No.1 - Von Grafen und Erzherzögen

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Moskau, 17.November 1875

Ein eisiger Luftzug strich über meine Schultern. In ein paar Stunden war es soweit, meine Familie wird sich in St.Petersburg treffen um mich zu verheiraten und mir ein, in ihren Augen, standhaftes Leben sichern. Liebe spielte in solchen Angelegenheiten keine Rolle. Es wurde nur auf den Vorteil gesehen, ob man liebt oder nicht.

Lerne zu lieben, lerne zu vergeben, lerne zu akzeptieren. Das hatte meine Mutter einst gesagt und meine älteste Schwester, als ich sie das letzte mal nach Ilja fragte. Eleonore sah immer glücklich aus, aber als ich diesen Satz von ihr hörte wusste ich, es war das Gegenteil. Sie liebte ihr Kind, Ihr ungeborenes Kind, aber nicht Ilja.

"Mademoiselle Evelina", ertönte eine Stimme und ein Klopfen von außerhalb der hölzernen Tür. "Herein", murmelte ich und Maria, die selbe Zofe wie jeden Morgen, kam durch den Türrahmen geschlüpft. Ihre Haaren zu einem losen Knoten geflochten, ihr Gesicht glühte von der Kälte. Sie Knickste und begab sich in den anliegenden Raum in dem sie weitere Balkontüren öffnete. Sie kühle Luft strömte durch den Raum und verschaffte mir einen klaren Kopf. Dennoch kreisten die absurdesten Gedanken durch den Kopf. Erwartungen. Hoffnungen.

Enttäuschungen.

Wenn es doch auch so einfach für mich wäre. Als zweitjüngste Tochter eines der größten Erzherzögen im Kaiserreich Russland, die gerade ins heiratsfähige Alter gekommen war, war nichts einfach, außer zu hoffen und zu beten. Ich sollte mich damit abfinden die echte Liebe aus den Büchern finden zu wollen. Denn so etwas gab es in meiner Welt nicht, vielleicht gab es sie überhaupt nicht.

Mein Kopf sank ein wenig weiter. Ob es Gott so wollte, das alle ohne liebe lebten. Nicht eine Liebe zwischen Freunden, Müttern und ihren Kindern oder Geschwistern. Sondern die Liebe die man einem Fremden gegenüber empfindet, als würde man ihn seit dem Anfang seines Lebens kennen und bei ihm alle seine Geheimnisse aufbewahren. Wahre Liebe.

"Evelina! Wir haben ein Frühstück das unten auf dich wartet. Warmer Tee und knusprige Croissants, für dich nur die Beste Himbeermarmelade", Die Hochgewachsene Frau stemmte ihre knochigen Hände in ihre schlanke Hüfte und blickte mich skeptisch an. "Mutter...", begann ich und wiederholte die Gedanken in meinem Kopf. "Hast du aus Liebe geheiratet?", sie legte ihren Kopf nach vorne.

"Evelina, Schatz, Meine Familie war ein verarmter Adel. Doch dein Vater war gnädig genug ein neues Leben mit mir zu beginnen und dafür habe ich ihm dich und Eleonore und Alexej und deine anderen Geschwister gegeben... Es ist ein Tauschgeschäft, wenn man... es einfach sieht", wieder legte sie ihren Kopf zur Seite und ihren Feuerroten Haarsträhnen fielen ihr vor die Augen. "Du brauchst keine Angst zu haben, wir werden einen Richtigen für dich finden", damit drehte sie sich und verschwand aus dem Zimmer.

Die Türe knallte ins Schloss und im selben Moment legte Maria ein Bordeaux farbiges Kleid auf dem Stuhl nieder, der bei dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes stand. Ihre Wangen waren nun noch röter als zuvor, durch die Wärme des Kamins. Würde ich so aussehen wenn mir meine wahre Liebe ein Kompliment macht?

Ich schüttelte meinen Kopf und schlug die Decke zur Seite. Von draußen konnte man die Vögel hören und vereinzelt das Knirschen von Stiefeln im kalten Schnee. Es lagen Unmengen von Schnee und da es diese Nacht wieder geschneit hat, war noch mehr zu erwarten. So stand ich auf und strich mein Nachtgewand glatt. Es war zu dünn, aber außer Maria und mir müsste dies ja niemand erfahren. Leise begab ich mich zu dem Stuhl auf dem das Kleid lag.

≪ Broken ~ Ein Leben in hoher Gesellschaft ≫Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt