¡Kapitel 6¡

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,,Das glaube ich nicht", meint Marianna und schüttelt wild den Kopf, sodass sich der Haarknoten unter ihrer Haube löst.
Ich mache mir nicht die Mühe ihr die Geschehnisse des heutigen Tages ein drittes Mal zu erklären und sinke lieber tiefer in einen der großen, weichen Sessel.
Noch immer trage ich Mariannas Kleider und den Ruß im Gesicht, während Marianna selbst in hohen, gläsernen Schuhen durch mein Gemach stöckelt.
„Nein! Ihr müsst irgendetwas falsch verstanden haben", klagt meine Zofe weiterhin. „Morgana? Morgana!"
Ich fahre hoch. „Ja?"
„Wo seid ihr nur mit euren Gedanken?", fragt sie kopfschüttelnd. Inzwischen fliegen ihr die schulterlangen Haare um die Ohren.
„Ich überlege gerade, ob es sehr unhöflich wäre, dich zu bitten nochmals-"
„Und wie unhöflich das wäre!", unterbricht Marianna mich wütend. „Glaubt ihr, es macht mir Spaß eine halbe Stunde in eurem Gemach zu verbringen? Zitternd und bangend, dass nicht zufällig die Wachen oder gar euer Vater hereinkommt? Betend, dass ich nicht heute noch geköpft werde!"
Darauf weiß ich keine Antwort. Mit hängendem Kopf starre ich aus dem Fenster und lasse den Tränen freien Lauf.
„Ach, nicht doch! Morgana...", flüstert Marianna gekränkt und hockt sich vor mich. „Bitte nicht weinen..."
Doch ich habe keine Kontrolle mehr über meine Gefühle. Seid ich dem Rebellen das erste Mal in die Augen gesehen habe, herrscht das reinste Chaos in meinem Körper. Nie habe ich Regeln gebrochen, gegen Gesetze verstoßen oder mich meinem Vater widersetzt.
Nie habe ich mein Amt als Tochter des Königs missbraucht.
„Du bist verliebt", stellt Marianna mit großen Augen fest. „Kein schöner, reicher Prinz aus dem fernen Nordwesten... Ein Rebell."
Ich klammere mich an die Hände meiner Zofe wie an das rettende Stück Treibholz.
„Nun denn... Geht! Bringt dem armen Jungen etwas zu essen", sagt diese mit einem gütigen Lächeln auf den Lippen, zupft ein weißes Tuch hervor und trocknet meine Wangen.
„Danke sehr", hauche ich und stürme sogleich aus dem Zimmer.
Auf dem Flur begegne ich einem Diener. Ich frage ihn, nach dem Weg zur Schlossküche. Der Junge mustert mich kurz und schlägt dann vor: „Folge mir. Ich muss so oder so dort vorbei."
Also trotte ich ihm wie ein dressiertes Hündchen hinterher.
„Bist du hier neu angestellt? Ich habe dich noch nie zuvor gesehen", bemerkt er irgendwann.
„Ähmm... Ja! Ich... bin die Zofe der..." Aus Angst er könnte Marianna kennen, korrigiere ich mich. „Ich bin die Bedienstete des Schneiders Zacharias."
„Ach wirklich? Ich hielt ihn immer für einen Mann der lieber allein arbeitet."
„Tut er für gewöhnlich auch...", murmel ich und verkralle mich in den Ärmeln des dunklen Kleides.
„So. Da wären wir!" Der Junge strahlt mich an.
Ich nicke unbeholfen. „Ähm... Danke."
Als ich die Tür öffnen möchte, hält er mich zurück, indem er meinen Arm packt.
„Wie heißt du eigentlich?", fragt er, lässt mich los und scharrt nervös mit den Füßen.
Ich überlege.
„Morgana", antworte ich schließlich, für den Fall, dass er Zacharias nach seiner Bediensteten fragt. Dieser ist sich nämlich meines Spitznamens bewusst und würde mich hoffentlich decken.
