Erst fiel nur ein Tropfen. Dann immer mehr, bis es zu einem Rinnsal wurde, welches stetig weiterfloss. Es erinnerte sie ein wenig an den Regen.
Erst fallen nur ein paar Tropfen vom Himmel und dann werden es immer mehr. Sie werden größer und fallen immer dichter, bis sich irgendwann die Wolken verziehen. Dann erstrahlt die Sonne und taucht alles in ihr wunderbares Licht. Das ist der einzige Unterschied, überlegte sie. Für sie würde die Sonne nicht mehr scheinen, ihre Wärme würde sie nie mehr spüren können.
In den Filmen, die sie so gerne sah, kamen immer die Liebsten des Protagonisten um sie oder ihn zu retten.
Meist steht der Protagonist im Regen, weint und ist verzweifelt. Es scheint für ihn keinen Ausweg zu geben, aber dann kommt immer jemand um ihn zu retten. Meistens ist es die Geliebte oder der Geliebte, manchmal auch die Beste Freundin oder der Beste Freund. Nur selten sind es Verwandte. Bei den Geliebten gibt es oft eine dramatische Szene bevor es zum Happy End kommt.Verträumt stellte sie sich vor sie wäre die Protagonistin.
Der Regen prasselt stetig auf die Straße. Menschen mit Regenschirmen gehen an ihr vorbei und werfen ihr verwunderte Blicke zu. Jemand fragt sie sogar, ob sie einen Schirm haben möchte, doch sie antwortet nicht und geht weiter. Jeder sieht sie, aber keiner sieht sie wirklich. Keiner sieht ihre Verzweiflung, ihre seelischen Verletzungen. Mit jedem Schritt verlässt sie der Wille weiterzumachen. Bald ist sie am Ende der Straße angelangt. Schon bald wird das ihr Ende sein. Ein junger Mann tritt plötzlich vor sie und umfasst ihr Handgelenk. Sie hebt den Blick. Ihre Augen und Wangen sind rot von ihren Tränen. Ihre Lippen sind blau vor Kälte und sie zittert. Trotzdem schaut er sie an, als ob sie das kostbarste auf der Welt wäre. Eine sanfte, tiefe Stimme ertönt, die ihr Herz schmerzhaft höher schlagen lässt. „Glaubst du wirklich, ich würde dich gehen lassen?", fragt er.Du musst. Nur so kannst du wirklich leben.
Seine blauen Augen nehmen sie gefangen. Sie möchte wegsehen, aber sie kann nicht. Erwartungsvoll sieht er sie an.
Ohne mich ginge es dir besser.
Tränen laufen ihm nun über die Wangen. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. Wütend schreit er sie an: „Wie kannst du das nur denken?! Wie kannst du bloß glauben, ich wäre ohne dich glücklicher?! Wie kommst du auf den Gedanken, ich würde dich gehen lassen?!" Seine Wut lässt sie zurückzucken.
Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Ich bin für niemanden gut.
„Du zerstörst nicht nur dein eigenes Leben, sondern auch meins und das deiner Familie!" Nichts kann sie mehr verletzen als diese Worte. Ihr ganzer Körper schmerzt nun. Die Erinnerungen, die Trauer und der unglaubliche Schmerz treffen sie mit voller Wucht. Sie sieht zu Boden.
Ich habe keine Familie mehr.
Schuld und Betroffenheit sind nun in seinen Augen zu sehen. Er will sie eigentlich nicht verletzen, sondern ihr helfen. „Hör zu... Es tut mir leid... Ich hab einfach Angst dich zu verlieren." Seine Verzweiflung, eine andere als die, die das Mädchen empfindet, ist nun deutlich zu hören. „Lass mich dir doch helfen! Bitte!
Du kannst mir nicht helfen.
Er versteht einfach nicht. Sie will ihn überzeugen, aber er gibt nicht nach.
Du wirst es niemals verstehen! Du kannst es einfach nicht verstehen...
Die Luft scheint elektrisch aufgeladen zu sein von all den Gefühlen, die um die beiden herumschwirren. Die persönliche Gewitterwolke, die sich seit gefühlten Ewigkeiten über den beiden befindet, wird von Minute zu Minute größer. Trotzdem bleibt er standhaft. „Wenn du gehst, gehe ich mit dir."
Wenn ich sterbe, stirbst du mit mir?
Schockiert sieht sie ihn an. Wie kann er ihr nur so etwas antun? Sie versucht ihm zu helfen und er... er erpresst sie auf eine schreckliche Art und Weise.
Nein... Nein. Nein! Du wirst leben! Aber ich werde gehen!
Sie öffnet den Mund und will so vieles noch sagen, aber er nimmt nur ihr Gesicht in seine Hände und die Welt um sie herum verschwimmt. Seine Lippen berühren ihre. Dieser Kuss verändert alles. Seine ganze Liebe liegt in diesem einen Kuss. Sie fühlt sich nicht länger wertlos. In seinen Armen fühlt sie sich geborgen und... nicht mehr... allein. Ihr Herz schlägt immer höher, doch es schmerzt nicht mehr. Es ist als ob seine Nähe sie heilen würde.
Nein! Das darf nicht sein! Ich werde dich früher oder später verletzen. Du kannst mit mir an deiner Seite nicht leben...
Diese Stimme in ihr ist immer noch da. Nach diesem Kuss, ist sie jedoch viel leiser geworden. So leise. Jetzt merkt sie wie müde sie doch ist. Müde des Kämpfens und des Lebens. Erschöpft lässt sie sich in seine Arme fallen.
Gut, das war wohl nicht ganz der typische Liebesfilm wie man ihn kannte, aber immerhin hatte er ein Happy End. Für sie würde es keines geben.
Sie sah aus dem Fenster. Es regnete. Es war ein kühler Sommerregen, nach tagelangem Sonnenschein. Reglos beobachtete sie, wie der Regen die Erde tränkte und ihr neues Leben einhauchte. Während sie ihres mit jedem Atemzug ein Stück näher dem Ende brachte. Bald würde die Erde neu erblühen. Die Sonne würde bald alles erstrahlen lassen und die Kälte vertreiben, die der Regen mit sich brachte.Ich habe es nicht geschafft ohne euch. Es tut mir leid.
Der Regen wurde nun immer leiser. Die Wolkendecke brach auf und die Sonne erstrahlte. Die Sonnenstrahlen wärmten ihr kaltgewordenes Gesicht. Wie lange hatte sie diese Wärme nicht mehr gespürt? Wie sehr hatte sie dieses Gefühl vermisst?
Einen letzten Augenblick noch genoss sie die Wärme der Sonnenstrahlen.
Einen letzten Atemzug noch...Ich werde bald bei euch sein. Ich liebe euch.
Der Duft von nassem Asphalt und nasser Erde stieg ihr in die Nase. Er überdeckte den Geruch ihres Blutes. Das hatten sie dem Regen zu verdanken. Sie liebte den Regen. Die darauf folgenden Sonnenstrahlen liebte sie jedoch umso mehr.
Heute, beschloss sie, würde ein richtig schöner Tag werden.
Lächelnd schließt sie die Augen.
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Kurzgeschichten
RandomMeine Kurzgeschichtensammlung auf einem Blick: Die blaue Rose Sterntaler - die etwas andere Version Du bist niemals allein. Gefangen. Regen die Lebenden und die Beobachter