8 Monate, 2 Wochen und 3 Tage zuvor

35 3 0
                                    


Samstag, 19:32 Uhr,

Wie sehr ich diese gemeinsamen Familienabende doch satt hatte! Ich hätte gemütlich ein gutes Buch lesen, Schulvorbereitungen machen, oder noch besser: auf der Terrasse liegen und die Wolken beobachten können, aber nein, ich saß am Esstisch mit Dad, Mum, meiner vierzehnjährigen Schwester Lola und meinem zwanzigjährigen Bruder Piet, der anscheinend nie ausziehen wollte. Nicht, dass Piet nicht schon mehrfach den Versuch startete sich ein eigenes Leben aufzubauen, aber irgendwie brachte er es nie aus der Haustür. Mum schien das nicht zu stören, doch Dad zeigte ihm gelegentlich Wohnungsanzeigen. Ich mochte Piet eigentlich immer, wenn er nicht gerade das Badezimmer blockierte, seine Neue das Badezimmer blockierte, er mir das letzte Müsli weg aß, seine Neue mir das letzte Müsli weg aß, er meine teure Haarkur benutze, seine Neue meine teure Haarkur benutzte oder er seine Bandprobe hatte. Denn der Krach, den diese

>Band< verbreitete war nicht als Musik zu bezeichnen. Und wenn ich Wäschedienst hatte und mein liebster Bruder vergessen hatte seine Wäsche in die Maschine zu werfen, hasste ich ihn regelrecht. Dann musste ich Sie nämlich einsammeln, sortieren (Was wirklich ekelhaft sein konnte) und gründlich waschen. Doch momentan saß er nur auf seinen Platz und spielte mit seinem Iphone. Auch dafür hasste ich ihn. Ich konnte mir kein neues Handy leisten, er sich schon. Meine Hände verstaute ich in den Taschen meines neuen, grauen Pulli's. Wie praktisch diese doch waren. Mum lächelte mich mit ihrem >Versuch-Doch-Wenigstens-So-Zu-Tun-Als-Wärst-Du-Glücklich-Lächeln< an und meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Jetzt hatte ich Etwas gut bei ihr. "Ehm, Mum?", begonn ich zögernd. "Willst du noch Spaghetti?! Gib deinen Teller schon her, Liebes!" Ich hielt ihn fest. "Nein... einen Bissen mehr und ich platze. Kann ich dich was fragen?" Ich wusste ganz genau, dass solche Unterhaltungen nicht gerade zu den Stärken meiner Mutter zählten, aber sie gab sich schon immer Mühe, dass es nicht auffällt. "Na gut. Was liegt dir auf dem Herzen?" Ich wusste nicht wie ich anfangen sollte. Es fiel mir nicht gerade leicht über meine Gefühlen zu sprechen. "Ehm.. Du hast doch Grayson eingeladen zur Geburtstagsparty.... wäre es schlimm, wenn er nicht kommen kann?" Mum's Augen weiteten sich dramatisch. "Schlimm? Selbstverständlich! Dein Bruder wird immerhin 21 Jahre alt. Das ist ein besonderer Geburtstag und Grayson ist Piet's bester Freund, nicht wahr?!" Piet nickte geistesabwesend. Schien es ihm gar nicht erbärmlich, dass er mit 18jährigen ab hing?! "Und er ist dein fester Freund, da sollte er jawohl kommen, vor allem, da wir ihn schon seit knapp 2 Monaten mit eingeplant haben!" Mum schien wirklich panisch zu werden. "Falsch!", sagte ich leise. Mum starrte mich entsetzt und fragend an. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich nur zu gut! "Naja... ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Ich weiß, dass du Grayson echt ins Herz geschlossen hast und das diese Nachricht bestimmt noch schlimmer für dich als für mich ist. Grayson und ich sind kein Paar mehr, seit Vorgestern. Tut mir Leid, Mum." Ich kam mir wirklich erbärmlich vor. Ich musste versuchen, meiner Mutter, schonend bei zu bringen, dass sich mein fester Freund von mir getrennt hat? Echt behindert! Mum sah ziemlich getroffen aus. Ich glaube, sie musste sich die Tränen verkneifen. "Oh, Liebes!" Sie stand auf, kam zu mir und nahm mich behutsam in den Arm. Auch mir ging es nicht mehr ganz so blendend, aber ich hatte mir vor etwa zwei Jahren bei meinem ersten Liebeskummer vorgenommen, dass ich nie wieder wegen einem Typen weinen würde. Das hatten sie wirklich nicht verdient! Zuerst stehlen sie dir dein Herz und dann auch noch dein letztes bisschen Würde und Selbstbewusstsein?!

No way! Nicht mit mir!

Piet hatte sein Iphone in die Tasche seiner Jeans geschoben und sah mich mitleidig an. Nicht auch noch das! "Es geht mir gut! Wirklich!", beteuerte ich, aber weder Mum, noch Piet hörten auf. Dad griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand. "Was hat dir dieser Mistkerl angetan?" Typisch Dad! Viel zu... väterlich. Grayson hatte allerdings keinen wirklichen Fehler begangen. Er hatte mich nicht betrogen und auch sonst nichts verwärfliches getan. Er sprach einfach nur aus, was wir wohl beide dachten. "Oh man... Hör zu. Ich weiß, dass es dir ähnlich geht, ansonsten würde ich sowas nicht machen. Es ist einfach nicht mehr das Gleiche wie vor 5 Monaten, verstehst du?! Tut mir echt leid."

