Hochzeitswalzer

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,,Du willst dich offensichtlich blamieren oder, John?" murmelte der Detektiv genervt, während der Doktor seinen stets regelmäßigen Atemzügen lauschte.

Es waren inzwischen nur noch zwei Wochen bis zu dem Tag, an dem Mary und er heiraten würden. Die Einladungen waren bereits lange zuvor geschrieben und abgeschickt, Sitzordnungen für Kirche und Festsaal ausgearbeitet und das Bankett bestellt worden. Nach dem Probieren von weiteren zwanzig Torten, sowie dem Auswählen der Kleiderfarbe für die Brautjungfern, hatte John eigentlich geglaubt den Rummel, der ihn zu seiner Hochzeit begleiten würde, überstanden zu haben. Und dennoch musste ihm ausgerechnet sein ehemaliger Mitbewohner, bester Freund und Best-Man Sherlock Holmes auf seine Schwäche, nicht einmal einen anständigen Walzer tanzen zu können, hinweisen.

Mary war zwischenzeitlich mit einer ihrer zahlreichen Freundinnen in die Stadt gefahren, um, wie John insgeheim vermutete, ihr Brautkleid abzuholen und dafür zu sorgen, dass John Zeit mit Sherlock verbrachte. Sherlock, der - vertraute man auf Marys Beobachtungsgabe - panische Angst vor ihrer Hochzeit hatte und sie sich mit jedem Tag ein wenig mehr herbeisehnte. John hatte ihm bereits bei ihrem letzten Fall versucht zu erklären, dass auch die Hochzeit an ihrer Freundschaft nichts ändern würde, doch wie so oft fiel es Watson schwer die Ansichten des Consulting Detectives zu durchschauen. Insbesondere wenn es um ihn persönlich, um seine weniger logischen Gedanken und Gefühle ging. John wusste, dass Sherlock soetwas zumindest zeitweise besaß, obgleich er erstaunlich gut darin war, diese, gegenüber seiner allgegenwertigen Logik, hinten an zu stellen. 

,,Wenn ich mich blamieren wollte, würde ich wohl kaum hier stehen." brummte der Doktor schließlich. Es kam ihm vor, als sei beinahe eine Ewigkeit vergangen, seit er Sherlock auf dessen ungeduldige Frage geantwortet hatte. Er befand sich noch immer in der typischen Tanzhaltung eines Walzers, unsicher, ob nun Sherlock oder er den führenden Part übernahm, da dieser fast einen ganzen Kopf größer war. Um sie herum herrschte die typische Unordnung, die John durch die Jahre, die er in dieser Wohnung verbracht hatte, nur allzu vertraut vorkam und sie manchmal sogar ein wenig vermisste. Augen in der Mikrowelle, ein Schädel auf dem Kamin, herumfliegende Notenblätter und eine an der Wand heftende Papiersammlung, die alle Informationen über Sherlocks neusten Fall vereinte. Hinzu kamen die noch immer auf dem Boden ausgebreiteten Servierten, in Form von Schwänen und Opernhäusern gefaltet, die der Privatdetektiv lediglich zur Seite geschoben hatte, um Platz für Johns Tanzstunde zu schaffen.

,,Womöglich solltest du deine Konzentration einfach auf deine Schritte lenken, anstatt mir ständig auf den Füßen herum zu treten." Sherlocks Gesicht war wie immer blass, seine Wangenknochen scharfkantig und trotzdem umspielte ein Lächeln seine Lippen, während er versuchte, John mit dem gewohnten Sarkasmus in der tiefen Stimme, zu dem zu bringen, was er insgeheim erreichen wollte. In diesem Fall schien es die Tatsache zu sein, dass John endlich versuchen sollte, anständig zu tanzen. 

,,Womöglich." erwiderte Watson. ,,Allerdings glaube ich nicht, dass es sonderlich gut funktionieren wird, wenn du mich die ganze Zeit herumkommandierst."

,,Herumkommandieren?" Sherlock zog fragend die Augenbrauen hoch, was seinem Lächeln jedoch keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil. Es schien ihn sogar regelrecht zu amüsieren, dass John sich einmal mehr über sein Verhalten aufregte. Von seiner vorherigen Ungeduld war inzwischen kaum noch etwas zu spüren, was selbst John ein wenig verwunderte. Schließlich hatte er während ihrer kurzen Diskussion über Johns nahezu unterirdischen Tanzstil, weder einen neuen Fall  angenommen, noch irgendetwas anderes entdeckt, das für jemanden wie Sherlock von Interesse war. Oder etwa doch?

,,Ja, herumkommandieren." antwortete der ehemalige Militärarzt und schluckte gleichzeitig die Frage, die aus seinen letzten Gedanken entstanden war, hinunter. ,,Wir wissen beide, dass du stets den Drang hast diejenigen um dich herum, die etwa snur halb so gut beherrschen wie du, auf deine Art und Weise daraufhinzuweisen, wobei soetwas wie Höflichkeit dabei meistens auf der Strecke bleibt."

,,Du meinst offenkundig alle Menschen, die sich in meinem Umfeld bewegen." korrigierte der Detektiv. Sein Lächeln verzog sich für einen Augenblick zu einer spöttischen Grimasse, was John dazu brachte, genervt die Augen zu verdrehen. Die altbekannte Arroganz war zurückgekehrt.

,,Bevor du allerdings einmal mehr mit übertriebener Theatralik die Augen verdrehst, solltest du vielleicht beachten, dass du ursprünglich derjenige warst, der mich um Hilfe gebeten hat und diese Tatsache das Herumkommandieren nahezu automatisch mit beinhaltete." erwiderte Sherlock und blickte zu dem Doktor herunter. John musste zugeben, dass dieser in gewisser Weise Recht hatte. Sherlock hatte in solchen Dingen weder ausreichend Geduld, noch legte er eine ausreichende Form von Höflichkeit an den Tag, was eigentlich eine der Vorraussetzungen gewesen wäre, um jemandem wie John das Tanzen bei zu bringen. Und dennoch hatte er den Consulting Detective um Hilfe gebeten, obgleich er die Wahrscheinlichkeit, dass dieses für irgendjemanden von ihnen gut ausgehen würde, ziemlich gering schätzte.

,,Ich habe dich bloß gefragt, weil du es nicht lassen konntest mir ausführlich zu erklären, wie schlecht ich im Gegensatz zu dir doch tanzen könnte." stieß John schließlich zu Verteidigungszwecken hervor. Sie wussten beide, dass der ehemalige Militärarzt nicht Unrecht hatte, also weshalb hatte John Sherlock dazu gebracht ihm das Tanzen beizubringen?

Weil er es für die Hochzeit brauchte? Ja, mehr oder weniger. Um Mary nicht zu enttäuschen? Schon eher. Um endlich wieder Zeit mit Sherlock zu verbringen?

Sein letzter Gedanke ließ den Doktor kaum merklich zusammenzucken. Er wusste, dass das womöglich einer der Hauptgründe gewesen war, weshalb er sich jetzt in Tanzhaltung inmitten des Wohnzimmers der 221B Bakerstreet wieder fand. Er wollte Zeit mit Sherlock verbringen, so wie noch vor zwei Jahren. Er hatte genug von den Hochzeitsvorbereitungen, wollte irgendeinen Fall lösen, denen Sherlock in letzter Zeit jedoch kaum noch nachging. Daher hatte er die Hochzeitsvorbereitungen mit einem Besuch in der Bakerstreet verbunden und nun...

John zögerte den Gedanken zuende zu denken. Nun stand ihm Sherlock Holmes mehr oder weniger in Tanzehaltung gegenüber und sah mit einem Grinsen auf dem blassen Gesicht zu ihm herab. Hastig schluckte John den plötzlichen Drang, den Detektiv noch ein wenig mehr an sich zu ziehen oder ihm durch die dunklen Locken zu fahren, hinunter. Selbst Sherlock hätte gemerkt, dass das nicht unbedingt eine passende Haltung zum Walzer tanzen war und die Tatsache, dass die Situation in der er sich in diesem Moment befand, ausgerechnet durch seine Hochzeitspläne mit Mary entstanden waren, ließ John abermals erschaudern.

,,Und, hatte ich Recht, John?" Jawn. Fragte der Detektiv nach einer Weile gerade heraus, als ob Johns Gedanken nie existiert hätten.

Die Frage war: Womit hatte Sherlock Recht gehabt? Dass er, John Watson, nicht tanzen konnte? - Auf jeden Fall. Dass Sherlock ein viel besserer Tänzer war? - Durchaus. Dass er den Privatdetektiv nicht nur deshalb oder aus dem Grund als Freunde Zeit zu verbringen, um Hilfe gebeten hatte? - Wahr.

Johnlock OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt