Kapitel 3

74 14 6
                                    



Ein paar Seiten weiter klebte ein Stück rosa Band, von dem ich nur zu genau wusste, woher ich es kannte, auch wenn ich die Worte dazu noch nicht gelesen hatte. 

Es war eine Phase meiner Mutter gewesen, als ich gerade vierzehn war, vielleicht war es auch ein Anflug von Wahnsinn, wer wusste das schon so genau. In der Stadt hatte gerade ein Ballettstudio eröffnet und da kam ihr doch die glorreiche Idee, mich da rein zu stecken. Natürlich nur, weil Mädchen in meinem Alter unbedingt Bewegung brauchten und Rollschuh fahren nun wirklich nichts für Mädchen war. Viel zu gefährlich und viel zu brutal. 

Schon vor der weiß lackierten Tür wollte ich auf dem Absatz umdrehen, aber die Wand des Widerstandes - meine Mutter - stand genau hinter mir. Ich hatte also keine Wahl. In der Umkleidekabine war es eng und stickig und es roch nach einer Mischung aus alten Socken und Chanel No. 5. Sehr angenehm. Wenn man würgen wollte jedenfalls. Ein paar Streichhölzer standen im Raum, als ich gerade die Tür geöffnet hatte und mir der wohlige Schweiß Geruch entgegen wehte. Erst als ich eintrat und sie genauer betrachtete, stellte ich fest, dass das vor mir gar keine Streichhölzer waren, sondern dürre Mädchen mit viel zu großem Kopf. Während ich meine Sporttasche abstellte und sie anstarrte fragte ich mich, wie es möglich war, dass sie nicht allesamt vom Gewicht ihres Kopfes nach vorn umkippten. 

Ich band mein Haar zu einem unordentlichen Zopf, zog eine bequeme Trainingshose und ein Shirt an und verließ die Kabine in Richtung Trainingsraum, oder wie auch immer man das beim Ballett nannte. Kaum dort angekommen sah mich ein hochgewachsener Mann mit schwarzen, nach hinten gegelten Haaren und einer Hose, bei der man viel mehr sah, als man mit vierzehn sehen wollte, an. Er hatte seine Nase gerümpft und deutete mit seiner knochigen Hand zur Seite. 

„Zieh dich um." seine Stimme klang nasal und ich fragte mich ernsthaft, ob wenigstens irgendwas hier drin nicht dem Klischee entsprach. Solang, bis mir klar wurde, dass ich dieses irgendwas war. Seufzend griff ich mir die Klamotten, auf die Monsieur Nasal gezeigt hatte und verschwand abermals in der Kabine. Es war eine Katastrophe. 

Mit wippendem Tutu stampfte ich auf die Streichhölzer zu und stellte mich neben eins mit einem streng gebundenen, braunen Dutt. Ich betrachtete mich im Spiegel und hätte gleichzeitig lachen und heulen können. Ich sah sowas von dämlich aus. Das Outfit kniff an den unmöglichsten Stellen und dass wir mit Dehnübungen begannen, tat dem keinen Abriss, eher ganz im Gegenteil. Der viel zu enge Stoff des Bodys rutschte in meine Poritze, was sich anfühlte wie ein Karateschlag auf mein Steißbein. Meine Mutter wischte sich eine Freudenträne aus dem Gesicht und grinste mir mit gefalteten Händen von der Zuschauerbank aus zu. Diese Frau hatte einen Schlag, eindeutig. 

Zu gern hätte ich sehen wollen, wie ihr ein viel zu enger 'Fettweg-Anzug' die Pobacken auseinander presste. Ob sie dann immer noch so blöd gegrinst hätte? Wohl eher nicht. Monsieur Nasal beendete die Übung und wir durften uns wieder hinstellen. Das Gefühl, sich den Stoff nicht einfach aus dem Hintern ziehen zu können war ätzend. Ich hörte ein leises Kichern hinter mir und als ich meinen Kopf umdrehte, wusste ich, dass es zwei kleine Jungs im Alter von Caleb waren, die über den Anblick meiner Rückansicht augenscheinlich köstlich amüsiert waren. Ich spürte, wie der Wunsch in mir aufstieg, ihre Köpfe zu nehmen und sie gegen einander zu stoßen. 

Dass das in dem Moment nicht möglich war, war mir bewusst. Leider. Also konzentrierte ich mich wieder auf das, was Monsieur Nasal von uns verlangte. Er wollte, dass wir unsere, jetzt nun ausreichend aufgewärmten, Beine auf die Stange hievten und dabei elegant aussahen. Als wenn wir Brathänchen mit hyperflexiblen Knochen wären. Ich rollte mit den Augen, beschloss dann aber, es einfach hinter mich zu bringen. Ich holte mit meinem Bein nach hinten aus und riss es mit aller Kraft nach oben, als sich ein hartes Hindernis dazwischen schob und mit voller Wucht getroffen wurde. 

Der Kopf eines der Streichholz-Mädchen schoss nach hinten wie ein gerade aufgeschlagener Tennisball und prallte gegen einen der Spiegel. Stille. Ich riss meine Augen auf und hielt den Atem an. Das Mädchen sank zu Boden und schon brach Panik aus. Sauberes Knock-out in der ersten Runde würde ich sagen. Der Krankenwagen kam wenige Minuten später und das Mädchen musste im Krankenhaus mit vier Stichen genäht werden. Ich habe diese Zahl nie vergessen, weil mir meine Mutter immer wieder vorgehalten hat, wie schlimm mein Verhalten gewesen war. Ich erhielt Hausverbot für das Ballettstudio. Das Mädchen habe ich danach nur noch ein Mal gesehen, als sie mir auf dem Nachhauseweg von der Schule entgegengelaufen kaum und sofort die Straßenseite gewechselt hatte. 

Ballett war also nicht so brutal, richtig Mom?

RefugiumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt