Zwei kühle Augen blickten mich an. Meine weiteten sich schlagartig. Asher sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Musterte er mich etwa grade?
„Hey!", rief ich entsetzt und versuchte hektisch, das mir zur Verfügung stehende Stück Stoff ausreichend zu verteilen.
„Was hey, kannst du nicht anklopfen?" Seine Stimme klang wie immer arrogant und äußerst gelassen. Ich hasste es, wenn er so war. Ich hasste ihn sozusagen immer.
„Kannst du nicht abschließen? Ich bin nackt verdammt!" Ich muss zugeben, ich klang mit Sicherheit hysterisch. Wie eine trächtige Kuh kurz vor der Geburt. Eine zickige, trächtige Kuh. Ein Lachen. Ich sah ihn verwundert an. Was gab es daran bitteschön zulachen? Er drehte sich zur Seite und spuckte die Zahnpasta aus, die er noch im Mund hatte und stellte seine elektrische Zahnbürste zur Seite, die bis vorhin noch gesurrt hatte. Er trocknete seinen Mund mit dem blauen Handtuch, das neben dem Waschbecken hing und sah mich dann abermals an. Wieder glitt sein Blick an mir herunter. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Es war mir unangenehm, wenn er mich so ansah.
„Würde ich ein paar Erbsen, genagelt auf ein Brett, sehen wollen, würde ich's in der Küche versuchen." Er ging an mir vorbei nach draußen und verschwand in seinem Zimmer, ehe mir überhaupt klar wurde, was er damit gemeint hatte. Dieses Arschloch. Ich zog die Luft scharf ein, schloss die Tür zu und ließ einen genervten Schrei los, den sogar die Nachbarn hören konnten. Wie beschissen konnte dieser Morgen denn noch werden, fragte ich mich leise, während ich das Handtuch und die Klamotten zur Seite legte und in die Dusche stieg. Das kühle Wasser fühlte sich gut an. Zum ersten Mal hatte ich wieder das Gefühl, für eine Sekunde abschalten zu können.
Ich hatte Sam gehört, als er an die Badezimmertür geklopft, und mich gefragt hatte was los sei, aber ich hatte ihn ignoriert. Kurze Zeit später hörte ich Asher „Nichts." sagen. Er hatte ihn also auch gefragt. Sam machte sich immerzu Sorgen um uns, auch wenn er versuchte, der "coole Dad" zu sein. Besonders seitdem meine Mutter weg war. Man hätte denken können, ihn plötzlich Sam und nicht mehr Dad zu nennen wäre seltsam gewesen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Es fühlte sich nicht fremd an, sondern eher verbunden. Viele können sich das sicherlich nicht vorstellen, aber unsere Beziehung zueinander hatte sich verändert. Zwar haben wir uns auch vorherschon gut verstanden, aber der Umstand, dass wir von da an mehr aufeinander Rücksicht nehmen mussten, hatte uns zusammen geschweißt. In diesem Moment war Sam nicht nur ein Vater gewesen, er war vielmehr auch ein Freund geworden.
Ein Freund mit einem ziemlichen Dachschaden, aber ein Freund. Ich föhnte mir meine Haare nur notdürftig. Sie waren so dick, dass sie immer Ewigkeiten brauchten, bis sie wieder trocken waren. Selbst die Tatsache, dass sie absolut gesund und nicht angegriffen waren, änderte nichts daran. Irgendwer hätte den dummen Haaren aber auch mal sagen können, dass sie mit den Voraussetzungen schneller hätten trocknen müssen.
Ich hatte meine Haare noch nie gefärbt, jedenfalls nicht bis zu dem Tag, als meine damalige beste Freundin Cathrine und ich Langeweile hatten. Oder waren wir einfach abenteuerlustig? Wer weiß das schon so genau bei dreizehnjährigen Mädchen am Anfang ihrer Pickelphase. Wir saßen auf ihrem Bett und sahen uns Zeitschriften an. Ja, auch ich hatte mal eine mädchenhafte Zeit. Gott sei dank war sie schnell wieder vorbei. Am Ende habe ich alle Poster von Beautymodels gegen welche von den Rolling Stones ausgetauscht. Und so sah mein Zimmer bis zu meinem Auszug aus.
