Around Midnight. || Part 01

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+Part 01 - Zayn+

Das Wort 'schön' hatte schon längst seine eigentliche Bedeutung verloren. Was galt heutzutage noch als schön? Gut gemachtes Haar? Ein Kleid? Oder doch eine Hose und ein Oberteil? Welches Paar Schuhe? Farblich passend oder kontrastierend? Leichtes Make-up oder doch verführerische Smokey-eyes? Wie saß die Hose, das Kleid, das Oberteil? Machte es dick? War man vielleicht zu dick? Sollte man vielleicht nicht doch lieber auf eine neue Diät umsteigen?

Alle diese Fragen hatten einen gemeinsamen Faktor: Sie bezogen sich einzig und allein auf das Äußere. Menschen waren oberflächlich geworden. So schrecklich oberflächlich, dass sie über das Innere einer Person hinwegsehen konnten, wenn sie doch nur schön anzusehen waren. Menschen widerten mich grundsätzlich an.

Das hieß nicht, dass ich keine Freunde hatte, oder keine Liebe für einen Menschen empfinden konnte - aber es hieß, dass ich mich von den Menschen fernhielt, die 'schön' waren. Stattdessen begab ich mich in die Gesellschaft von wirklich schönen Menschen. Menschen, die, egal wie sie aussahen, von innen heraus strahlten. Mein bester Freund, Louis, war einer der schönsten Menschen, die ich je getroffen hatte. Ich hatte es auf den ersten Blick gesehen, als ich ihn das erste Mal in der Grundschule auf dem Spielplatz spielen sehen hatte. Kinder allgemein waren schöner als Erwachsene. Die schlimmsten waren aber Teenager.

Doch selbst unter all den leuchtenden Kindern war Louis aufgefallen. Ich hatte eine Weile gebraucht, bis ich verstanden hatte, warum er so sehr strahlte. Louis mochte jemand sein, der anderen gern Streiche spielte, aber er trieb es nie so weit, dass er sie damit verletzte. Und wenn er bemerkte, dass er eine Grenze überschritten hatte, hörte er sofort auf und ging dazu über, die Person zu beruhigen, abzulenken von dem erschreckenden Ereignis, kümmerte sich um sie, was die meisten gar nicht mitbekamen. Sie nahmen es als gegeben hin, als wäre es selbstverständlich.

Aber das war es nicht. Und doch machte Louis nichts Besonderes daraus, behielt es nicht als ein Argument in der Hinterhand, um später jemanden zu erpressen. Es wäre so leicht. Ein paar Worte würden reichen, und er könnte das Kind seiner Wahl dazu bringen, alles zu tun. "Weißt du noch, als ich dir den Streich gespielt habe und du weinen musstest? Du willst doch nicht, dass die ganze Schule das weiß, oder?"

Deswegen leuchtete er. Weil er jede Möglichkeit hatte, andere zu erniedrigen, sie aber nie ergriff, sondern immer lächelte und mit den Schultern zuckte, als wäre es nichts.

Ich seufzte, schüttelte den Kopf und stellte der jungen Frau das Glas vor die Nase, nahm das Geld entgegen und gab ihr das Wechselgeld zurück. Sie war eine dieser 'Schönen'. Eine hübsche Figur, ein Kleid, dass ihre besten Stellen betonte, rote Lippen, schwarze Augen. Langes Haar fiel fließend über ihren nackten Rücken, silberne Armreife klimperten an ihrem Handgelenk, zu hohe Schuhe klackerten auf dem Boden. Aber ihre Augen waren leer, ihre Bewegungen antriebslos. Einsam. Sie hatte niemanden, mit dem sie ihre tiefsten Gedanken und Gefühle teilen konnte. Ich sah auf ihre Hand. Ein goldener Ehering schloss sich um den Ringfinger, ein breit glitzernder Diamant war darin eingelassen. Ihr Mann war reich, aber er scherte sich einen Dreck um ihre Gefühle, besänftigte sie mit teuren Geschenken. Und sie hatte gelernt, das zu akzeptieren und war abgestumpft. Wahrscheinlich bekam sie es nicht einmal mehr mit.

Ich drehte ihr den Rücken zu, um sie nicht länger ansehen zu müssen, und fing aus dem Augenwinkel auf, wie jemand mich beobachtete. Ich wusste, wer dieser Jemand war. Ich spürte seinen Blick immer auf mir, wenn er in meiner Nähe war und ich in eine andere Richtung sah. Was ich häufig tat. Nicht, weil ich ihn nicht ansehen wollte, sondern weil ich ihn ansehen wollte. Er war fast schon zu schön, um ihn ansehen zu können. Ich hatte noch nie jemand so Schönes gesehen. Er übertraf Louis um Weiten.

Aber es gab ein Problem. Denn sobald ich diese Schönheit wirklich ansah, wusste ich, würde ich sie jemals an einen anderen verlieren, würde ich zerbrechen. Zu viele schöne Menschen hatten mich schon verlassen. Meine Grenze war erreicht. Ein weiterer, der mich hinter sich ließ, und ich war am Boden. Endgültig.

Around Midnight.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt