Die Versammlung

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Damon

Laute Stimmen weckten mich. Langsam öffnete ich die Augen und richtete mich auf. Grelles Licht strömte durch das Fenster und warf Lichtflecken auf mein Bett. Ich stand auf und ging zur Tür. „Wenn ich es euch doch sage-", die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich konnte sie im Moment nicht zuordnen. Verwirrt verließ ich das Zimmer und schritt bis zu unserer kleinen Veranda. Das Haus meiner Familie lag direkt am Meer. Der Wellengang war stark und weiße schaumige Gischt spritzte an das Ufer. Die Sonne blendete mich, sodass ich für kurze Zeit die Augen schließen musste. Als ich sie wieder öffnete, erkannte ich Miranda. Miranda Blackfield war eine magere Frau, die ihre langen schwarzen Haare stets hoch gesteckt trug. Sie war eine gute Freundin meiner Mutter und verkaufte auf dem Markt Getreide und Gemüse. Miranda war stets höflich und diszipliniert doch heute schien sie ein ganz anderer Mensch zu sein. Aufgebracht fuchtelte sie mit den Armen in der Luft herum und ihre Augen jagten unruhig hin und her. „Es ist grauenhaft. Das ganze Dorf ist in Aufruhr!", als sie mich bemerkte, verstummte sie urplötzlich. Meine Eltern drehten sich synchron um. Mein Vater sagte sehr ernst: „Damon, geh bitte rein.", doch Eva- meine Mutter schüttelte den Kopf: „Lass ihn. Er hat auch ein Recht es zu erfahren. In Kürze weiß es sowieso das ganze Dorf." „Was ist passiert?", meine Stimme zitterte leicht und irgendwie hatte ich die Antwort schon erwartet. „Es wurde eine Leiche gefunden!", erklärte mein Vater besorgt, „Miranda hat erzählt, dass die Menschen panische Angst haben." „Es stimmt was Ingrid gesagt hat. Die Götter lassen dieses Dorf erneut ihre Wut spüren!", fügte Eva hinzu. „Aber womit haben wir die Götter verärgert?!", irrtiert sah ich von einem zum anderen. Ich wusste, dass es wenig Sinn machte, die Schuld auf die Götter zu schieben. Hatte Esmee sich zu Recht Sorgen gemacht? „Das ist doch vollkommen egal!", Miranda riss mich aus meinen Gedanken, „Wir sind dem Untergang geweiht. Unter Schicksal ist besiegelt!" „Jetzt beruhige dich doch bitte!", Eva wirkte gestresst. „Wer?", hauchte ich plötzlich. Die drei sahen mich verwundert an. „Wer wurde getötet?" „ Andreas!", mein Vater senkte den Kopf.

Dieses Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Andreas war der beste Freund meines Vaters gewesen. Ich selbst hatte nicht viel mit ihm zu tun gehabt. Er war aber ein sehr netter und aufgeschlossener Mann gewesen. Er hatte seinen Beruf als Bäcker immer geliebt und war besonders freundlich zu den Kindern gewesen.

„Ich habe gehört der Bürgermeister will heute Mittag eine Ansprache auf dem Marktplatz halten!", seufzte Miranda. „Wirklich?", meine Mutter sah überrascht auf, „Hoffentlich wird er schnell eine Lösung finden!"                                                                                                                        „Ich geh ins Dorf!", entschlossen sah ich auf, „Ich muss wissen, was passiert ist!" „Damon warte-", meine Mutter wollte etwas erwidern, doch ich war schon im Haus verschwunden. Ich zog mir eine Lederhose an und griff nach meinem Hemd. Nach wenigen Minuten war ich fertig und verließ das Haus. Meine Eltern versuchten nach wie vor Miranda zu beruhigen, obwohl sie nervlich genauso am Ende waren.

Es war ein warmer Tag und nur wenige Wolken waren am Himmel zu sehen. Ich schritt im zügigen Tempo am Ufer entlang und sah stur geradeaus. Es hatte also tatsächlich begonnen? Die düsteren Legenden entsprachen der Wirklichkeit? Ehrlich gesagt, wusste ich nicht genau, was ich glauben sollte. Der Kies knirschte unter meinen Füßen und ich schlug einen kleinen Pfad nach Westen ein, der mich direkt zum Marktplatz führen würde. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich plötzlich direkt in jemanden rein lief. Überrascht sah ich in ein paar matte graue Augen. Leyla sah mir entgegen.

Ihre Haare waren zu einem langen Zopf geflochten und sie trug ein schlichtes Kleid. „Tut mir Leid!", entschuldigte sie sich leise. Ich nickte nur kurz und ging weiter. Nach einigen Schritten sah ich noch mal zurück. Wie versteinert stand sie da und ihr Blick war fast schon traurig. Ich wusste nicht besonders viel über Leyla. Nur dass sie ganz alleine in einer Hütte im Wald lebte, da ihre Eltern als sie klein war an einer schweren Krankheit starben. Sie war stets sehr still und zurück gezogen. Als kleiner Junge hatte ich mich immer vor ihr gefürchtet weil die älteren Kinder meinten das ihre Zunge verstümmelt ist und alle Zähne aus dem Mund rausgerissen wurden und sie deshalb nicht redet. Es kam mir so vor, als würde sie immer traurig und müde sein. Ihre bleiche Haut und die dunklen Schatten unter ihren Augen verliehen ihr ein gruseliges Aussehen. Wenn ich ehrlich war, war sie mir bis heute nicht ganz geheuer.