„Ein schöner Name...", meint der Junge und beobachtet mit einem Mal lieber seine Füße, als mein kaum vorhandenes Dekolleté.
„Finde ich auch", sage ich, reiße die Küchentür auf und werfe sie dem jungen Diener vor der Nase zu.
Puh!
Doch so leicht komme ich wohl nicht davon. Das ganze Küchenpersonal starrt mich an, als hätten sie noch nie etwas dümmeres gesehen. Anscheinend mache ich mich nicht sonderlich gut als Angestellte.
„Ähm... Ich brauche... etwas zu essen und zu trinken... für die Prinzessin... Katharina Eve Backamly", stotter ich und verschränke die Arme vor der Brust, da auch einer der Köche sich eines raschen Blickes in mein Dekolleté nicht zu Schade ist. Mit einem Schlag setzen sich alle in Bewegung.
Ich blinzle überrascht, als mir beinahe ein ganzes Mittagessen aufgetischt wird. Obst, Gemüse, Wein, Fisch und Fleisch...
Zögernd nehme ich etwas Brot, Äpfel und ein kleines Behältnis voll Wasser entgegen.
Ich frage mich ob Marianna mit der gleichen List an das letzte Essen für den Rebellen gekommen ist oder ob sie den Apfel und die zwei Scheiben Brot gestohlen hat.
„Hättet ihr vielleicht auch noch etwas das eine Infektion behandelt? Die Prinzessin... hat sich die Ellenbogen aufgeschürft", erzähle ich und hoffe, dass ich damit nicht zu weit gehe. Doch eine ältere, rundliche Frau kommt mit einem runden Kochlöffel in der einen Hand auf mich zu und drückt mir mit der anderen einen Beutel voller Kräuter in die Hand.
„Kauen, ausspucken und drauf auf die Wunde", lacht sie und klopft mir freundlich auf die Schulter.
Ich lächle sie an, bedanke mich und verlasse die Küche.
Draußen verstecke ich die Speisen und den Beutel in den tiefen Taschen meines Gewands und mache mich eilig auf den Weg zum Königsplatz. Obwohl ich diesmal keine schriftliche Erlaubnis des Königs habe, erkennt mich die Wache und öffnet mir - wesentlich freundlicher als gestern - das schmiedeeiserne Tor.
Er führt mich die vielen rutschigen Stufen herunter, jedoch ist mein Schritt diesmal um einiges sicherer und ich brauche mich auch nur noch mit einer Hand an der rauen Wand abzustützen. Einmal drohe ich allerdings auszurutschen, weshalb ich hektisch noch die zweite Hand nachziehe und mir prompt einen stumpfen Nagel in die Innenfläche schlage. Von da an, steige ich die brüchigen Stufen wieder langsamer herunter. Für die eisige Kälte habe ich mich glücklicherweise mit einem dicken Umhang gewappnet.
Als wir den ersten Flur betreten sind meine Fingerspitzen bereits ganz klamm. Die Wache führt mich, anstatt durch die zweite, durch die vierte Tür. Anscheinend wurde der Rebell verlegt. Wahrscheinlich damit er sich - für einen möglichen Fluchtversuch - den Weg durch diesen dunklen Irrgarten nicht einprägen konnte.
Diesmal zähle ich insgesamt fünf Flure und sieben Türen, die es hinter sich zu bringen gilt, dann stehe ich endlich vor den handbreiten Gitterstäben. Diesmal werden sie jedoch von einer schwach brennenden Fackel angeleuchtet.
„Könnten es diesmal zehn Minuten sein?", frage ich die Wache kleinlaut, bevor er mich wie gestern wieder alleine lässt.
„Warum?", knurrt er misstrauisch.
„Geheim", bringe ich zittrig über die Lippen, doch er nickt nur.
Was soll ein kleines Mädchen wie ich auch schon groß anrichten können?
Ich atme tief durch, dann drehe ich mich um.
„Wofür brauchst du denn zehn Minuten?", ertönt eine rasselnde Stimme. Sie klingt müde und erschöpft, als wolle sie nichts als schlafen.
Ich warte bis sich meine Augen an das wenige Licht gewöhnt haben, dann hocke ich mich selbstsicher vor den Jungen und zucke mit den Schultern. Eine Pause entsteht.
Irgendwann hebt er etwas in die Höhe, wobei seine Ketten laut klirren. Ich erkenne die Bibel in seiner schmutzigen Hand.
„Ich habe gelesen..."
„Gut", meine ich. Im Nachhinein werde ich mich dafür ohrfeigen!
„Wie heißt du?"
„Wie heißt du?", antworte ich mit einer Gegenfrage.
Der Junge lächelt... beinahe schüchtern.
„Wie alt bist du?"
„Wie alt bist du?", äfft er mich nach.
„Schon verstanden." Ich nicke, hebe abwehrend die Hände und durchwühle anschließend eine Weile die Taschen meines Gewands.
„Hier." Schließlich halte ich ihm das mit Wasser gefüllte Behältnis hin. Ohne ein Wort nimmt er es mir ab, lehrt es in einem Zug und gibt es mir wieder zurück. Gleich darauf übergebe ich ihm die zwei Scheiben Brot und die beiden kleinen Äpfel. Erneut nimmt er die Speisen ohne ein Wort und versteckt sie hinter seinem Rücken, sodass die Wache es in all der Finsternis nicht ausmachen kann.
„Warum tust du das?", fragt der Junge leise.
Ich übergehe seine Frage und ziehe stattdessen den Beutel voller Kräuter hervor. Ich schütte sie in Griffweite seiner rechten Hand aus und zitiere: „Kauen, ausspucken und drauf auf die Wunde." Dann füge ich noch hinzu: „Bei all dem Unkraut hier drinnen, wird die Wache nicht darauf kommen, dass diese Kräuter Kräuter sind."
Ich lasse den leeren Beutel in einer meiner Taschen verschwinden.
„Darf ich dich was fragen?"
Der Rebell legt den Kopf schief, antwortet jedoch nicht.
„Der Junge in dem Karren heute..." Ich bringe den Satz nicht zu ende. Dazu fehlt mir die Kraft und vielleicht auch der Mut.
„... war mein Bruder", spricht der Rebell meinen Gedanken mit weiterhin rasselnder Stimme aus. Das viele Schreien tat seinen Stimmbändern anscheinend überhaupt nicht gut, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm das völlig einerlei ist.
„Das tut mir leid", flüstere ich und senke den Blick.
Schweigen.
„Hast du Brüder?"
Irritiert sehe ich wieder auf... in trauernde und aufgrund des schwachen Lichtes, schwarze Augen.
„Nein. Schwestern."
Er nickt knapp.
Da höre ich das mir inzwischen so vertraute Klimpern des eisernen Schlüsselbundes der Wache. Ich richte mich auf und klopfe mir etwas Dreck von dem Saum meines Kleides.
„Kommst du wieder?"
Ich verharre in meiner Bewegungen. „Kommt drauf an."
„Worauf?", fragt er schnell, fast hektisch.
„Ob du das möchtest..."
Seine Mundwinkel heben sich leicht. Diese kleine Geste bringt mein Herz zum rasen und lässt es in meinem Magen wohlig kribbeln.
„Ja. Möchte ich."
Die Tür der Zelle öffnet sich lauthals quietschend und die Wache winkt mich aus dem Verlies heraus.

So ging das drei Tage.
Ich besuchte den Rebellen also noch genau drei Mal.
Unsere Gespräche liefen eigentlich immer gleich ab.
Oft fragte er: Wie heißt du?
Worauf ich antwortete: Wie heißt du?