Und natürlich wusste ich, dass es stimmte, aber allein die Tatsache, dass er dachte, er würde wissen, wie ich mich fühlte und welche Art von Gefühlen ich noch für ihn hatte, ließ mich verdammt wütend auf ihn werden. Diese Wut hielt nur etwa drei Stunden an, aber diese genügten um ihn auf sämtlichen Internet-Plattformen zu blockieren und um zusammen mit Anna, meiner besten Freundin, einen unschönen Mordplan für ihn zu entwerfen. "Naja. Er meinte nur, dass er mich nicht mehr lieben würde.", gab ich als Antwort. Mum tätschelte meine dunklen Haare. "Aber sie ist doch so liebenswert, stimmt's Berny?" Dad nickte aufmunternd. Ich löste mich aus Mums Klammergriff. Nur Lola hatte mich weiterhin gekonnt ignoriert, da wir seit etwa einer Stunde >Streit< hatten. "Ich weiß, Mum. Ich bin das liebenswerteste Geschöpf der Welt.", lächelte ich sie an. "Aber auch liebenswerte Personen brauchen Luft zum atmen." Sie küsste vorsichtig meine Stirn. "Mein mutiger Engel! Auf diesen Grayson können wir gut und gern verzichten!" Diese Worte aus dem Mund meiner eigentlich Grayson-Gilbert-Verehrenden-Mutter zu hören war wirklich aufmunternd. "Danke." Ich konnte das Lächeln nicht aufhalten.

20.07 Uhr

Nach dem Essen hatte Piet mir noch beim Abwasch helfen müssen. Besser gesagt hatte er darauf bestanden mir zu helfen. Auch, wenn wir uns andauernd zankten, hielten wir in solchen Situationen doch immer zusammen. Vor etwa drei Monaten hatte sich Piet's letzte Neue von ihm getrennt. Auch wenn er mindestens vier verschiedene Freundinnen pro Jahr hatte, bekam er immer riesigen Liebeskummer. Ich war dann an seiner Seite und hatte ihn getröstet.

Und ich muss schon sagen, ohne dabei eingebildet klingen zu wollen, dass ich das Trösten echt drauf hatte. Und nun dachte mein lieber Bruder wahscheinlich, dass er mich zur Abwechslung mal trösten könnte. Fehlanzeige. Er reichte mir den Teller zum trocknen. "Hey, Silv' Das mit Gray' und dir, war es euch sehr Ernst?" Schon klar, dass er dachte, ich würde wissen wie es >Gray< damit ging, aber leider verfügte ich nicht über dessen unglaubliche Fähigkeit, Gefühle lesen zu können. Aber da er ein Kerl wahr, hatte Piet bestimmt auch solche Gaben. Warum konnte er dann nicht einfach seine Fähigkeit aktivieren und mir diese Fragerei ersparen?! "Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Glaube schon." Mir schon, ihm wahrscheinlich eher nicht. "Und wie geht es dir da jetzt?" Am liebsten würde ich schreien und ihn verbrügeln. oder besser, Annas und meinen Plan verwirklichen. "Gut." Piet nickte und kam auf mich zu. Seine Arme schlossen sich um meinen Oberkörper und ich konnte die Träne(n) nicht länger verstecken. Eine einzige  rollte meine eiskalte Wange hinab. Ich wischte diese eilig mit dem Handrücken weg und dankte meimem Bruder stumm dafür, dass er für mich da war.

Ich setzte mich auf mein Bett und versuchte den Schmerz auszublenden. Es funktionierte nicht. Zum Glück hatte diese eine Träne keine Nachfolger, ansonsten hätte Grayson gewonnen. Für Nichts auf dieser Welt hätte ich ihn gewinnen lassen. Mein Handy vibrierte. SMS von Anna.

Hey little princess :D,

Alles okay? Was hältst du von einem gemeinsamen Kinoabend mit mir? Ich war bis eben mit Mum schoppen und wir kamen >zufällig< XD beim Kino vorbei und haben Karten für uns beide geholt. Ich bin in 20 Minuten bei dir. Mein Dad fährt uns. Nichts zu danken <3

Deine *Beste Freundin* xoxo

Ich dankte ihr wirklich sehr für diese Ablenkung. Ich kannte Anna jetzt schon seit 15 Jahren. Fast mein komplettes Leben lang, und ich liebte sie wie eine Schwester. Sie wusste ALLES über mich und ich wusste ALLES über sie. Wir waren unzertrennlich. Mum und Dad waren einverstanden, meinten aber, dass ich direkt nach dem Film wieder Heim kommen sollte. Als es bei uns klingelte war ich sehr froh.

Ich begrüßte Anna mit einem "Spontane Ideen sind doch die besten!" und umarmte sie. "Definitiv! Komm Siver, wir haben keine Zeit. Immerhin steht alles Kopf!" Sie lachte. Zum Glück eine Komödie. Ich hatte das übliche Liebesgelatsche echt satt! Ich häkelte meinen Arm bei Anna ein. "Super."

Ich genoss diesen Abend mit meiner besten Freundin. Einfach abschalten und einen lustigen Film schauen, Popcorn essen und neusten Klatsch und Tratsch austauschen. Anna war ein echter Schatz. Am Ende des Tages war ich dann total fertig gewesen und echt froh, als ich im Bett lag, beziehungsweise auf meiner Fensterbank, da ich während dem Lesen einschlief.



Desire- GänsehautmomenteWhere stories live. Discover now