Nachdenklich ging ich weiter. Schließlich erreichte ich die ersten Häuser und fand mich bald auf dem Marktplatz wieder. Im Gegensatz zum gestrigen Tag, an dem die Stadt wie ausgestorben wirkte, schienen fast alle Einwohner von Loména versammelt. Ängstlich standen sie beieinander und tuschelten aufgeregt. Ich konnte die Dorfälteste Ingrid vor ihrer Apotheke erkennen. In ihren Händen ein Amulett. Es sah so aus, als würde sie beten. Mein Blick glitt weiter über die Menge und blieb bei der Tochter des Bürgermeisters hängen. Sie trug wie viele anderen ein knöchellanges Nachthemd. Ich konnte erkennen, wie sie stark zitterte und ihre Augen starr auf das Haus des Bäckers gerichtet waren. Vermutlich stand sie unter Schock. Für einen Moment überlegte ich, zu ihr zu gehen, doch dann verwarf ich diese Idee. Sie sah nicht so aus, als wäre sie in der Verfassung zu reden.

Ein verzweifeltes Weinen erregte meine Aufmerksamkeit. Aileen- die Frau des Bäckers- stand aufgelöst zwischen den anderen. Ihre Wangen waren Tränen überströmt und sie brach schließlich in sich zusammen. Weinend saß sie auf dem Boden und wurde von mehreren Leuten vergeblich zu trösten versucht.

Ich wandte mich ab. Was auch immer mit Andreas passiert war, hatte das gesamte Dorf in Panik versetzt. „Armer Andreas. Er war so nett!", eine vertraute Stimme erklang hinter mir. Ich wirbelte herum und erkannte Logan hinter mir. Er war etliche Jahre älter als ich und auch sehr viel größer. Obwohl wir ziemlich verschieden waren, waren wir seit wir klein waren befreundet. Logan arbeitete in der Gaststätte als Bedienung und verdiente sich so sein Geld. Er war bei allen sehr beliebt und viele Mädchen hingen ihm förmlich an seinem Rockzipfel.

„Ja. Das stimmt. Warum musste es ausgerechnet ihn erwischen!", stimmte ich zu und wir beide beobachteten die Szene weiter. „Hast du eine Vermutung, was ihn getötet haben könnte?", fragte er mich betrübt. „Ich bin mir nicht sicher. Ein Raubtier wahrscheinlich.", murmelte ich. „Das es ein einfaches Raubtier war ist Schwachsinn. Die meisten wollen es gerne glauben, aber verschließen ihre Augen vor der Wahrheit!", erwiderte er ohne mit der Wimper zu zucken. Ich sah ihn von der Seite an: „Du glaubst es war etwas anderes?" Er nickte stumm. „Meinst du... die Legende ist wahr geworden? Viele halten Ingrid für eine Spinnerin!"                                                     „Ich finde, Ingrid ist eine weise Frau. Wer etwas anderes glaubt, ist ein Schwachkopf!" Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Logan sagte stets was er dachte und darum beneidete ich ihn. Er war viel aufgeschlossener als ich und auch in schwierigen Zeiten konnte er Menschen überzeugen, Hoffnung zu haben.

„Sieh mal! Sie tragen die Leiche heraus!", er deutete auf Aiden und Alan, die auf einer Holzliege den leblosen Körper des Bäckers trugen.

Hinter ihnen folgte der Bürgermeister. Sein wachsamer Blick jagte durch die Menge und blieb bei seiner Tochter hängen. Dann atmete er kurz durch und trat auf ein paar Holzlatten die eine Bühne darstellen sollten. „Liebe Dorfbewohner! Wie jeder von euch mitbekommen hat, wurde einer von uns auf grausamste Weise ermordet. Unser Freund Andreas wurde heute morgen tot aufgefunden. Ich habe mich mit meinen engsten Vertrauten beraten und wir haben entschlossen, euch nicht vorzuenthalten, was passiert ist. Andreas war ein gesunder junger Mann und er ist nicht eines natürlichen Todes gestorben. Seine Leiche ist völlig zerfleisch. Ich muss zugeben, dass ich so etwas noch nie gesehen habe. Bis jetzt gehen wir davon aus, dass er von einem Tier angegriffen wurde. Lasst also äußerste Vorsicht walten, betet um das wohl aller und haltet euch vom Wald fern. Aber verfallt bitte nicht in Panik! Vermutlich handelt es sich um einen Berglöwen oder ähnliches!"

Eine laute Stimme schnitt ihm das Wort ab: „Kompletter Schwachsinn! Andreas wurde auf gar keinen Fall von einem einfachen Berglöwen getötet! Es war eine Bestie. Und ich kann es beweisen!" Ich drehte mich um um sehen zu können, wer da gerufen hat.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 02, 2016 ⏰

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