimmer weiter inspizierte und sich die Kinderfotos ansah, die an einer freien Stelle der linken Wand hingen. Darauf sah der Lockenkopf noch knuffig aus, mit verstrubbelten Haaren, großen Augen und einem breiten Grinsen im Gesicht, wobei man auf einem der Bilder eine Zahnlücke erkennen konnte. Schmunzelnd betrachtete er sein Zimmer weiter, weswegen er Harry's Frage nicht wirklich wahr nahm. „Hörst du mir überhaupt zu?", fragte der Lockenkopf empört, da er schon eine erheblich lange Liste an Fragen herunter gerattert hatte; aber anscheinend war alles für die Katz gewesen, und er hatte gegen eine Wand geredet. „Hmm?", schreckte Louis auf und drehte sich zu ihm um; Harry saß im Schneidersitz auf seinem Bett, sah ihn schmollend an und hatte die Arme bockig vor der Brust verschränkt. Zu süß, fand Louis. Grinsend setzte er sich neben ihn und lehnte sich nach hinten. „Sorry, war in Gedanken. Also, kannst du es nochmal wiederholen?" Grummelnd schürzte der Jüngere die Lippen, nickte dann aber. Er wollte schließlich wissen, wer dieser Junge war.

„Gut. Wie heißt du?" Der Engel lachte leicht und lächelte ihn an. „Louis." Harry nickte und schien zu überlegen, welchen Punkt er danach abarbeiten wollte. „Wie alt bist du?" Überlegend runzelte Louis die Stirn. „Uhm...neunzehn." Skeptisch zog Harry die Augenbrauen zusammen. „Wieso glaube ich dir nicht?" Louis zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bist du einfach ein sehr kritisch denkender Mensch." Schnaubend schüttelte er den Kopf, wobei seine Locken hin und her wippten. „Du hast erst überlegt. Also, wie alt bist du?" Seufzend stützte Louis den Kopf in die Hände. Sollte er ihm wirklich erzählen, dass es Engel gab? Und dann auch noch, dass einer vor ihm saß? Wie würde er das aufnehmen? Er zerbrach sich für eine halbe Minute den Kopf darüber, doch es kam ihm so vor, als wäre es eine halbe Ewigkeit gewesen. Geduldig wartete Harry. „Ich hab den ganzen Tag Zeit, falls du mir ausweichen willst.", warnte er den Kleineren. Dieser fuhr sich über das Gesicht, als wolle er die Müdigkeit und Erschöpfung wegwischen. „Können wir das nicht auf morgen verschieben? Ich bin verdammt müde, Harry."

„Nein! Das geht nicht, du - ", setzte Harry gerade an, als seine Mutter in das Zimmer platzte. „Harry? Ich hab deinen Tee fertig, kommst du?" Sie lächelte ihn sanft an. Louis saß nur daneben und schluckte. Diese Frau könnte seine eigene Mutter sein, denn ihre Liebe zu ihrem Sohn übersah er nicht. Grummelnd nickte Harry. „Ich bin gleich da." Sie lächelte. „Okay. Ach ja, ich hab Plätzchen gebacken, wenn du welche willst." Wieder gab Harry ein Nicken als Antwort und sah Louis kurz an. Dieser starrte an die Decke und summte leise, in dem Wissen, dass seine Mutter es nicht hören würde. Kurz erstarrte der Lockenkopf, da er keine Ahnung davon hatte. Bis er seine Sprache wieder fand und ihn anstupste, nachdem sie aus seinem Zimmer verschwunden war. „Wieso hast du bitte gesummt? Meine Mom hätte dich hören können! Und wieso kann dich niemand außer ich sehen?" Mit brennender Neugierde sah er Louis an, welcher amüsiert den Kopf schüttelte. „Der Tee wartet, Kleiner." „Mphf.", grummelte der Angesprochene, stand aber auf, hielt vor der Tür jedoch noch einmal an. „Bist du noch da, wenn ich wieder komme?"

Louis lächelte. „Wenn mich in der Zwischenzeit keine Insekten, Tiere oder andere Lebewesen anfallen und mich rauswerfen, dann ja, schätze ich." Kichernd verschwand Harry aus seinem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und biss sich auf die Lippe. Er wusste nicht, ob er dem Jungen mit den blauen Augen vertrauen sollte. Aber wäre er dann nicht sauer, wenn er es wirklich tun würde? Denn ein Gedanke war durch sein Gehirn gehuscht: Vielleicht sollte er absperren, dass er ja nicht weg sein würde, wenn er wieder kam. Also fischte er den Schlüssel von dem Türrahmen, wobei er sich strecken musste, steckte ihn in das Schloss und drehte ihn zweimal um. Als Louis das Geräusch von innen wahr nahm, sah er verwundert zur Tür. Hatte er ihn gerade wirklich eingesperrt? Die Verwunderung in seinem Gesicht verwandelte sich jedoch schnell in ein Schmunzeln; es amüsierte ihn irgendwie, dass Harry solche Angst hatte, er könnte verschwinden. Da er sich denken konnte, dass es ein wenig länger dauern würde, machte er es sich auf dem Bett bequem, schloss die Augen und ließ sich in seine Tagträume fallen, in denen er mit seiner Mutter spielte.

Als Harry in die Küche kam, roch es nach Tee, Punsch und Zimt. Lächelnd setzte er sich an den Tisch, an seinem Platz war eine Tasse Tee, wie Anne gesagt hatte, und in der Mitte war eine Platte mit Plätzchen; unter anderem Zimtsterne, Vanillekipferl, Kokos-Makronen, Spritzgebäck und Mandelsplitter, die fein säuberlich und geordnet darauf gestapelt waren. Schmunzelnd sah er seine Mutter an, die wegen seinem Blick lachte. „Ich kann nicht anders, Haz!" Grinsend schüttelte er den Kopf, nahm sich einen Zimtstern und biss hinein. Während er kaute, legte er seine Hände an die heiße Tasse. „Ich hab mit Dad geredet.", platzte sie plötzlich heraus, Harry sah sie verwundert an. Er hatte ehrlich gesagt nicht mehr daran geglaubt, dass sie sich überwinden würde, mit ihm zu sprechen. „Wirklich?" Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch; wie zuvor bei Louis auch. „Ja. Und er hat sich entschuldigt." Der Lockenkopf verschluckte sich an dem Tee, den er gerade getrunken hatte, und schickte schnell einen Schluck Wasser hinterher, da er einen Hustanfall bekam. Nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, sah er sie überrascht an. „Dad hat sich entschuldigt? Was ist denn mit ihm passiert?" Sie zuckte bloß grinsend mit den Schultern. „Naja, aber ich fand es süß. Und vielleicht wird es ja noch was mit uns." Jetzt schlich sich ein strahlendes Lächeln auf Harry's Gesicht, das Anne von innen heraus erwärmte. Ihr Sohn lächelte nicht oft so strahlend, und wenn er es tat, ging ihr Herz förmlich auf. Aber als er dann aufsprang, als hätte er etwas Wichtiges zu erledigen, sich die Tasse Tee und ein paar Plätzchen schnappte, wusste sie überhaupt nicht, was er vorhatte. „Was tust du da, Liebling?", murmelte sie verwirrt, doch er gab keine Antwort darauf, sondern öffnete schnell die Tür zu seinem Zimmer und schloss sie von innen wieder, bevor er den schlafenden Louis erblickte, der ein kleines, süßes Lächeln auf den Lippen hatte.


Guardian AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt