Kapitel 7

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"Was ist denn hier los?!", schnauzte Aki erschrocken Jonathan an, als sie den Raum betrat. Ihr bot sich eine ungewöhnliche Szene mit Jonathan, der Handler am Kragen auf dem Sofa fixierte während der Regisseur offensichtlich versuchte, so schnell wie möglich aus diesem Griff und dem Raum zu entkommen."Was soll das? Komm gefälligst mit deinen Aggressionen klar oder verschwinde!"
Sofort ließ der Schauspieler von Jack Handler ab, welcher sich aufrappelte und vom Sofa aufstand.
"Danke, Aki.", seufzte der Regisseur und strich sich die verstrubbelten Haare aus den Augen.
"Was war denn los?", fragte die Maskenbildnerin misstrauisch.
Als der Regisseur beschämt zu seinen Füßen sah, richtete Aki ihren entrüsteten Blick auf Jonathan.
"Es funktioniert so einfach nicht!", warf dieser dem Regisseur vor. "Ich finde auch, dass Castiel auf seine Rolle passt aber das ist kein Grund, ihn in Lebensgefahr zu bringen! Er braucht nen Psychiater, besser noch: bringen wir ihn gleich ins Krankenhaus. So weiterzumachen macht einfach keinen Sinn!"
"Ach darum geht's hier...", wunderte sich Aki. Sie war in die Session von Handler und Jonathan geplatzt um dem Regisseur genau das klarzumachen, wenn sie auch ein weniger aggressives Vorgehen bevorzugt hätte. "Jonathan, ich stimme dir zu, aber mit Gewalt erreichst du hier nichts. Also bekomm dich in den Griff oder verschwinde. Jack, mit dir habe ich ein sehr ernstes Wörtchen zu genau diesem Thema zu reden. Also lass es dir bloß nicht einfallen, von hier zu verschwinden, klar?"
"Aki, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du hier mit Freundlichkeit irgendwas erreichen kannst.", warf Jonathan ein.
"Gut, wenn du das denkst, dann geh einfach und lass uns das regeln wie Erwachsene." Aki warf einen entnervten Blick in Jonathans Richtung.
"Ich halt ja die Klappe...", seufzte der Schauspieler, im Moment war es ihm nicht so wichtig, seinen Kopf durchzubringen, als das Gespräch zwischen den beiden mitzuhören.
"Also, Jack, ich gebe Jonathan Recht: so wie es im Moment läuft, kann es nicht weitergehen. Wirklich nicht. Castiel ist offensichtlich krank und aus Jonathans Reaktion schließe ich, dass auch er die Tabletten in Castiels Zimmer gefunden hat. Wie es aussieht, kann er ohne Schlaftabletten überhaupt nicht schlafen, und muss sich mehrere davon reinhauen, nur um wenige Stunden später wieder aufzuwachen. Ich will wissen, wie er an so viele Tabletten überhaupt herankommt, er hat ja ne halbe Apotheke in seinem Nachttisch."
"...Ich hab ihm Zugang dazu verschafft. Ich dachte, wenn er eine nehmen muss und dafür ordentlich schlafen kann, dann ist das sicher kein Problem.", gab der Regisseur beschämt zu.
"Willst du mir etwa sagen, dass du keine Ahnung von der Menge an Tabletten hast, die der Junge in sich reinkippt?!", fragte Aki ungläubig.
Handler senkte seine Augen. "Doch...", murmelte er. "Ich hatte gehofft, dass sich das mit der Zeit wieder bessert."
" 'Die Zeit ist das Schiff auf dem wir reisen, aber nicht der Kapitän', Handler, das weißt du. Man kann nicht alles immer auf die Zeit abschieben, man muss selbst das Steuer ergreifen!", Aki warf Handler einen mitleidsvollen Blick zu. "Ich kann dich schon irgendwo verstehen.", fügte sie sanfter hinzu. "Du hast den Kleinen gerettet, du fühlst dich für ihn verantwortlich."
"Ich weiß, dass er nicht ins Krankenhaus will und auch nicht zum Psychiater! Das können wir Castiel nicht antun.", Handler war offensichtlich verzweifelt.
"Mir ist klar, dass du Castiel mit deiner eigenen Vergangenheit in Verbindung bringst, Jack. Du musst nur einsehen, dass, nach allem, was du für ihn getan hast, es jetzt Zeit ist, die Verantwortung an andere Leute abzugeben. Und am sichersten ist es, Castiel in erfahrenere Hände zu geben, die sich mit solchen Fällen auskennen und auf ihn aufpassen können." Aki ignorierte Jonathans fragenden Blick, der auf ihre Anspielung folgte, gekonnt. Sie hielt es nicht für notwendig, diese Informationen über Handler Jonathan zugänglich zu machen, der Hintergrund Handlers Abneigung gegen Psychologen und andere Ärzte ging den Schauspieler nichts an.
Auch Aki hatte der Regisseur erst davon erzählt, als sie schon bei mehreren Filmen zusammengearbeitet hatten. Das war auch verständlich, da Handler diesen Teil seiner Persönlichkeit erfolgreich von der Öffentlichkeit fernhielt...
Als Teenager war Jack Handler Opfer mehrerer Fälle von Mobbing gewesen, teilweise verbreitete sich der Hass weniger Einzelpersonen derartig, dass Handler umziehen musste, nur um der Bedrohung kurzweilig zu entgehen. Zusätzlich zu seinem erzwungenen Außenseiterdasein sahen seine Eltern die Notlage nicht ein. Sie hatten nach kurzer Zeit "zu viel von der Umzieherei", wie Jack Aki erklärt hatte. Deshalb wohnte er schon mit 14 Jahren allein. Doch dadurch entstand die Vorstellung unter den anderen Jugendlichen, dass Jack ein alleingelassener, enttäuschender Junge ohne richtige Eltern war, welche die Mobbingsache nur verschlimmerte.
Wie zu erwarten hatte dieses Leben schwere Folgen auf Jacks psychische Verfassung. Er hatte versucht, mit Hilfe von Drogen der Realität zu entfliehen, natürlich ohne Erfolg. Dazu kamen Depressionen sowie mehrere versuchte Selbstmorde.
Und das Ganze hatte nur damit angefangen, dass der Teenager erwischt wurde, als er einen Klassenkameraden geküsst hatte.
Der andere hatte behauptet, Jack habe ihn gezwungen und damit die Schwulenhasser, seine Freunde und nach und nach immer mehr Menschen gegen Jack aufgehetzt. Von da an steigerten sich der Hass und Handlers Hilflosigkeit gegenseitig in die Höhe.
Als junger Erwachsener mit gerade 19 Jahren landete er das erste Mal bei einem Psychiater. Dieser Psychiater kam der miserablen Lage seines Patienten allerdings nicht auf den Grund, natürlich würde Jack seine sexuelle Orientierung nie einfach so zugeben, aus Angst vor noch mehr Problemen. Der Psychiater startete dazu auch keine Versuche, mit Jack ordentlich zu kommunizieren, verschrieb Antidepressiva und machte ihn nach kurzer Zeit von der nächsten Droge abhängig.
Nachdem der erste Psychiater den jungen Mann abgeschrieben hatte, wanderte Jack von einem Arzt zum anderen, ohne dass sich an seiner Lage wirklich etwas veränderte.
Erst als es die Psychiater, seine Eltern, das ganze Umfeld Jacks geschafft hatten, ihn so weit unter Wasser zu treiben, bis er Weg an die Oberfläche sowieso nicht mehr schaffen konnte, kam der Lichtblick. Erst als sie alle Hoffnung aus Jack herausgetrieben hatten, erschien ihm ein Engel, ein gefallener, sündiger Engel, aber trotzdem ein Engel.
So hatte Jack Aki seine erste große Liebe beschrieben. Michael war selbst Drogendealer und abhängig. Er war bekannt gewesen für seinen Hang zur Agression und seine gnadenlose Skrupellosigkeit wenn es ums Geschäft ging.
Gegenüber Handler hatte er sich allerdings nie unfreundlich benommen. Er hatte ihn geliebt wie sonst niemanden und Jack war das Wichtigste in Mikes Leben gewesen.
Mikes Hingabe zu Jack ging sogar so weit, als dass er mit aller Macht versuchte, seinen Freund von Drogen fernzuhalten. Obwohl es immer wieder zu Streit zwischen den beiden führte zwang er Jack dazu, keine Drogen mehr zu nehmen, er nahm ihm alles ab, um ihn zu beschützen. Als Mike klarwurde, dass Jack, um von den Drogen loszukommen, professionelle Hilfe brauchen würde, opferte er sogar sein angespartes Geld, das er eigentlich für seine eigene Entzugstherapie ausgeben wollte, für Jack Handler.
Die Therapie schlug an, nach nur wenigen Monaten galt Jack als clean.
Mike jedoch nicht. Wo er alles gegeben hatte, um Jack zu beschützen, gelang es ihm nicht, selbst von den Drogen abzulassen und für eine zweite Therapie war nicht genug Geld übrig. Die Drogen hatten Besitz von Mike ergriffen lange bevor Jack in sein Leben getreten war. Und so hatte dieser keine Chance, das Unausweichliche aufzuhalten.
Nicht lange nach dem Abschluss Jacks Therapie vergiftete sich Mike an einer Mischung, die ihm ein Freund zugesteckt hatte.
Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Und Jack saß an seinem Bett bis zum Schluss, bis Mikes letzte Worte schon lange verklungen waren. "Ich liebe dich, Jack. Ich war nie gut genug für dich. Trotzdem bitte ich dich, mein Geschenk anzunehmen. Ich gab dir mein Leben, Jack. Versprich mir, das Beste daraus zu machen. Lebe es für dich und für mich, für uns beide und vergiss mich nicht." Ein letztes Mal küssten sie sich bevor Mikes Herz aufhörte zu schlagen.
Doch dafür schlug Jacks Herz umso lauter. Und er fühlte ganz deutlich, dass er nicht ganz allein war.

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NanatsuNoTaizai

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 16, 2016 ⏰

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