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Blind tasteten sich die Geschwister voran durch die lähmende Dunkelheit des steinernen Tunnels. Malve griff achtlos nach Flavors Hand und bohrte ihre Fingernägel ängstlich in seine Haut. Flavor begann zu fluchen, als er auf einmal über einen Geröllhaufen stolperte und sich gerade noch so vor einem Sturz retten konnte. Die Schritte der beiden hallten von den kahlen, nassen Wänden wieder und begleiteten sie auf ihrem Weg voran durch die Dunkelheit. Flavor meinte ein leises Flüstern und Tuscheln zu vernehmen.
"Hörst du das?", hauchte er in das Schwarz um ihn herum.
"Ja", flüsterte Malve zurück und warf suchend die Augen herum, doch sie entdeckte nur gähnende Dunkelheit und Leere.
Die Stimmen wurden lauter und lauter bis die beiden sich die Händen auf die Ohren pressten um den Geräuschen zu entkommen. Es war ein fremde Sprache, die durch die Luft flog. Hart und dennoch sanfte Wörter deren Inhalt Angst und Schrecken ausdrückte. Malve kauerte sich zu Boden und wimmerte, sie schüttelte immer wieder den Kopf und versuchte den brüllenden Stimmen zu entkommen. Nackte Angst jagte durch ihren Körper und drohte ihr die Luft zum Atmen zu nehmen, bis Flavor sie grob am Arm mit sich riss und sie stolpernd den Gang herab rannten, verfolgt von den fremden Stimmen.
"Ihr könnt euch nicht entfliehen!", schrie ein Stimme und den Geschwister war, als würden sich durch Wasser laufen.
Ihre Glieder wurden schwerer, jeder Schritt schien eine Ewigkeit zu dauern. Flavor brüllte verbissen gegen die Stimmen an, kämpfte sich weiter vor und zog seine erschöpfte Schwester hinter sich her.
Plötzlich erstarben die Schreie und Stimmen. Es war still, die Zeit schien angehalten. Flavor hörte seinen und Malves keuchenden Atem, doch sehen konnte er nichts. Die Schwärze des Ganges war erdrückender als je zuvor.
"Alles in Ordnung bei dir?", fragte Flavor leise und tastete nach Malves Hand.
"Ja, alles in Ordnung", erwiderte diese zitternd. "Meinst du wir haben es überstanden? Ich sehe keinen Ausgang."
Auf einmal breitete sich ein grelles Licht aus und sie mussten die Augen zusammen kneifen. Als die beiden sich an die neue Helligkeit gewöhnt hatten, öffneten sie ihre Augen wieder und erstarrten. Sie waren wieder Zuhause. Ihre kleine Hütte stand dort neben der Bucht, in der Ferne ging die Sonne über dem weiten Meer unter und versank in den sprudelnden Wellen. Rauch kam aus dem Schornstein und Licht brannte hinter den niedrigen Fenstern. Malve rappelte sich auf und rannte fröhlich auf ihr kleines Heim zu.
"Malve, warte! Irgendetwas ist hier falsch!", rief Flavor seiner Schwester nach und diese stoppte.
"Flavor, seit wann ist der Boden so warm?"
Malve senkte vorsichtig ihren Blick und schrie laut auf. Flavor hob seine Hand und erschrak ebenfalls. Dunkelrotes Blut rann seinen Arm herab und tropfte auf die Gräser, die von einer Lache der dicken Flüssigkeit umspült wurden. Nun fiel ihm auf, dass nicht die Sonne das Meer rot färbte, sondern das Blut in Wellen an das Ufer schlug. Flavor rannte zu seiner zitternden Schwester, die sich noch nicht hatte rühren können. Plötzlich ging das Haus vor ihnen in grüne, hoch lodernde Flammen auf und die Geschwister spürten die brennende Hitze auf ihrer schweißnassen Haut.
"Weg hier!", schrie Flavor, als ein Balken krachend in sich zusammenfiel.
Er packte Malve, und sprintete so schnell ihm es der glitschige Boden erlaubte davon, seine Schwester ihm hinterher. Der schwere Holzbalken schlug direkt hinter ihnen auf, genau dort wo sie vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatten. Flavor blickte über die Schulter und tiefe Trauer umfing ihn. Seine Heimat war zerstört, gefressen von den Flammen. Seine schlimmsten Ängste hatten sich bewahrheitet. Ängste...!