Cathrine und ich kannten uns schon seit Jahren, wir haben oft was zusammen unternommen und bei der jeweilig Anderen übernachtet. Sie kannte meine Familie und ich ihre. Sehr gut sogar. So gut, dass ich wusste, dass ihr Vater jeden Sonntag um Punkt siebenuhrdreißig aufstand, ins Bad ging, die Zeitung vor der Tür aufhob, zehn Minuten damit beschäftigt war, Kaffee zu kochen, sich dann in die Küche setzte, den Fernseher einschaltete, fünf Minuten Nachrichten verfolgte, dann über das Fernsehprogramm schimpfte und ihn schließlich ausschaltete und sich der Zeitung widmete. Für ganze zwanzig Minuten. Dabei vergaß er stets seinen Kaffee, der, wenn er ihn dann mal wieder bemerkte, bereits kalt war, woraufhin er wieder zu meckern begann.
Cat und ich haben uns eines Tages den Spaß erlaubt und eine Stoppuhr mitlaufen lassen, während wir ihm nachspioniert haben. Natürlich haben wir die ganzen Zeiten auf einer Liste festgehalten, was wohl auch der Grund dafür ist, wieso ich mich so gut daran erinnern kann. Als wir damals auf ihrem Bett gesessen und uns unsinnige Zeitschriften rein gezogen haben, kamen wir irgendwie auf die irrsinnige Idee, mir die Haare umfärben zu müssen. Karottenrot war ja wohl auch sowas von out hatte Cat gesagt und ich hatte ihr selbstverständlich zugestimmt.
Ich war immer neidisch auf Ashers dunkle Haare gewesen. Ich mochte es als Kind schon nicht, als "Ginger" und "Kürbiskopf" bezeichnet zu werden. Es bedurfte also nicht gerade viel Überredungskunst, um mich von der Idee zu überzeugen. Eine Zeit lang grübelten wir, welche Farbe denn am besten zu mir passen würde. Und wir entschieden uns am Ende für Pechschwarz. Ein Fehler, den ich wohl nie wieder in meinem Leben begehen werde. Nicht nur, dass wir unser Bad gnadenlos eingesaut hatten, weil uns beiden die in der Verpackung enthaltenen Handschuhe viel zu groß waren, sondern auch, weil mir die ganze Pampe irgendwann vom Kopf runtergelaufen ist und wir sie unbeabsichtigt mit unseren Schuhen verteilt hatten.
Das Ergebnis war ein Disaster. Als meine Haare, die sich anfühlten wie Stroh in der prallen Mittagssonne, getrocknet waren, sah ich mich im Spiegel an und schlug die Hand vor den Mund. Ich sah aus wie eine Karotte mit Perücke. In hässlich. Man hätte vielleicht bedenken sollen, dass meine roten Augenbrauen zu den schwarzen Haaren sehr lächerlich aussehen würden. Hatten wir aber nicht. Und so erlitt nicht nur ich einen halben Herzinfarkt sondern auch meine halbe Familie, Asher mal ausgenommen, der hatte mich lediglich ausgelacht.
Insbesondere meine Mutter war geschockt gewesen, hatte mich allerdings als Strafe trotzdem ganze zwei Wochen so in die Schule gehen lassen, ehe sie mit mir einen Friseur gegangen war, der meine Haare blich und das Chaos wieder einigermaßen behob. Zwar verlor ich einiges an Länge, um genau zu sein hatte ich danach einen Bobschnitt, aber immerhin sah ich nicht mehr aus wie Frankenstein höchstpersönlich.
Ich schloss die Badezimmertür wieder auf und sah nach draußen. Zwar hatte ich ein ausreichend langes Handtuch um, aber ich wollte sicher gehen, dass ich Asher nicht noch mal über den Weg laufen würde. Ein gehässiges Lachen verriet mir, dass sich die Zielperson unten befand. Ich atmete erleichtert auf und ging zurück in mein Zimmer.
Mein Leben war chaotisch, soviel stand fest.
DU LIEST GERADE
Refugium
Teen FictionCassie ist frustriert. Nach der Trennung ihrer Eltern zieht sie mit ihren Brüdern und ihrem Vater in eine neue Stadt. Doch nicht genug, dass dort alles langweiliger ist als zuhause, auch die zwei seltsamen Typen, auf die sie trifft machen es nicht b...