Oder ich fragte ihn: Wie alt bist du?
Und er antwortete: Wie alt bist du?
So ungefähr lief es auch mit den Fragen 'Warum bist du hier?', 'Wo bist du aufgewachsen?' und 'Was machst du am liebsten?' Keiner wollte zu viel über sich Preis geben. Stattdessen genossen wir in aller Ruhe die Anwesenheit des anderen und sahen einander einfach nur in die Augen.
Einmal streifte ich bei der Essensübergabe versehentlich seine Fingerknöchel und mir war als würde mein ganzer Körper plötzlich in Flammen aufgehen.
Marianna ließ sich übrigens leicht überreden mich weiterhin zu decken und zu ersetzen, wenn ich mir die Zeit mal wieder im Kerker vertrieb. Sie wollte, dass ich die wenigen Augenblicke genoss, die mir mit dem Jungen noch zur Verfügung standen, auch wenn sie einmal richtig hysterisch wurde, als ich für eine ganze Stunde verschwunden blieb, da die Wache des Kerkers doch tatsächlich vergessen hat, dass einer seiner Gefangenen Besuch hat.
Ich versorgte den Jungen stets mit zwei Scheiben Brot, etwas zu trinken und einem oder mehreren Äpfeln. Auch eine zweite Fuhre Heilkräuter brachte ich ihm mit, die er zum Überleben wirklich nötig hatte, da er erst gestern wieder ausgepeitscht wurde.
Zwanzig Hiebe, erzählte mir Marianna, die an jenem Tag auf dem Weg zum Fluss war, um Kleidung zu waschen. Nach jener Nachricht fühlte ich mich nur noch kalt und... nicht anwesend.
Bei den Essen mit meinem Vater und meinen Schwestern versuchte ich mir davon nichts anmerken zu lassen. Ich lachte über Dinge, die ich keineswegs lustig fand, erzählte Geschichten über Dinge, die mich überhaupt nicht interessierten und zwang meinen Blick auf die leckeren Speisen, anstatt aus dem großen Fenster.
Außerdem trug ich täglich meine weißen Handschuhe. Selbst beim Reiten, da meine Hände inzwischen dicke Hornhaut angesetzt hatten, tiefe Wunden trugen und einfach nicht sauber werden wollten. Sogar nach zehnmaligem Waschen, verflüchtigte sich der Dreck unter meinen Fingernägel nicht. Doch seid dem Morgengrauen habe ich ein viel größeres Problem. Nämlich die Hinrichtung des Rebellen. Morgen, in der Früh.
Marianna hört sich in aller Seelenruhe meinen Plan und meine Bitte an und unterbricht mich nicht ein einziges Mal. Ich bin mehr als nur überrascht, als sie am Ende meines Redeschwalls einfach nur nickt.
„Du möchtest mich nicht davon abbringen?"
„Würden meine Worte irgendetwas nützen?"
„Nein." Ich schüttle entschieden den Kopf.
„Ihr seht: Mir bleibt nur die Möglichkeit euch entweder zu helfen oder euch an den König zu verraten", erklärt mir meine Zofe und beginnt ihren Zopf zu lösen, um ihn dann wieder ordentlich zu flechten.
„Und was davon wirst du in Erwägung ziehen?", frage ich nervös und spüre wie mir das Herz schmerzhaft gegen den Brustkorb schlägt... Als wolle es herausspringen.
„In Erwägung ziehen? Natürlich werde ich euch unterstützen, Mylady! Ihr seid doch meine Freundin!", ruft sie aus, empört darüber, dass ich eine andere Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen habe.
„Dann ist es also beschlossene Sache!"
Ich schlage noch vor eine meiner Schwestern in unseren Plan einzuweihen, doch Marianna hält das für viel zu riskant. Bis auf uns, darf niemand etwas erfahren.
Niemand...

Rebel Love - Zepter gegen Schwert   *XXL LESEPROBE*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt