Wer kämpft,
kann verlieren.
Wer nicht kämpft,
hat schon verloren!
- Berthold Brecht
Stille umfing mich. Ohrenbetäubende Stille, war das Erste was sich bemerkbar machte, als ich langsam wieder zu mir kam. Allmählich setzten auch meine anderen Sinne wieder ein, der Duft von nassem Gras und frischen Blättern drang in meine Nase. Tief atmete ich ein und spürte, wie dieser wohltuende Geruch meine Lunge flutete. Gemächlich öffnete ich meine Augen, es dauerte einige Momente bis sich mein Blick soweit fokussiert hatte, dass ich das dichte Blätterdach über mir erkennen konnte. Nun spürte ich auch den weichen Laubboden, auf dem ich lag, meine Hände strichen darauf umher.
Plötzlich knackte etwas, nicht allzu weit entfernt von mir, ich schreckte hoch. Dies erwies sich jedoch sofort als riesiger Fehler. Mein Kopf begann augenblicklich zu dröhnen und heißer Schmerz wütete hinter meiner Stirn. Mit einem lauten Stöhnen sank ich wieder zurück und schloss die Augen, um durch die Dunkelheit hinter meinen Lidern, Erlösung von den Schmerzen zu finden. Doch die Sonne beschien erbarmungslos mein Gesicht. Vollkommen erledigt wollte ich mir meinen linken Flügel über die Augen legen, um das Licht auszublenden, doch auf meinem Rücken rührte sich nichts. Kein weißer Flügel brach aus meinem Schulterblatt hervor.
Mit aller Anstrengung versuchte ich es weiter, doch nichts tat sich, von einem Zucken der Schulter einmal abgesehen. Gerade spannte ich diese so stark an, wie es nur geht, als ein scharfer Schmerz hindurch zuckte, der mich keuchen ließ.
Vergessen war der Schmerz und das Dröhnen in meinem Kopf, vergessen war jeder Gedanke über die Situation in der ich mich befand. Das Einzige, das ich noch wahrnahm war, der Gedanke daran, dass meine Flügel verschwunden waren. Meine Flügel! Einfach so, weg! Ein Engel ohne Flügel! Weg! Weg! Verschwunden! Nicht mehr da! Weg! Laut schrie ich meine ganze Verzweiflung, meine Wut, dem Himmel entgegen. Schrie und schrie, bis ich keine Luft mehr in meinen Lungen hatte. Schauer um Schauer liefen durch meinen Körper, ich fror und zitterte. Zusammengekrümmt lag ich am Boden, Arme und Beine so dicht wie möglich am Körper, um mich selbst zu beruhigen. Doch irgendetwas in mir schrie immer weiter, wollte sich auf keinen Fall beruhigen. Es war etwas, dass tief in meiner Erinnerung saß und sich beißend und kratzend an die Oberfläche kämpfte. Immer mehr davon trat bruchstückhaft in meine Gedanken ein. Bilder und Gedankenfetzen wirbelten nur so durcheinander, scheinbar unzusammenhängend und willkürlich. Nichts folgte einer Ordnung. Der Strom an Bildern hörte nicht auf, immer schneller wechselten sie vor meinem inneren Auge ohne, dass ich überhaupt etwas auf ihnen erkannt hätte.
Mit einem Schlag, war alles genauso plötzlich wieder vorbei, wie es angefangen hatte. Zurück blieben die bruchstückhaften Bilder, aus denen sich nach und nach Erinnerungen bildeten... .
Babygeschrei. Kinderjammern. Tag ein, Tag aus. Jeden Tag der selbe Ablauf. Kinder mussten beschäftigt und versorgt werden. Nicht selten kam es bei ihnen zu unvorhergesehenen Wutausbrüchen oder Heulkrämpfen, die nur mit großer Anstrengung wieder beruhigt werden konnten. Kein Job für schwache Nerven. Doch anscheinend hatte die gesamte himmlische Bevölkerung keinerlei Nerven, sodass diese Tätigkeit am wohl verschlossensten und finstersten Erzengel hängen blieb. An mich, Luzifer.
Zu Beginn liebte ich meine Arbeit. Das Zusammensein mit den kleinen Kinderseelen bereitete mir Freude. Doch es wurden mehr und mehr. Für sie war der „Limbus" die Endstation. Es gab nicht wie im Himmel oder der Hölle, verschiedene Orte, zwischen denen man wandern konnte. Nein, nur diesen einen Platz gab es für sie, und es wurden von Tag zu Tag mehr.
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Limbus Infantium
ParanormalEin gefallener Engel. Seine Aufgabe. Ein neues Leben. Und eine Liebe, die siegen muss... ----------------------------------------------------- Zu dieser Geschichte gibt es eine Übersetzung ins Englische. Wer also Interesse hat, kann gerne einmal bei...