Der 1. Mord

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Damon 

Suchend sah ich mich auf dem trostlosen Marktplatz um. Die Stände waren leer geräumt und meine Mutter war nirgends zu sehen. Normalerweise verkaufte sie um die Zeit immer die Fische, die mein Vater im Morgengrauen fing. Doch heute ließ sich niemand blicken. Plötzlich fiel mein Blick auf zwei Mädchen, die heftig diskutierten. Die eine war klein und unauffällig, es war Esmee, die Tochter des Bürgermeisters, die mit ihrer Freundin Layla sprach. Als sie mich bemerkten, verstummten die beiden, Layla verabschiedete sich schnell und verschwand in Richtung Wald. Etwas hilflos und alleine stand die Bürgermeistertochter mir gegenüber. Ihre dunkelblauen, ruhigen Augen musterten mein Gesicht und ihre blonden Haare wehten leicht in der Spätsommerbrise. 

"Habt ihr euch gestritten?", fragte ich vorsichtig und merkte wie sich ihr Körper anspannte. "Wird schon wieder.", sagte sie mit wenig Optimismus in der Stimme. Erneut herrschte tiefe Stille und wir sahen uns einfach nur an. "Damon?", fragte sie schließlich und brach damit das Schweigen. Ich nickte kurz und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht.  "Deine Mutter ist heute garnicht da." , stellte sie fest und ich sagte: "Heute ist anscheinend jeder daheim geblieben. Soll ich dich nach Hause begleiten?" "Ja, gerne." 

Der Weg zu ihrem Haus war nicht lang. Schweigend gingen wir Seite an Seite nebeneinander her. "Gestern Nacht...", stammelte sie nervös. Ich blieb stehen und sah sie ernst an. Ich wusste genau was sie meinte. "Ich hab ihn gesehen, Esmee. Jeder hat das und wir wissen alle, was es zu bedeuten hat." In ihren Augen glitzernden Tränen. "Ich hab Angst vor der Zukunft.", brach es aus ihr heraus und sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Danach wandte sie sich ab und eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht. "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beunruhigen.", murmelte ich und wir setzten unseren Weg fort. 

Vor dem kleinen Rathaus  blieben wir stehen und Esmee verabschiedete sich schüchtern. "Dann bis Morgen." , sagte sie, drehte sich um und ging in ihr Haus. Während ich mich auf den Heimweg machte, ging ich in Gedanken unser Gespräch nochmals durch.  

Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter dem Horizont und der Himmel färbte sich dunkel.  In den Häusern gingen die Lichter aus und es legte sich eine ungewohnte Stille über das Dorf. Ich wälzte mich unruhig in meinem Bett umher und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Lange lag ich wach da, bis das rote Licht des Blutmondes mein Zimmer erleuchtete. Die fremden Geräusche der Nacht ließen mich aufhorchen. Die Schreie einer Krähe schallten durch Loména und ein Hund bellte sich die Seele aus dem Leib. Jetzt konnte ich endgültig nicht mehr einschlafen. Seit ich ein kleiner Junge war, hatte ich tierische Angst vor Hunden. Vor einigen Jahren hatte mich ein tollwütiger Hund im Wald angegriffen. Diesen Tag würde ich nie vergessen können.  Ich glaubte einen schmerzvollen Schrei zu hören, aber vielleicht  war es nur Einbildung. Noch bevor ich länger darüber nachdenken konnte, fielen mir die Augen zu.

Esmee

Eine laute Stimme riss mich aus dem Schlaf. Erschrocken setzte ich mich auf. Die Sonne ging gerade auf. Schnell schwang ich die Beine aus dem Bett und tapste dann in Nachthemd zur Tür. Leise schlich ich nach unten. Ich erkannte meinen Vater, der versuchte die Bäckerin unseres Dorfes zu beruhigen. Zögerlich blieb ich auf der Treppe stehen. "Sie müssen sofort mitkommen! Er ist tot.", Die Stimme der Bäckerin Aileen klang schrill und ihre Wangen waren Tränen überströmt. "Nun beruhige dich doch!", mein Vater hob beschwichtigend die Hände, "Ich komme sofort!" Als sein Blick auf mich fiel, raufte er sich die Haare und sah mich ernst an. "Vater? Was ist denn nur los?", fragte ich zögerlich. "Esmee, hör mir jetzt zu. Du bleibst hier und wartest bis ich wiederkomme, verstanden? Du musst heute nicht zur Schule, wenn du nicht willst. Bitte entschuldige mich.", damit stürmte er nach draußen. Verwirrt sah ich ihm nach. Ich musste wissen was los war, also konnte ich 'warten' von meiner Liste streichen. Ich zog mir meinen Mantel über und streifte die Holzlatschen auf meine Füße. Entschlossen verließ auch ich unser Haus und rannte über den Marktplatz. Meine nackten Beine froren in der kalten Herbstluft.

Als die Bäckerei in Sicht kam, verlangsamte ich das Tempo. Auf der Tür war ein großer Blutfleck. Ich entdeckte große Kratzspuren. Zögernd sah ich mich um, dann nahm ich meinen Mut zusammen und trat ein. "Vater? Bist du...", ich blieb abrupt stehen, als ich auf ein paar Glasscherben trat. "Was ist hier bloß passiert?", hauchte ich. Ich ging langsam weiter, an der Backstube vorbei, bis zu der alten Holztreppe, die zum oberen Stock führte. "Vater?!", rief ich erneut und wieder bekam ich keine Antwort. Ich ging weiter und hielt die Luft an, da das ganze Haus nach Blut roch. "Was zum?", überlegte ich, als plötzlich ein Kopf am oberen Ende der Treppe auftauchte. "Esmee, du solltest doch warten!" Mein Vater musterte mich wütend. "Tut mir leid.", erklärte ich und stieg weiter nach oben. "Was ist denn nur los?", fragte ich und drängte mich an meinem Vater vorbei in das Wohnzimmer. Dort stieg mir ein starker Geruch in die Nase. Es roch nach Verwesung, langsam spähte ich um die Ecke. Ein erstickter Schrei entfuhr mir und ich musste mich zusammenreisen, mich nicht zu übergeben. Der Bäcker Andreas lag in einem seltsam verdrehten Winkel am Boden, sein Oberkörper war völlig zerfetzt und blutverschmiert. Die Haut war weiß und seine Augen blickten in die Leere. Ich zitterte stark, Ingrids Legende hallte in meinem Kopf wider. War es möglich, dass es tatsächlich angefangen hatte? Obwohl ich keine Sekunde an der Legende der alten Frau gezweifelt hatte, wollte ich es jetzt nicht wahrhaben. Von alleine taumelte ich ein paar Schritte nach hinten sodass mein Rücken gegen das Treppengeländer gestützt war. Mir war speiübel.




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