Plötzlich kam Flavor eine Idee und er stoppte abrupt.
"Malve!"
Seine Schwester blieb mit tränenüberströmten Gesicht hinter Flavor stehen, die Furcht flackerte in ihren Augen und sie dah sich panisch um, als würde ihr das grüne Feuer im Nacken sitzen.
"Malve, hör mir zu!" Er packte die junge Frau an den Schultern und schüttelte sie leicht, damit sie ihn wahrnahm. "Das ist nicht real! Wir sind immer noch in dem Tunnel. Unsere Ängste spielen uns einen Streich. Es ist eine Prüfung, hörst du?"
Nun erst richtete sich Malves leerer Blick auf Flavor. Dieser versuchte sie ermutigend anzulächeln und fuhr fort: "Schließe deine Augen. Alles wird gut werden, gleich ist es vorbei..."
Malve ließ ihre Lider über die kastanienbraunen Augen sinken. Das Knacken eines fallenden Balkens ertönte und kurz schrak Malve zusammen, doch Flavor nahm ihre Hand und drückte sie leicht zur Beruhigung. Er schloss ebenfalls die Augen und ließ seine Gedanken um Malve kreisen, wie um sich selbst Mut zu machen und nicht an das schreckliche Bild um sie herum zu denken. Der beißende Metallgeruch des Blutes und die rauchige Luft stachen in seine Nase, doch er blendete seine Sinne aus und sein Herz begann ruhiger zu schlagen, die Aufregung fuhr aus seinen Gliedern.
Er hörte weder die wütenden Flammen, spürte er das gierige Blut an seinen Knöcheln. Die Angst wich wie ein erleichterter Seufzer von ihm und Flavor meinte Malves und seinen ruhigen Herzschlag im Einklang zu hören. Vorsichtig öffnete Flavor wieder die Augen und sah... nichts. Die Schwärze des Tunnels hatte die Geschwister wieder erfasst.
"Wir müssen hier raus!"
Malve wusste nicht, warum sie flüsterte. Sie wusste nur, dass sie hier heraus wollte, um jeden Preis. Keine Sekunde länger wollte sie in dieser kalten, feuchten Hölle verbringen. Entschlossen ließ sie die Hand ihres Bruders los und stapfte zielstrebig in die Dunkelheit. Flavor folgte dem Geräusch ihrer Schritte.
Gefühlte Stunden, Abzweigungen und stolpernde Schritte später, ließ Malve sich erschöpft und enttäuscht auf den Boden fallen.
"Nehmen diese Tunnel denn nie ein Ende? Ich habe Blasen an den Füßen! Abkürzung, dass ich nicht lache! Wir hätten den Steinsiedlern nicht trauen dürfen!", meckerte sie empört.
"Sonst bin ich doch der ewige Schwarzmaler von uns beiden!", grinste Flavor. "Keine Sorge! Wir finden hier heraus."
Flavor tastete die Wände ab, auf der Suche nach etwas mit dem sie hier unten Feuer machen konnten. Da bekam er plötzlich eine Wurzel zu fassen.
"Gib mir ein Messer, Malve."
Sie reichte ihm eines und in kürzester Zeit war die Wurzel von der Wand abgetrennt.
"Wir müssen uns nah unter der Erde befinden", überlegte Flavor laut.
Malve rupfte, zum Glück, trockenes Moos von der Wurzel, nahm sich einen kleinen Ast und rieb ihn schnell zwischen beiden Händen, um Feuer zu machen. Nach einiger Zeit sprangen ein paar Funken auf das Moos über und kleine Flammen züngelten an dem glatten Holz der Wurzel entlang. Flavor betrachtete nun im Schein des flackernden, warmen Lichts die Decke der Höhle.
"Malve, sieh nur!" Er deutete über sich.
Malve hob ihren Blick auf die Stelle im Stein, auf die Flavor zeigte. Dort war ein kreisrunder Deckel eingelassen auf dem die Umrisse einer Stadt erkennbar waren.
"Unser Weg nach draußen", lächelte Malve.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 21, 2016 ⏰

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Die Seele eines DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt